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Würzburg/Haßfurt
Jung, engagiert, überfordert? 4 Lehrkräfte aus Unterfranken zwischen Berufung und Belastung
In Bayerns Klassenzimmern herrscht Lehrermangel: Quereinsteiger springen ein, das Referendariat aber ist mühsam und dauert lange. Was vier junge Lehrer über ihren Beruf sagen. 
An bayerischen Grundschulen fehlten 2023 fast 2000 Lehrkräfte, aber auch an Mittelschulen und Gymnasien ist die Lage angespannt. Vier junge Lehrerinnen und Lehrer berichten von ihrem Berufsweg. 
Foto:  Bernd Weißbrod, dpa | An bayerischen Grundschulen fehlten 2023 fast 2000 Lehrkräfte, aber auch an Mittelschulen und Gymnasien ist die Lage angespannt. Vier junge Lehrerinnen und Lehrer berichten von ihrem Berufsweg. 
Sarah Gräf
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:05 Uhr

Bayernweit werden neue Lehrerinnen und Lehrer gesucht. Besonders an Grundschulen, Mittelschulen und Gymnasien war die Lage 2023 angespannt. Während seit 2020 im Freistaat der Quereinstieg möglich ist, hoffen die Lehrkräfte von morgen, das druck- und arbeitsintensive Referendariat zu überstehen.

Vier Menschen erzählen von ihrem Weg in den Lehrerberuf und ihre Erfahrungen damit. 

Zwei Brüder aus den Haßbergen: ein Beruf, zwei unterschiedlich schnelle Wege

Die beiden Brüder aus den Haßbergen, die anonym bleiben wollen, haben einen gemeinsamen Beruf: Lehrer. Der ältere ist jetzt - mit 27, nach sieben Jahren Studium und zwei Jahren arbeitsreichem Referendariat - endlich verbeamtet. Sein 20-jähriger Bruder studiert im zweiten Semester Grundschullehramt und hat das Referendariat noch vor sich. Doch er steht schon einen Tag in der Woche als vollwertige Lehrkraft vor in der Grundschule vor Klassen - und ist glücklich.

Sein älterer Bruder kann das nicht mit voller Überzeugung von sich behaupten. Der Gymnasiallehrer hadert mit der hohen Arbeitsbelastung und dass er nach dem Referendariat so weit von seinem Zuhause entfernt eingesetzt wurde. Er frage sich des Öfteren, ob er den Weg noch mal so "ganz klassisch" gehen würde, sagt der 27-Jährige: "Lehramtsstudium, Referendariat und jetzt nahtlos eine Anstellung als Beamter."

Quereinstieg in den Lehrerberuf - mit 19 gleich nach dem ersten Praktikum

Sein jüngerer Bruder kam "mit 19 Jahren recht jung in den Beruf". Ein Praktikum in der Schule wollte er am liebsten verlängern. Statt sich für ein Langzeitpraktikum zu bewerben, sei er von der Schulleiterin für eine Anstellung als Förderlehrer vorgeschlagen und beim Schulamt empfohlen worden. Ein Sprung ins kalte Wasser: Schon ab Woche zwei habe man ihn als Vertretungslehrer gebraucht - ohne Schulungen oder Ähnlichem. 

"Ich war tierisch nervös, ob das jetzt in die Hose geht oder klappt", sagt der 20-Jährige über seine allererste Stunde. Auch an die neue Rolle habe er sich erstmal gewöhnen müssen: "Jetzt sitzt man im Lehrerzimmer und klopft nicht mehr an. Und man ist Ansprechpartner für die Kinder – überall und in jeder Situation." An diese große Verantwortung müsste man sich erst mal gewöhnen. 

Mechatronik studiert, Lehrerin geworden: Marie-Theres Gräf kam 2009 als Quereinsteigerin zu ihrem Beruf und unterrichtet in der Würzburger Franz-Oberthür-Schule. Die Entscheidung bereute sie nie.
Foto: René Ruprecht | Mechatronik studiert, Lehrerin geworden: Marie-Theres Gräf kam 2009 als Quereinsteigerin zu ihrem Beruf und unterrichtet in der Würzburger Franz-Oberthür-Schule. Die Entscheidung bereute sie nie.

Auch Marie-Theres Gräf hatte anfangs "ganz schön Lampenfieber". Die studierte Mechatronikerin wechselte schon 2009, als Folge der Finanzkrise, mit 25 Jahren in den Lehrberuf. Auch damals stellte der Freistaat wegen eines Lehrermangels in Berufsschulen Quereinsteiger ein. Gräf musste wie Lehramtsstudierende auch durch das Referendariat und drei Lehrproben ablegen.

Die Bedingungen seien aber gänzlich anders gewesen: "Die wollten uns, deswegen waren alle sehr entgegenkommend – auch im Vergleich zu Referendaren, die an den Schulen wenig Betreuung hatten", sagt die 39-jährige Lehrerin der Würzburger Franz-Oberthür-Schule im Rückblick.

Warum der Druck im Referendariat vielen zu schaffen macht

Wenig Betreuung, aber viel zu tun haben die Referendare auch heute noch: schriftliche Hausarbeiten, Unterrichtsvorbereitung, Korrigieren und Orga-Kram würden viel Zeit in Anspruch nehmen, berichtet der 27-jährige Junglehrer aus den Haßbergen. Zusätzlichen Druck gebe es durch die Lehrproben. Wer die als Lehramtsanwärter nicht besteht, hat womöglich viele Jahre umsonst studiert. Das Gleiche gelte für die Staatsexamina.

Hat das erste Jahr des Referendariats und seine erste Lehrprobe hinter sich: Martin Steigert will Berufsschullehrer werden. 
Foto: René Ruprecht | Hat das erste Jahr des Referendariats und seine erste Lehrprobe hinter sich: Martin Steigert will Berufsschullehrer werden. 

Bei der Bewertung sei man einer ganzen Reihe von Personen ausgesetzt, sagt Martin Steigert. Er hat sein erstes Jahr als Referendar an der Franz-Oberthür-Schule in Würzburg und seine erste Lehrprobe hinter sich. Die Gefahr durchzufallen belaste viele Referendare und Referendarinnen neben dem hohen Arbeitsaufwand zusätzlich, meint der 29-Jährige: "Lehrer sein macht Spaß, Referendar sein macht nicht immer Spaß."

"Druck gab's da keinen, dafür aber viel Betreuung."
20-jähriger Quereinsteiger an der Grundschule

Der 20-jährige Quereinsteiger an der Grundschule kann da gelassener sein: "Druck gab's da keinen, dafür aber viel Betreuung." Das sei auch bei ihr so gewesen, berichtet Berufsschullehrerin Marie-Theres Gräf. Ein Betreuer habe sich mindestens einmal in der Woche mit ihr zusammengesetzt, Fragen geklärt und geholfen. 

Druck für die einen, Betreuung für die anderen

Der 27-jährige Lehrer kann den Vergleich zum Quereinstieg ziehen: "Da scheint es okay zu sein, wenn Unterricht und Leistungsnachweise nicht immer gut sind. Im Referendariat ist es schon extrem, wie pingelig auf Kleinigkeiten geachtet wird." Er selbst helfe den quereingestiegenen Kolleginnen und Kollegen gern.

"Alle sind ja jung und neu im Beruf, man kann sich gut austauschen, helfen und Tipps geben", meint sein jüngerer Bruder. "Spannungen sind da nicht." Den Lehrermangel bekomme er an seiner Grundschule voll mit: "Ohne Personal wie mich könnte man den Stundenbedarf gar nicht decken, da würde das ganze System nicht funktionieren".

Sein Bruder, der am Gymnasium arbeitet, sagt: "Ich versuche momentan Samstag und Sonntag freizuhalten, was sehr schwierig ist. Ich bin froh, wenn ich mindestens einen freien Tag in der Woche habe." Sein Tag fange um 7.30 Uhr an. Nach der Schule gehe es dann ans Korrigieren, Vorbereiten, Kopieren. "Manchmal sitzt man dann auch bis 23 Uhr."

"Ich versuche momentan, Samstag und Sonntag freizuhalten, was sehr schwierig ist."
27-jähriger, frisch ausgebildeter Lehrer am Gymnasium

Auch Martin Steigert sagt: "Dass man als Lehrer um 13 Uhr Feierabend hat und dann Tennis spielen geht, das hat absolut nichts mit der Realität zu tun - im Referendariat sowieso nicht, danach auch nicht." Auch in den Ferien korrigiere man größtenteils oder erstelle neue Unterrichtsmaterialien. "Länger als fünf Tage am Stück habe ich in den Ferien noch nie nichts gemacht", sagt der angehende Berufsschullehrer. 

Insgesamt weniger Stunden und weniger Korrekturarbeit wünscht sich der 27-jährige Gymnasiallehrer. Und mehr Verwaltungspersonal, das bei der Organisation hilft. Dazu fände er wenigstens eine Lehrkraft pro Fach mehr sinnvoll - damit "ausfallende Stunden fachgerecht vertreten werden können".

Sein Bruder ist sicher, mit dem Lehramtsstudium für sich die richtige Wahl getroffen zu haben. Aber auch er findet nach seiner ersten Zeit in den Klassen die Belastung im Beruf grundsätzlich hoch: "Ob Quereinstieg oder nicht - das muss man wollen. Das ist kein Beruf, sondern eine Berufung."

 
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