Wenn Lena W. (Name geändert) überprüfen möchte, ob ihre Mieterhöhung rechtens ist, dann muss sie in der Nachbarschaft klingeln. Ihr Vermieter hat vier mehr als doppelt so teure sogenannte Vergleichswohnungen in eine Tabelle geschrieben, um seine Mieterhöhung zu begründen. Würzburg ist eine der letzten deutschen Städte mit Wohnungsnot, in der Vermieterinnen und Vermieter ihre Mieten mit frei wählbaren Vergleichswohnungen begründen dürfen – das macht es für sie leicht zu tricksen.
In Würzburg ist "die ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Mietpreisen gefährdet". Das befand die bayerische Landesregierung, als sie im August 2015 die Mietpreisbremse auch in Würzburg einführte. Die Mieten waren in Würzburg zuvor in fünf Jahren um 39 Prozent gestiegen. Ergeben hatte das eine Erhebung des Immobilienportal-Betreibers immowelt Group. Würzburg war demnach die Stadt mit dem höchsten Mietanstieg in ganz Bayern.
Die Mietpreisbremse sollte Abhilfe schaffen - und zwar mit einer Obergrenze für Mieten: die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete. Das ist die Miete, die in der Nachbarschaft für vergleichbaren Wohnraum gezahlt wird. In vielen deutschen Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt kann man die ortsübliche Vergleichsmiete im Mietspiegel finden: Mit ein paar Klicks am Computer kann so eine angemessene Miete für eine Wohnung berechnet werden.
Würzburg ist eine der wenigen deutschen Städte ohne Mietspiegel
Laut Mietspiegelreport der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung haben nur noch 18 der 200 größten Städte Deutschlands keinen Mietspiegel, obwohl dort die Mietpreisbremse gilt. Würzburg zählt dazu.
"Die Stadt kann sich seit sieben Jahren nicht dazu durchringen, einen Mietspiegel zu erstellen", sagt Edgar Hein vom Mieterverein Würzburg. Stattdessen können Vermieterinnen und Vermieter die ortsübliche Vergleichsmiete mit frei wählbaren Wohnungen begründen, und Mieterinnen und Mieter müssen bei den Vergleichswohnungen nach dem Quadratmeterpreis fragen, um ihre Miete auf Angemessenheit zu prüfen. Das geschehe aber selten, sagt Hein: "Für viele Menschen, vor allem berufstätige und ältere, ist das zu aufwändig." Außerdem überprüften Menschen, die gerade erst eine Wohnung gefunden hätten, nicht gleich ihre Miete auf Angemessenheit.
Vergleichsmieten: Die Praxis ist intransparent
In Lena W’s Fall nannte ihr Vermieter vier Wohnungen aus der Nachbarschaft, die ihrer Wohnung in Lage, Baujahr und Ausstattung ähneln. Der einzige Unterschied: Lena W. zahlte sechs Euro pro Quadratmeter, die Mieterinnen und Mieter der Nachbarhäuser zahlten angeblich knapp 16 Euro. Ein Quadratmeterpreis, der laut Wohnmarktbericht der Sparkasse Mainfranken weit über einer ortsüblichen Miete von etwa zehn Euro pro Quadratmeter liegt.
Wie intransparent die Praxis mit den Vergleichsmieten ist und wie einfach es für Vermieterinnen und Vermieter ist zu tricksen, wird deutlich, wenn man versucht, die von Lena W’s Vermieter genannten Wohnungen zu überprüfen: Neben den Quadratmeterpreisen sind die Adressen der Vergleichswohnungen notiert. Dazu ist ihr Vermieter verpflichtet. In einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2002 heißt es dazu: "Der Mieter muss die Wohnungen ohne Aufwand auffinden und die Angaben des Vermieters überprüfen können." Ist das nicht möglich, gilt die Mieterhöhung als wirkungslos.
Zwei der Wohnungen gehören Lena W’s Vermieter
Zwei der genannten Wohnungen aus Lena W’s Tabelle liegen im Nachbarhaus – laut Grundbuchamt gehören sie ebenfalls Lena W’s Vermieter. In der einen Wohnung scheint niemand zu wohnen, vor der Tür stehen ein paar Eimer Farbe, niemand macht auf. Ein Stockwerk tiefer, bei der zweiten Vergleichswohnung, öffnet eine junge Frau. Wieviel Quadratmeter die Wohnung habe und wie hoch die Miete genau sei, wisse sie nicht. Sie sei vor drei Monaten mit zwei Mitbewohnern eingezogen, einen Mietvertrag gebe es nicht. Grund sei ein Streit mit dem Vermieter.
200 Meter Richtung Innenstadt steht das Haus, in dem die zwei anderen Vergleichswohnungen liegen. Der Quadratmeter soll hier laut Tabelle von Lena W’s Vermieter knapp 16 Euro kosten. In der Wohnung im zweiten Stock bleibt die Tür verschlossen. In der baugleichen Wohnung im ersten Stock öffnet ein junger Mann.
Falsche Quadratmeterangaben in zwei Wohnungen
Eingezogen seien er und seine Mitbewohner vor zwei Jahren. Klar, die Miete sei ziemlich hoch, sagt er, "aber nach zehn Absagen nimmt man, was man kriegen kann". Ob er wisse, dass die durchschnittliche Miete in dieser Lage und bei dieser Ausstattung laut Wohnmarktbericht der Sparkasse Mainfranken eher bei zehn Euro pro Quadratmeter läge und nicht bei knapp 16 Euro? Nein, damit habe er sich nie beschäftigt, nach Vergleichswohnungen habe er den Vermieter nie gefragt. "Wir waren einfach nur froh, eine Wohnung gefunden zu haben, und zu dritt ist die Miete ja auch bezahlbar."
Im Mietvertrag der Wohngemeinschaft stehen keine Quadratmeterangaben, man muss in der Nebenkostenabrechnung suchen. Dort wird klar: Die Wohnungen im ersten und im zweiten Stock sind in Wirklichkeit größer, als in Lena W’s Tabelle angegeben. Ihr Vermieter hat darin eine um 130 Euro zu hohe Miete eingetragen. Auf die Nachfrage dieser Redaktion, warum in seiner Tabelle falsche Werte stehen und wie er die Überprüfbarkeit der Vergleichswohnungen gewährleiste, möchte sich der Vermieter nicht äußern.
Zwei Mieten sind nicht überprüfbar, zwei falsch angegeben
Bei zwei Vergleichswohnungen sind die Angaben nicht zu überprüfen, bei den zwei anderen sind sie falsch. Lena W’s Tabelle dürfte also gar nicht für die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete genutzt werden. Für Lena W. ändert das nichts, ihre Miete war bislang so niedrig, dass sie auch bei korrekt angegebenen Vergleichswohnungen steigen würde: In Würzburg dürfen Vermieterinnen und Vermieter ihre Miete alle drei Jahre um maximal 15 Prozent erhöhen. Bis Lena W. 16 Euro pro Quadratmeter zahlen müsste, vergingen mehrere Jahre. Das Problem liegt woanders.
"Richtig teuer wird es bei Neuvermietungen"
"Bei Mieterhöhungen wird zwar auch getrickst", sagt Edgar Hein vom Mieterverein, "aber richtig teuer wird es bei Neuvermietungen". Denn Lena W's Vermieter kann die Vergleichswohnungen aus der Tabelle nicht nur für Mieterhöhungen nutzen, sondern auch, um die Miete bei einer Neuvermietung zu begründen. Dann darf er sogar zehn Prozent über diesen Vergleichsmieten liegen. Sollte zum Beispiel eine neue Mieterin in Lena W’s Wohnung ziehen, dürfte der Quadratmeter in ihrer Wohnung mit Hilfe der Tabelle des Vermieters dann bis zu 17,50 Euro kosten. 7,50 Euro mehr als der Wohnmarktbericht der Sparkasse Mainfranken veranschlagt.
"Wer möchte, kann sich die Vergleichswohnungen auch einfach ausdenken", sagt Edgar Hein. "Sobald die Mietpreise in der Tabelle nicht überprüft und einfach gezahlt werden, hat ein Vermieter eine neue Vergleichsmiete, also Tatsachen geschaffen." Diese Mieten könnten dann wiederum genutzt werden, um Mieten bei anderen Neuvermietungen zu rechtfertigen. Und immer so weiter. Eigentlich sollte die Mietpreisbremse vor überhöhten Mieten schützen. Aber ohne einen Mietspiegel lasse die Stadt Würzburg die Mieter alleine und mache es ihnen sogar noch schwerer, gegen Wucher vorzugehen, sagt der zweite Vorsitzende des Mietervereins.
In Städten ohne Mietspiegel herrschen Zustände wie im Wilden Westen
Steffen Sebastian, Immobilienökonom an der Universität Regensburg und Vorsitzender der Mietspiegelkommission der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung, sagt: In Städten ohne Mietspiegel sei der "Wilde Westen" ausgerufen.
Die Mietpreisbremse sei wirkungslos, wenn die Stadt keinen Mietspiegel herausgebe und Vermieter die Vergleichswohnungen selber bestimmen könnten. Das sei, als sage man Autofahrern, sie sollen nicht zu schnell fahren – ohne ein Tempolimit zu definieren.
Stadt Würzburg: Mietspiegel sorgt nicht für Entspannung am Mietmarkt
In Würzburg sieht man das anders: Auf Anfrage sagt ein Sprecher der Stadt, dass ein Mietspiegel nicht für eine Entspannung am Mietmarkt sorgen würde, da Mieten, die bislang darunter lägen, sofort angepasst werden würden. Die Befürchtung lautet, ein Mietspiegel vereinfache Mieterhöhungen eher, als sie zu beschränken, denn er liefere Vermietenden Vergleichsmieten für ihre Wohnungen, an die sie sonst nicht so leicht kommen würden.
Das stimme nur teilweise, sagt Sebastian. Richtig sei: "Mit Mietspiegel können Vermietende eine maßvolle Mieterhöhung leicht durchsetzen und Mietende können diese ebenso leicht überprüfen." Ohne Mietspiegel könnten Vermietende aber mit etwas Aufwand nahezu jede Mietvorstellung mit drei Vergleichswohnungen begründen. Und der Mieter habe außer mit einem teuren Sachverständigengutachten kaum eine Möglichkeit, sich zu widersetzen.
Andere Städte haben positive Erfahrung mit dem Mietspiegel
Den Befürchtungen der Stadt Würzburg widersprechen auch die Erfahrungen aus anderen vergleichbaren Städten Bayerns: In Bamberg, Regensburg und Fürth gibt es seit längerer Zeit einen Mietspiegel. Sowohl die Mietervereine wie auch die Haus- und Grundbesitzervereine und die Behörden geben auf Anfrage dieser Redaktion an, die Mieten seien dadurch nicht gestiegen. Vielmehr habe der Mietspiegel die Situation auf dem Markt "befriedet", da Vermieter und Mietsuchende nun eine verlässliche Referenz für angemessene Mietpreise hätten. Auch die Stadt Schweinfurt besitzt einen Mietspiegel.
Mittlerweile hat sich auch in Würzburg eine seltene Einigkeit eingestellt: Mieterverein, Haus- und Grundbesitzerverein, die Stadtbau und sogar die großen Wohnungsbaukonzerne wie Vonovia und Dawonia geben auf Anfrage dieser Redaktion an, die Erstellung eines Mietspiegels zu begrüßen.
Spätestens 2024 muss ein Mietspiegel für Würzburg kommen
Lange wird sich die Stadt Würzburg nicht mehr gegen einen Mietspiegel wehren können: Mit der Mietspiegelreform hat die Bundesregierung vor zwei Jahren beschlossen, dass in allen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern – also auch in Würzburg – ab spätestens 2024 ein Mietspiegel erstellt werden muss. Wählen dürfen die Städte zwischen einem einfachen oder qualifizierten Mietspiegel.
Damit steht die Stadt Würzburg wieder vor der Entscheidung, ob sie für mehr Klarheit auf dem Wohnungsmarkt sorgen möchte: "Nur ein qualifizierter Mietspiegel bietet wirklich umfassenden Mieterschutz", sagt Steffen Sebastian, "bei einem einfachen Mietspiegel können Vermieter weiterhin auf drei Vergleichswohnungen verweisen".
Ich bekomme auch immer wieder Mieterhöhungen für meine Wohnung an einer superlauten Bahnstrecke, mit Gaseinzel-Öfen, die in einem sehr gefährlichen Zustand sind (Alle Abgasklappen wurden entfernt!), keinerlei Heizung mehr im Bad, weil man es nicht einsieht, da nochmal einen vernünftigen Gas-Heizkörper einzusetzen, und auch kein Wasser mehr in der Küche. Das Wasser zum Geschirr-Spülen muss ich mir aus dem Badezimmer holen!
Diese Wohnung wird bei der Vergleichsmiete immer mit einer "Rundum-Sorglos-Wohnung" in einer ruhigen Wohngegend verglichen, die schon längst modernisiert wurde...
Die Stadt will keinen Mietpreisspiegel (zu viel Arbeit und Kosten) also macht der Vermieter was er kann.
Um den "wenigen" unseriösen Vermietern Einhalt zu gebieten. Das ist sie ihren Einwohnern schuldig.
die nicht nur auf Profit ausgelegt sind...
da die Welt aber leider immer egoistischer wird sind diese Menschen
die zu Wucherpreisen vermieten
leider immer mehr auf dem Vormarsch...
auch wenn ich mir die Miete leisten könnte würde ich mich dort mit Sicherheit nicht wohl fühlen... Ein Mietverhältnis sollte auch mit gegenseitigen Respekt gesegnet sein...
und den normalen Arbeiter der sich heutzutage noch ein Haus bauen kann den zeig mir mal bitte einer...
aber nur solange nicht die "erfolgreichen" Städter mit ihren Monsterkarren herumkurven und die kostenlosen Parkplätze okkupieren, die es in WÜ scheints bald gar nicht mehr geben wird XD
(naja, müssen wir halt auch anfangen zu "bewirtschaften" noch breiteres XD)
> Ich vermiete auch nur zu Höchstpreisen, nur so kann ich weitere Häuser bauen
> um dann alle unterbringen
Solche Aussagen sind schon ein klitzekleinwenig menschenverachtend, oder?
@Mainpost Geht sowas nicht schon in Richtung Hetze? Ich sehe da nämlich keinen Ironie und keinen Sarkasmus in der Aussage.
Angebot und Nachfrage bestimmen in einer Marktwirtschaft den Preis.
Sicher gibt es Miethaie. Die Journaille verallgemeinert aber hier und stellt Vermieter grundsätzlich in ein schlechtes Licht.
Die Mehrzahl der privaten Vermieter ist fair. Bitte das auch mal deutlich herausstellen.
Es gibt nämlich auch Wohnungen bzw Mieter, die seit 15 und mehr Jahren die gleiche Miete haben und weniger als 6 Euro pro qm zahlen.
gute Idee. Und denen, die das Geld dafür nicht haben, weil sie z. B. im falschen Job arbeiten und nicht mal eben einen satten sechsstelligen Betrag auf den Tisch legen können, denen geben Sie es, ja?
Das erinnert ja schon fast an ein Marie Antoinette zugeschriebenes Zitat, die auf die Auskunft, das Volk hungere, weil es kein Brot habe, gesagt haben soll: "Dann sollen sie doch Kuchen essen."
Mal im Ernst: war Ihr Beitrag am Ende satirisch gemeint?
Auch als kleine Vermieterin, nur eine Whg., eigentlich früher zur Eigennutzung gekauft, ein Erlebnis: bewohnt wurde die von einem, der, weil niedrige Miete, nicht ausziehen wollte, trotz Zusage vor Kauf, weil er in eine andere Stadt wechseln wollte. Argument: mieten sei billiger als wohnen in der ETW! Ich wohnte 2 Jahre bescheiden im Nachbarhaus so lange, und immer, wenn ich in der Tiefgarage mein kleines Auto neben sein großes stellte und an den mtl. Überschuss der Hypothekenzinsen gegenüber der Kaltmiete dachte, habe ich mich sehr für ihn „gefreut!“ und dann über die Renovierungskosten natürlich auch, Prozesse haben bei sowas einen nicht vorhersehbaren Ausgang bzw. der Mieter hat immer recht, so lange das Haus noch steht.