
Vor vier Jahren kämpfte Christian Kleine bei der schweren Epidemie in Westafrika gegen das Ebola-Virus. Im vergangenen Jahr war er in Uganda im Kampf gegen das Marburg-Virus im Einsatz. Gerade kommt der Tropenmediziner am Missionsärztlichen Institut in Würzburg aus dem Kongo zurück. Dort ist im August eine Ebola-Epidemie ausgebrochen. Die bislang zweitgrößte weltweit seit der Entdeckung des Virus 1976. Anders als bei der verheerenden, weltweit bislang schwersten Ebola-Epidemie in Liberia, Guinea und Sierra Leone 2014 ist die internationale Hilfe beim jüngsten Ausbruch im Kongo in diesem Sommer schnell angelaufen. Dennoch ist Ebola auch nach Monaten nicht unter Kontrolle. Täglich meldet das kongolesische Gesundheitsministerium neue Fälle, sagt Christian Kleine. In der 400 000 Einwohner-Stadt Beni im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo war der 42-Jährige vier Wochen für "Ärzte ohne Grenzen" im Einsatz.
Herr Kleine, Einsatz im Kongo während der Ebola-Epidemie. Wann sind Sie gerufen worden?
Christian Kleine: Superkurzfristig. Eine Woche vor Abflug. „Ärzte ohne Grenzen“ hatte schon mehrfach angefragt, aber ich sitze hier ja nicht auf gepackten Koffern. Im November konnte mich das Missio dann freistellen.
Waren Sie geimpft?
Kleine: Ich bin vor Ort geimpft worden. Aber das ändert nichts an der Arbeitsweise.

Kampf gegen die Ebola-Epidemie – wie ist die Arbeitsweise?
Kleine: Es läuft immer nach dem gleichen Schema ab, in Behandlungszentren in einer Hochrisikozone. Wir arbeiten in Schutzanzügen, um nicht mit den Körperflüssigkeiten der Kranken in Berührung zu kommen. Die Tatsache, dass ich geimpft bin, ändert überhaupt nichts. Ohne Impfung hätte ich genauso gearbeitet wie sonst. Sie ist noch nicht zugelassen, wie lange und gut sie hält, kann man jetzt noch nicht sagen. Aber wir haben schon die große Hoffnung, dass sie in Zukunft bei der Bekämpfung der Ausbrüche eine große Rolle spielt.
Angst?
Kleine: Sollte man nicht haben. Aber Respekt vor dem Virus! Sonst kann man diese Aufgabe nicht übernehmen. Die Arbeit ist extrem anstrengend. Wir arbeiten von 7 Uhr früh bis Einbruch der Dunkelheit abends um Sechs, nachts hatte ich Bereitschaft.
Wie läuft die Bekämpfung ab, wie muss man sich das vorstellen?
Kleine: Ärzte ohne Grenzen unterhält in Beni ein Transitzentrum. Ich habe dort, wie ein Oberarzt, ein Team von elf Ärzten angeleitet, Dienstpläne geschrieben, Patienten behandelt. Wir nehmen dort Verdachtsfälle auf, also Patienten mit Symptomen wie Fieber, und testen sie auf Ebola. Und zwar unter Sicherheitsvorkehrungen, in Schutzanzügen. Wenn der Test positiv ist, werden sie ins benachbarte Ebola-Behandlungszentrum hier in Beni gebracht. Ist er negativ bleiben die Patienten bei uns und machen noch einen zweiten Test zur Sicherheit. Das betrifft 90 Prozent der untersuchten Patienten, wir können sie dann gegen die anderen Krankheiten wie Malaria oder Lungenentzündung behandeln oder in ein anderes Krankenhaus bringen. Das ist ja das Problem bei solch einer Epidemie: Dass auch Ärzte und Krankenpfleger erkranken und das komplette Gesundheitssystem leidet. Eine Reihe von Gesundheitsstationen sind kontaminiert oder nicht mehr funktionstüchtig. Es sterben ganz viele Menschen nicht nur an Ebola, sondern wegen Ebola.
Warum lässt sich diese Epidemie trotz des Impfstoffs und neuer Medikamente nicht in den Griff bekommen?
Kleine: Das große Problem ist die Gewalt in der Region, sie ist allgegenwärtig. Wir arbeiten in einem Konfliktgebiet, vor allem im Dschungel operieren zahlreiche Rebellengruppen. Dort können die Menschen nicht behandelt werden, Kontakte können nicht nachverfolgt werden. Die Gewalt kann auch Hilfsmaßnahmen immer wieder kurzfristig zum Stillstand bringen. Das macht es extrem schwierig, den Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen.
Was heißt das, Kontakte nachverfolgen?
Kleine: Die Inkubationszeit, also die Zeit, bis das Virus ausbricht und Symptome hervorruft, beträgt 21 Tage. Also müssen wir wissen, mit wem die Patienten in den vergangenen drei Wochen Kontakt hatten, müssen sie überwachen und bei Fieber sofort testen. Mittlerweile werden alle Kontaktpersonen vorsichtshalber geimpft.

Klingt schwierig.
Kleine: Es ist nicht einfach. Vor allem gilt es, viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Man muss versuchen, Vertrauen zu gewinnen. In der Bevölkerung herrscht ein großes Misstrauen - einfach schon dadurch, dass die Menschen in einer Konfliktregion leben und nicht wissen, wem sie trauen können. Viele verstecken sich im Dschungel. Wir begegnen auch immer wieder der Angst vor den Behandlungszentren selbst, weil der Eindruck herrscht, dass man dort stirbt. Und nicht zuletzt muss man oft erst einmal das Konzept eines Virus erklären. Immer wieder kommt es vor, dass Dorfälteste oder traditionelle Heiler das nicht akzeptieren.
2014 erlebten Sie in Westafrika die schlimmste Ebola-Epidemie der Geschichte mit über 11 000 Toten. Zwei Jahre dauerte sie. Mit welcher Dauer rechnen Sie beim aktuellen Ausbruch?
Kleine: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Ausbruch ist nicht unter Kontrolle, er breitet sich weiter aus. Und wir sehen immer wieder neue Infektionsketten, bei denen uns nicht klar ist, wo die Menschen sich angesteckt haben. Die Bevölkerung ist hier genauso mobil wie 2014 in den betroffenen Staaten in Westafrika. Die Menschen sind extrem viel unterwegs. Da verbreitet sich so eine Krankheit rasend schnell.
Kann man die Epidemien vergleichen? Gibt es von medizinischer Seite Unterschiede?
Kleine: In Westafrika kamen ganz zum Schluss schon Impfungen im Rahmen erster Studien zum Einsatz, jetzt wird in großem Umfang geimpft, vor allem medizinisches Personal und die Kontaktpersonen der Erkrankten. Wie gesagt, wie stark und anhaltend der Impfschutz ist, kann man noch nicht sagen. Aber er gilt als vielversprechend. Neu ist auch, dass jetzt vier bis fünf Medikamente zur Behandlung zur Verfügung stehen, die den Erkrankten im Rahmen von Studien gegeben werden, darunter Antikörper-Cocktails oder Virostatika. Dass die Sterblichkeit trotzdem weiter sehr hoch ist, liegt auch daran, dass viele Erkrankte erst sehr spät in Behandlungszentren kommen.
Hoch heißt?
Kleine: Aktuellsind 549 Ebola-Patienten registriert, 326 von ihnen sind gestorben.
An diesem Sonntag hätte im Kongo Präsidentschaftswahl sein sollen. In letzter Minute wurde sie um eine Woche verschoben, weil bei einem Großbrand Wahlunterlagen und Wahlmaschinen zerstört wurden. Was bedeutet die Wahl für die Epidemie?
Kleine: Das könnte die Sicherheitslage sich noch einmal verschärfen und Hilfsmaßnahmen zusätzlich bremsen. Wir befürchten auch eine mögliche überregionale Ausbreitung auf Nachbarländer, gerade wegen der hohen Mobilität der Bevölkerung und der nahen Grenzen.
Die Grenzen zu schließen . . .
Kleine: . . . würde allerdings die Bekämpfung des Virus nur noch mehr behindern. Menschen finden immer einen Weg, Grenzen zu passieren. Und bei offiziell geschlossenen Grenzen wird dann die Nachverfolgung von Infizierten und deren Kontaktpersonen viel schwieriger.