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Würzburg
Kindheitstraum trifft Realität: Was eine Würzburger Kinderärztin im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen erlebt hat
Mit einem Projekt in der Zentralafrikanischen Republik ging für Simone Kenntner ein langjähriger Wunsch in Erfüllung: einmal bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen arbeiten.
Die Kinderärztin Simone Kenntner auf der Neugeborenenstation des Krankenhaus in Bossangoa, zentralafrikanische Republik.
Foto: Ärzte ohne Grenzen e.V. / Médecins Sans Frontières | Die Kinderärztin Simone Kenntner auf der Neugeborenenstation des Krankenhaus in Bossangoa, zentralafrikanische Republik.
Annika Benthe
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:58 Uhr

Eine unvorhersehbare Sicherheitslage, instabile Systeme und eine bereits seit langer Zeit schwelende Ernährungskrise: Die Auswirkungen des blutigen Bürgerkriegs von 2013 in der Zentralafrikanischen Republik sind für die Menschen vor Ort noch täglich spürbar. Eingetaucht in diese, von der Öffentlichkeit mehrheitlich vergessene Parallelwelt, ist Simone Kenntner, eine Würzburger Kinderärztin. Knapp zehn Monate lang betreute sie ein Projekt in der Stadt Bossangoa, bei dem unterernährte Kinder, Malaria und ein eingezäunter Wohnbereich ihren Alltag bestimmten. Warum die Medizinerin in all dem Leid dennoch viele kleine Momente des Glücks fand.

Ein Kindheitstraum wird wahr 

"Seit ich wusste, dass ich Ärztin werden will, war klar, dass ich mit der Organisation Ärzte ohne Grenzen arbeiten möchte", erinnert sich Simone Kenntner. Es sei dann weitergegangen, wie mit vielen Träumen: Mal war der Traum mehr, mal weniger präsent. Doch nach fünf Jahren an der Universitäts-Kinderklinik in Würzburg war es so weit. Auf einen langwierigen und intensiven Bewerbungsprozess mit anschließendem Vorbereitungskurs in Tropenmedizin folgte das Angebot von Ärzte ohne Grenzen (MSF), sie könne Anfang Oktober 2021 in die Zentralafrikanische Republik (ZAR) fliegen.

Von Paris aus ging es über die Hauptstadt der ZAR, Bangui, weiter nach Bossangoa. Kenntner betreute während ihres Einsatzes einige Stationen des dortige Distrikt-Krankenhauses, das 2013 von MSF übernommen wurde, nachdem die medizinische Versorgung des Landes zusammengebrochen war. Mittlerweile besteht das Projekt in Zusammenarbeit mit nationalen Kräften. 

Momente der Hoffnung an einem Ort voller Leid

Zusammen mit einem Team aus drei bis fünf nationalen Ärzten war Kenntner sowohl für die Kinder-, Kinderintensiv-, Neugeborenen-, und Mangelernährungsstation sowie für die Notaufnahme zuständig. Die sich zuspitzende Ernährungskrise in der Region sorgte zusammen mit der stark saisonal auftretenden Malaria zeitweise über Nacht für eine extreme Überbelegung der Betten auf allen Stationen. "Man will niemanden abweisen: Außenrum ist nichts, da hilft dann kein Anderer", erklärt Kenntner. Deshalb seien Zelte aufgebaut worden. 

"Man will niemanden abweisen: Außenrum ist nichts, da hilft dann kein Anderer."
Simone Kenntner, Kinderärztin

Das einzig Gute: Selbst schwere Malaria sei durch einfache Medikamente behandelbar. "Obwohl das Kind schwer krank ankommt: Die meisten gehen dann doch wieder nach Hause. Das gibt einem in all dem Leid Hoffnung", sagt Kenntner. Kleine medizinische Wunder erlebte sie dank eines engagierten Teams bei der Behandlung von Krankheiten, die in Deutschland auf Grund von Impfungen verschwunden sind, wie dem Wundstarrkrampf Tetanus, oder bei durch Pneumokokken-Bakterien bedingten Hirnhautentzündungen.

Alltag ohne Alltägliches

"Meinen morgentlichen Energie-Kick hab' ich mir beim Frühstück geholt. Es gab selbstgemachte Erdnussbutter auf frischem Brot von unserem Nachbarn, der Bäcker war", erzählt Simone Kenntner. Die Energie habe sie dringend gebraucht, denn ihre Zeit verbrachte sie hauptsächlich auf der Arbeit. Gewohnt haben alle internationalen Hilfskräfte, von denen der überwiegende Anteil französischsprachig war, in einem umzäunten Bereich. Verlassen wurde dieser nur für den Hin-und Rückweg zum Krankenhaus.

Ein Teil der Intensivstation in Bossangoa, Einsatzort von Simone Kenntner.
Foto: Ärzte ohne Grenzen e.V. / Médecins Sans Frontières | Ein Teil der Intensivstation in Bossangoa, Einsatzort von Simone Kenntner.

Ausgleich zu den belastenden Eindrücken der Arbeit fand die internationale Gruppe beim gemeinsamen Sport und den samstäglich veranstalteten Tanzabenden. Neben Französisch und Englisch habe sie aber mit der Zeit noch ein paar andere Sprachkenntnisse anwenden können. "Ich habe sogar ein bisschen Sango, die Nationalsprache gelernt, denn die Patientinnen und Patienten und deren Familien sprechen eigentlich nur das, und ich war auf Übersetzungen angewiesen", sagt Kenntner. Wenn sie neue Wörter ausprobiert hat, seien die Mütter häufig zuerst perplex gewesen, und im Anschluss sei große Freude und viel Geschnatter ausgebrochen. 

Einfache Mittel, große Wirkung

Die Kinderärztin beschreibt die Zusammenarbeit mit lokalen Kräften als sehr angenehm, denn trotz der wenigen Pfleger hätten alle gewusst, was sie tun. Trotzdem kam es manchmal zu verblüffenden Situationen. "Ich war beeindruckt von den Kompetenzen des Teams, und wie es mit knappen Ressourcen zurechtkommt", so Kenntner. Einige Pflegerinnen und Pfleger seien zu Beginn nicht bewandert im Umgang mit Reanimationen gewesen. Als Reaktion führte die Deutsche Schulungen mit Simulationspuppen durch und erreichte damit schnelle Erfolge.

"Natürlich sehen diese Menschen im Verlauf der Jahre Ärzte kommen und gehen, merken dabei, was funktioniert, und was nicht. Deshalb setzen sie auch nur das um, was sie für effektiv halten", stellt Kenntner fest. Ihr pragmatischer Ansatz sei darum die Frage gewesen: Was ist das Problem, und wie kann man in diesem speziellen Fall helfen? So konnte sie mit einfachen Mitteln, wie Herzdruckmassagen, Antibiotika oder Tabellen für Medikamentendosen viel bewirken.

Mit frischem Wind zurück an die Uniklinik

Zurück aus der Zentralafrikanischen Republik muss sich Kenntner ab Anfang Oktober wieder mit einem ganz anderen Gesicht der Medizin beschäftigen. "Nach einer kurzen Ruhephase über den Sommer freue ich mich jetzt auf meine Arbeit an der Uniklinik", sagt die Kinderärztin. Sie möchte aber weiterhin Sprachrohr sein und aufmerksam machen auf die vergessene Krise in einem Land, das so vielen unbekannt ist. Ob sie irgendwann wieder mit Ärzte ohne Grenzen ins Ausland gehen würde, wisse sie zwar nicht, "aber der Funke ist übergesprungen. Und das Schöne bei Ärzte ohne Grenzen ist, dass man jederzeit spontan wieder in ein Projekt gehen könnte", so Kenntner.

 
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Kommentare
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Die lauten Selbstdarsteller, die willig und mit billiger Heldenattitüde bei jeder neuen Modebewegung mitrennen und sich dabei noch als großartige Weltenretter vorkommen finden in dieser Gesellschaft derzeit noch mehr Beachtung als Menschen, die im Stillen ehrliche, harte und nützliche Arbeit leisten.

    Aber es könnte durchaus sein, dass eventuell kommende Not- und Umbruchszeiten die Dinge auch bei uns wieder geraderücken.
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  • E. B.
    Sehr geehrte Frau Dr. Kenntner,
    ich habe heute den Zeitungsartikel online gelesen. Respekt für Ihren Einsatz.
    Das ist gelebte Nächstenliebe, die in unserer egozentrischen Gesellschaft leider immer kürzer kommt. Vor Ort sind es oft einfache Mittel, die zu einer Lösung benötigt werden.
    Machen Sie weiter so.
    Ich bin im Vorstand eines Vereins (Christen-für-Strassenkinder.de), der es zum alleinigen Inhalt hat, ein Kinderheim in Bangalore / Indien (Südindien) zu fördern.
    Ich kenne von daher den unendlichen Bedarf an Fürsorge, medizinische Betreuung, Zuwendung, Bildung, Ansprache u.v.m.
    Gerne freue ich mich über einen Kontakt: eduard.bardorf@bardorf.de.

    Liebe Grüße
    Eduard Bardorf
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  • T. F.
    Sehr interessanter Artikel!
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  • R. B.
    Sehr geehrte Frau Kenntner, ich habe zufällig gestern bereits einen Bericht im Radio über Ihren Aufenthalt in Afrika gehört. Ich bewundere Ihre Arbeit und Ihr Engagement, das ist gelebter Idealismus. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für das was Sie tun, denn wie ich im Radio gehört haben, sehen Sie auch viele Kinder sterben, weil ein funktionierendes Gesundheitssystem wie wir es kennen, nicht existiert. Von Ihnen könnten sich viele junge Menschen eine Scheibe abschneiden, vor allem Jene, welche hier nur einfordern und die Gesellschaft terrorisieren, in dem sie sich auf die Straße kleben oder sonst unnütze Dinge veranstalten, anstatt einmal etwas sinnvolles für die Gesellschaft und das Gemeinwohl zu tun.
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