
Die kommunalen Krankenhäuser halten deutschlandweit die meisten Betten vor. In Bayern machen sie 50 Prozent der Versorgung aus. Ihr Sprachrohr ist die 2011 gegründete Genossenschaft Klinik-Kompetenz-Bayern (KKB). Sie vertritt 62 kommunale und freigemeinnützige Kliniken im Freistaat, die fast 1,5 Millionen Patienten jährlich versorgen, 34 000 Mitarbeiter beschäftigen und rund 2,38 Milliarden Euro Jahresumsatz machen. Zehn Jahre stand Prof. Alexander Schraml (Würzburg) zusammen mit zwei Kollegen aus der Oberpfalz an der Spitze des Verbunds. Zum 1. Januar übergibt er sein Amt an Martin Stapper (Schweinfurt). Die Herausforderungen sind groß angesichts von Fachkräftemangel, abnehmenden finanziellen Ressourcen, Privatisierungsdruck und des massiven Anstiegs des Versorgungsbedarfs einer älter werdenden Gesellschaft.
Martin Stapper: Alles ist gleich wichtig, aber nicht alles gleich drängend. Gerade haben wir ein ganz anderes Problem, womit wir uns beschäftigen müssen.
Stapper: In der Corona-Hochphase in den Monaten April und Mai hat die Politik uns Verpflegungspauschalen für unsere Mitarbeiter gewährt. Das war eine tolle politische Aktion. Doch jetzt müssen wir das Geld wieder zurückbezahlen. Denn im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass wir die Anfang Mai ausbezahlten Pauschalen bis zum 31. Mai hätten ausgeben müssen. Da hätten wir unsere Mitarbeiter jeden Tag mit Sekt und Kaviar bewirten müssen, um das zu schaffen. Da wiehert doch der Amtsschimmel. Aus unserer Sicht geht das völlig am politischen Willen vorbei.
Alexander Schraml: Und man sollte sich mal überlegen, wie das bei den Beschäftigten oder den Klinikleitungen ankommt. Gerade bei den kommunalen und freigemeinnützigen, die wir vertreten, die in der Corona-Hochphase alles gemacht haben, um das System am Laufen zu halten. Und dann kommt so eine Retourkutsche, da hätten sie es lieber gleich sein gelassen.

Stapper: Wir haben zwei Zielrichtungen: Zum einen wollen wir durch das Netzwerk die Kliniken stärken, Informationen weitergeben und die Zusammenarbeit forcieren, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muss. Zum anderen wollen wir unsere Träger, Bürgermeister, Landräte oder Generaloberen, für die Themen der Krankenhäuser sensibilisieren und darüber hinaus die Politiker auf den nächst höheren Entscheidungsebenen informieren. Wir sagen ihnen, wie es in der Praxis aussieht und hinterlegen das mit konkreten Zahlen aus unseren Mitgliedshäusern.
Schraml: Das Fallpauschalensystem ist nicht per se schlecht. Wir beobachten aber, dass die kleineren Häuser zu kurz kommen, weil dieses System für größere Kliniken mit einer besseren Verteilung der Overheadkosten kalkuliert ist. Da bleiben die Kleinen auf der Strecke, weil sie sich vieles nicht mehr leisten können. Was die versorgungspolitische Aufgabe der Krankenhäuser angeht, ist das eine Katastrophe. Es droht so etwas wie eine Krankenhausplanung auf die kalte Art.
Stapper: Wir brauchen eine Änderung im bestehenden System. Denn unser Problem ist, dass wir aus den Krankenhaus-Entgelten auch Investitionen bedienen müssen, für die eigentlich das Land zuständig ist. Und da reden wir noch nicht einmal von Neubauten, sondern von Ausgaben, um die Medizintechnik auf dem neuesten Stand zu halten. Das führt zu einer Lücke im Haushaltsetat.
Stapper: Kommunale Krankenhäuser haben einen gesetzlichen Anspruch auf 100 Prozent Förderung. Bayern schüttet im Vergleich zu anderen Bundesländern noch viel aus. Dennoch ist unstrittig, dass mindestens ein Drittel an dieser Fördersumme insgesamt fehlt.
Schraml: Nur zur Klarstellung: Das ist keine Subvention oder ein Almosen, sondern ein gesetzlicher Anspruch auf 100 Prozent.
Schraml: In Bayern wurden Anfang der 90er Jahre jährlich rund 664 Millionen Euro an Förderung an die Kliniken verteilt. Diese sind bis vor wenigen Jahren auf 430 Millionen Euro abgesenkt worden. Die Erhöhungen der letzten Jahre sind zwar zu begrüßen, reichen bei weitem aber nicht aus, um den Bedarf der Kliniken zu decken. 2019 wurden insgesamt 643 Millionen Euro Fördermittel in Bayern für Krankenhäuser zur Verfügung gestellt. Bezogen auf das Niveau von 1991 sind dies kaufkraftbereinigt 400 Millionen Euro.
Stapper: Und wenn man in die Zukunft schaut, lässt sich mit Blick auf die hohen staatlichen Ausgaben in der aktuellen Corona-Pandemie jetzt schon prognostizieren, dass das Geld noch knapper wird. Die Städte und Landkreise werden ihre Krankenhäuser dann nicht mehr quersubventionieren und die Defizite in der Größenordnung der vergangenen Jahre ausgleichen können.
Stapper: Dann entscheidet der politische Wille. Dann wird sich zeigen, wie stark der Träger hinter seiner Einrichtung steht. Das eigentliche Dilemma ist, dass hier eine marktwirtschaftliche Macht und nicht die Planungsstrategie des Gesetzgebers greift.
Stapper: Wir versuchen, auf die Problematik und die Missstände aufmerksam zu machen. Wir haben schon vor Jahren Vorschläge zu Reformansätzen gemacht und den Entscheidungsträgern die Situation deutlich vor Augen geführt. Die Problematik ist bekannt.
Schraml: Die Eigentümer müssen jetzt wach werden. Wir haben schon einige KKB-Kliniken verloren. 2013 wurde das Krankenhaus in Uffenheim geschlossen, 2017 das in Karlstadt. Und nur, weil man sich den Betrieb nicht mehr leisten konnte. Das hat nichts mit Krankenhausplanung zu tun. Das ist reiner Zufall, wen es erwischt. Wir hätten heute noch fünf bis sechs Kliniken mehr, wenn die Ausgangssituation noch wie vor zehn Jahren wäre.
Schraml: Man muss mal mit diesem Mythos aufhören, dass es der Pflege finanziell so schlecht geht. Gerade kommunale und freigemeinnützige Träger zahlen gute Gehälter. Wir merken gerade jetzt, vielleicht auch durch Corona, dass es eine sehr hohe Nachfrage nach Pflegeausbildung gibt. Es geht nämlich nicht allein ums Geld, sondern auch um die Mentalität und die Überzeugung für diesen Beruf. Und es geht um gesellschaftliche Anerkennung der Leistungen in der Pflege.
Stapper: Geld ist wichtig, aber es ist nicht das entscheidende Kriterium. Was die Pflegekräfteumtreibt, sind die Arbeitsbedingungen, die Work-Life-Balance ist ebenso wichtig. Die Pflege ist ein Dienst rund um die Uhr. Da muss man kreative Arbeitsmodelle schaffen, um den Menschen in der Pflege gerecht zu werden. Am St. Josef-Krankenhaus in Schweinfurt haben wir zum Beispiel einen Springerpool installiert, um Ausfälle bei einzelnen Pflegekräfte kompensieren zu können. Die individuelle Belastung wird damit minimiert und auch der Organisationsaufwand der Stationsleitungen reduziert.
Schraml: Die KKB hat eigens einen Arbeitskreis Pflege eingerichtet. Wir wollen, dass die Themen der Pflege gehört werden. Missstände müssen angeprangert werden. Aber die Pflege muss endlich aufhören, sich selbst zu entwerten, sonst kommt sie aus dem Jammertal nicht heraus.
Stapper: Wir sind nur noch am Dokumentieren. Die Bürokratie ist mittlerweile integraler Bestandteil der pflegerischen und ärztlichen Arbeit geworden.
Schraml: Das Hauptproblem liegt darin, dass wir den Gesundheitsbereich nahezu 100 Prozent ökonomisiert haben. Wir haben Ärzte eingestellt, um Abrechnungen für Krankenhäuser zu machen. Dabei bräuchten wir sie am Bett. Wir beschäftigen Heerscharen von Pflegekräften, um die Dokumentationen zu erstellen. Und bei den Krankenkassen sind ebenfalls Heerscharen von Mitarbeitern, um das alles zu kontrollieren. Unsere Gesellschaft ist schon etwas dekadent, dass sie sich so etwas leisten kann. Wir müssen das Koordinatensystem ändern. Sparsamkeit ja, auch Wirschaftlichkeit, aber keine derartige Überregulierung.
Schraml: Die Untergrenze bringt auch ein Haftungsrisiko mit sich und führt letztlich dazu, dass Kliniken Patienten abweisen müssen, wenn sie die Untergrenze nicht gewährleisten können. Wir haben alle schon Patienten weggeschickt. Ich würde mir wünschen, dass die Pflegeuntergrenzen wieder aufgehoben werden. Die Unternehmen brauchen Flexibilität, wo und wie sie ihre Pflegekräfte einsetzen.
Stapper: Wir haben uns viele Jahre Gedanken gemacht, wie die Tätigkeiten zwischen Fach- und Hilfskräften sinnvoll aufgeteilt werden können. Durch die Pflegepersonaluntergrenzen wird dieses Arbeitsteilige leider wieder ad absurdum geführt.
Stapper: Corona hat diese Diskussion unterbrochen und deutlich gezeigt, wie wichtig die Krankenhäuser sind, nicht nur die Schwerpunktversorger, sondern auch die Grund- und Regelversorger, weil alle in einem Netzwerk übergreifend agiert haben. Von daher hoffe ich, dass sich die Politiker auch später noch daran erinnern.
Schraml: Wir schauen realistisch in die Zukunft. Es wird nicht gejammert, es wird geklagt. Aber wir klagen mit Grund. Wir machen es, weil wir überzeugt sind, dass es dem Gemeinwohl dient.
Stapper: Und die Patienten spiegeln uns ein stückweit wider, dass sie das bei uns finden.
Jeder meint mit ein paar Euro im Monat für sich und die ganze Familie kann er Premium-Betreuung, die modernste und teuerste Behandlung und die besten Medikamente erwarten.
Wenn es um den Urlaub oder die Alufelgen für das Auto geht sind viele lockerer mit ihrem Geld als wenn es um die eigene Gesundheit geht.