
Die gesundheitspolitischen Debatten werden seit Monaten von der Corona-Pandemie beherrscht. Doch im Gesundheitswesen gibt es weit mehr und auch ganz andere Probleme zu bewältigen. In den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl spielt die Gesundheitspolitik jedenfalls eine große Rolle. Wir haben Gesundheitsexperten aus Unterfranken zu den akuten Herausforderungen befragt und fassen die sechs drängendsten Probleme zusammen.
1. Hausärztemangel
Der Ärztemangel auf dem Land macht sich inzwischen auch in Unterfranken bemerkbar. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern (KVB) sind fast 40 Prozent der unterfränkischen Hausärzte über 60 Jahre alt. Schon heute würden Praxisübergaben oft nicht gelingen, weil keine Nachfolgerin oder kein Nachfolger zur Übernahme bereit sei. Schon jetzt gebe es im südlichen Landkreis Schweinfurt und in Geroldshofen eine drohende Unterversorgung, dort sind zusammen 9,5 Hausarztstellen nicht besetzt. Erste Erfolge zeige die Möglichkeit der KVB, jungen Ärzten je nach Unterversorgung in einer Region eine einmalige Starthilfe von bis zu 90 000 Euro zu gewähren, wenn sie sich dort niederlassen.
2. Fachärztemangel

Mit ein paar Jahren Verzögerung folge auf den Hausärztemangel ein Facharztmangel auf den Hausärztemangel, sagt Dr. Gunther Carl, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Kitzingen. Jüngere Ärzte würden sich zunehmend lieber in Kliniken anstellen lassen, statt den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Sie würden sich davon mehr Flexibilität versprechen, sagt der Sprecher der unterfränkischen Fachärzte bei der KVB. In Unterfranken seien aktuell vor allem die Landkreise Rhön-Grabfeld, Bad Kissingen und die Hassberge betroffen. Aktuell fehlt es laut KVB in ländlichen Regionen Unterfrankens vor allem an HNO- und Augenärzten sowie an Nervenärzten. Bei HNO sei auch der Landkreis Main-Spessart betroffen. Es könnten schnell auch andere Fachrichtungen in anderen Regionen hinzukommen, sagt Carl.
3. Zu viel Bürokratie
Was die niedergelassenen Ärzte laut Dr. Gunther Carl besonders belastet: die Bürokratisierung, die immer mehr Zeit, Personal und Platz in den Praxen beanspruche. Er betreibe seine neurologische Praxis in Kitzingen seit 1991. Seitdem seien jedes Jahr neue bürokratische Hürden hinzu gekommen. Das habe auch mit der Digitalisierung der Medizin zu tun. In den Praxen würden immer mehr Programme für den Austausch mit Kassen oder anderen Dienstleistern. So müssten zum Beispiel ab Oktober 2021 Krankschreibungen mit zusätzlichem Aufwand digital an die Kasse gemeldet werden. Der Patient und sein Arbeitgeber erhielten aber nach wie vor den "gelben Schein". Da die digitale Übermittlung kompliziert sei, rechne er mit dem dreifachen bürokratischen Aufwand, sagt der Facharzt-Sprecher. Auch Kliniken verweisen auf die zunehmende Bürokratie: Die enormen bürokratischen Anforderungen würden Personal und Ressourcen binden, die sinnvoller in der Patientenversorgung eingesetzt werden sollten, heißt es bei der Genossenschaft Klinik Kompetenz Bayern (KKB), die 62 kommunale und freigemeinnützige Kliniken im Freistaat vertritt.
4. Budgetierung der Ärzte
Bei der Budgetierung habe das Terminvergabegesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwas Ausgleich geschaffen, sagt Carl. In bestimmten Fällen und bei Neupatienten könne die Behandlung jetzt auch zu 100 Prozent abgerechnet werden. Bei allen anderen aber bleibe es dabei, das der Arzt nur 85 Prozent von dem erhalte, was ihm eigentlich zustehen würde. "Wie sehen ein, dass die Mittel begrenzt sind," sagt Carl. Doch wenn die Finanzierung und die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht mehr zusammen passten, sei es Aufgabe der Politik und der Krankenkassen, dies den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln. So bleibe es allein dem Arzt überlassen, den Patientinnen und Patienten zu erklären, dass die eine oder andere Leistung von der Kasse nicht bezahlt werden würde.
5. Finanzierung durch die Krankenkassen
Die Verschiebung von Behandlungen und geplanter Operationen aufgrund der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr und auch im ersten Quartal 2021 hätten sich positiv auf die Finanzergebnisse der Kassen ausgewirkt, sagt Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern. Nun kehre sich dieser Trend wieder um und führe zu deutlich mehr Ausgaben, sagt Sippler, die mit ihrer Familie im Landkreis Rhön-Grabfeld lebt. Hinzu kämen die vielen Gesundheitsgesetze aus dieser Legislaturperiode, die sich erst jetzt deutlich bemerkbar machen würden. Sippler rechnet im nächsten Jahr mit einem Defizit, das den zusätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von sieben Milliarden Euro deutlich übersteigen werde. Da die Kassen 2020 ihre Rücklage in den Gesundheitsfonds abgeben mussten, könnten sie Ausgabensteigerungen nicht mehr abfedern. Sollen die Beiträge stabil bleiben, müsse die Politik dies bei der Höhe des zusätzlichen Bundeszuschusses berücksichtigen, sagt die AOK-Vorstandsvorsitzende.
6. Kliniken nach Corona
Es mache betroffen, wenn Berater der Bundesregierung immer wieder eine "massive Überversorgung bei Krankenhausbetten in Deutschland" anprangern würden, sagt Martin Stapper, Vorstandsmitglied der Genossenschaft Klinik Kompetenz Bayern (KKB). Er ist Geschäftsführer der Kongregation der Schwestern des Erlösers Würzburg, Träger des St. Josef-Krankenhaus in Schweinfurt und der Theresienklinik in Würzburg. Durch die sehr gut funktionierende Gesundheitsversorgung im stationären Bereich habe man die Pandemie in Deutschland bisher "hervorragend gemeistert", sagt Stapper. "Anpassungen im Gesundheitswesen sind notwendig, müssen aber mit dem notwendigen Augenmaß durchgeführt werden und müssen alle Versorgungsbereiche im Gesundheitswesen berücksichtigen. Nicht nur die Zahl der Krankenhausbetten."
Damit vor allem die kleineren Häuser in Unterfranken überleben, bräuchten sie laut Stapper vor allem wirtschaftliche Sicherheit, die derzeit fehle. Es dürfe keine Absenkung der Budgets aufgrund von Leistungsrückgängen geben. Die Klinik Kompetenz Bayern fordert deshalb, dass notwendige Vorhaltungen, insbesondere in der Notfallversorgung, im vollen Umfang finanziert würden - nicht nur nach den erbrachten Leistungen. Investitionen und Baumaßnahmen, die notwendig und bedarfsgerecht seien, müssten in vollem Umfang vom Staat finanziert werden. Hohe Kostenanteile erhöhten laut Stapper den wirtschaftlichen Druck enorm, weil die Vergütungen im Krankenhausbereich grundsätzlich keine Anteile für Investitionskosten enthalten würden.