Am 2. Dezember kann das Mainfranken Theater Würzburg endlich den neuen Kopfbau eröffnen. Die neue Spielstätte am Faulhaber-Platz beherbergt das Kleine Haus mit gut 300 Plätzen, den Ballettsaal und die Probebühne, auf der auch Aufführungen stattfinden werden. Die ersten Stücke am ersten Abend sind zwei Dramen des derzeit meistgespielten Autors deutscher Sprache, Roland Schimmelpfennig: "Der Kreis um die Sonne" und "Der Riss durch die Welt".
Im Gespräch erklären Intendant Markus Trabusch und Schauspieldirektorin Barbara Bily, wie es sich anfühlt, ein nagelneues Theater in Betrieb zu nehmen - und warum sie ganz bewusst nicht mit einem Klassiker eröffnen.
Markus Trabusch: Einfach nur toll. Es ist großartig, wenn man zum ersten Mal die Wirkung eines Raums auslotet. Wenn man da plötzlich 14 Schauspieler und Schauspielerinnen hat und merkt, was die Besonderheiten sind. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass man sofort damit umgehen kann, auch bei sehr guter Akustik, siehe Elbphilharmonie. Es sind beglückende Proben für mich, aber auch extrem fordernd. Zum Beispiel muss man ständig drei Höhenlagen im Saal überprüfen. Ist die räumliche Struktur interessant? Ist sie nicht interessant? Das können Sie von unten alleine gar nicht beurteilen.
Barbara Bily: Ich bin vor allem wahnsinnig aufgeregt. In der Hoffnung, dass alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, dass die Stücke gut funktionieren. Karten werden ja schon ganz viele verkauft. Der Laden läuft, bevor es überhaupt losgeht. Das heißt, es gibt ein großes Bedürfnis, die Stücke zu sehen und das Haus zu besuchen.
Trabusch: Es war eine klare und nicht ganz unmutige Entscheidung zu sagen, das Haus ermöglicht Gegenwartsdramatik in dieser Stadt, wie sie noch nie ermöglicht worden ist, und deswegen eröffnen wir damit. Ein vernünftiger Impresario würde wahrscheinlich sagen: Shakespeares "Sommernachtstraum" muss es sein!
Trabusch: Gegenwartsdramatik auf der großen Bühne haben Sie nur in Spurenelementen, und die waren immer zum Scheitern verurteilt, selbst tolle Abende. Dazu war das Haus einfach zu groß. Und was Sie früher in der Kammer gemacht haben, bestach durch die Nähe, aber es gingen eben nur sehr kleine Produktionen, deren Anspruch auf Welthaltigkeit automatisch begrenzt war.
Bily: Ursprünglich, also im März 2020, sollte am ersten Wochenende auch die Oper "Karl und Anna" von Christoph Ehrenfellner laufen, zu der Roland Schimmelpfennig das Libretto geschrieben hat. Dann hätte man gleich das Musiktheater mit einer Uraufführung eingeführt. Diese ursprüngliche Konstellation hat sich durch die vielen Verschiebungen zerschlagen.
Bily: Ja, auf jeden Fall. Wir haben auch diskutiert, ob man das jetzt noch bringen kann. Wir wollen das doch eigentlich alle hinter uns lassen, aber letztendlich merken wir, wir können es nicht. In der "Süddeutschen" wurde der gesamten Menschheit eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert, und da ist total viel dran. Deshalb haben wir an diesen beiden Stücken festgehalten. Aber wir haben ja auch ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm im Spielplan, weil man natürlich sieht, was die Menschen in die Theaterhäuser zieht. Zu Recht!
Trabusch: Das Bedürfnis nach Unterhaltung in Gesellschaft live, das scheint in der Krise - und wir befinden uns ja in einer Kriegskrise, doppelt und dreifach - vehement zu sein. Darauf reagieren die Theater um uns herum und wir auch. So viele auf Unterhaltung bezogene Produktionen im Spielplan hatten wir selten. Aber Schimmelpfennig macht ja kein Dokumentartheater. Es ist kein Stück über Corona, das Wort fällt noch nicht mal. Er ist der richtige Autor, um das so poetisch zu umspielen. Das hat fast therapeutische Wirkung.
Trabusch: Es geht um all das, ja, aber ich würde es darauf nicht verengen wollen. Es geht darum, wie wir es schaffen, angesichts der - auch durch Corona - immer größer werdenden Risse in der Gesellschaft noch eine Gesprächsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Das Stück ist nicht so beinhart, dass man erschüttert rausgeht. Aber es zeigt, wie schnell Kommunikation zum Erliegen kommen kann, weil die Gräben der Weltanschauung, der Lebensweise zu groß sind. Das erleben wir ja gerade ständig.
Bily: Die Gesprächsfähigkeit war vorher schon weg. Das ist, glaube ich, mit Corona erst so richtig zutage getreten. Deshalb waren alle so erschrocken, wie weit entfernt man zum Teil voneinander steht. Und dann gab es plötzlich ein Problem, das man als Gemeinschaft hätte lösen müssen, und hat gemerkt, ach so, das funktioniert nicht. Wir haben lange in einer guten Situation gelebt, was ja schön war, aber wir haben sie nicht genutzt, um uns weiterzuentwickeln. Wir haben stagniert - in Konsum, in Selbstgefälligkeit, Ignoranz, Bequemlichkeit. Wir haben es uns gemütlich gemacht, und dabei sind bestimmte Werkzeuge verlorengegangen. Jetzt müssen wir die mühsam irgendwie wieder einsammeln. Und man weiß gar nicht, wo anfangen?
Trabusch: Das beobachte ich bei mir selbst. Es gibt Kommunikation, von der ich glaube, dass sie nicht mehr zielführend ist. Ich bemerke den Riss. Nur eines von vielen Beispielen: Das geduldige Diskutieren mit Impfgegnern, Entschuldigung, dazu fehlt mir mittlerweile irgendwann der Nerv.
Trabusch: Ich verweise auf den Roten Faden der Spielzeit, der kommt genau da her. Das nicht nachlassende Bemühen, Licht ins Dunkel zu bringen, das heißt, den Fakten auf der Spur zu bleiben. Das muss uns doch antreiben als aufgeklärte Wesen, aber wir scheitern immer häufiger.
Bily: (zu Trabusch) Du schaust ja immer, als wäre es Tennis, mit maximaler Anspannung.
Trabusch: Seit ich Leitungsfunktionen für ein Haus habe, habe ich mir mühsam antrainiert, die eigenen Premieren auch anzusehen. Vorher bin ich so lange ums Haus gerannt, bis die Vorstellung zu Ende war. Sie glauben gar nicht, wie oft man an einem Abend um das Areal der Oper Frankfurt gehen kann. Ich werde sicher nicht drinsitzen. Ich werde vielleicht hinten beim Ton oder Licht stehen, aber die Sitze im Saal sind für meine Anspannung einfach zu eng, die Sitznachbarn würden in Mitleidenschaft gezogen.
Bily: Für mich wird es der Moment sein, wo ich mich freue. Wenn es losgeht, ist der Druck weg und ich will einfach sehen. Ich schaue wahnsinnig gerne Premieren.
Das Eröffnungswochenende: Roland Schimmelpfennig, Doppelabend mit "Der Kreis um die Sonne" und "Der Riss durch die Welt" am Samstag, 2. Dezember, um 19.30 Uhr. Michael Ende, "Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch", am Sonntag, 3. Dezember, um 15 Uhr. Premiere Tanz, "Hautnah" auf der Probebühne, 3. Dezember um 18 Uhr. Restkarten gibt es unter Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de