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Würzburg
Jugendbanden und Hafen-Razzia: Wie sicher ist Würzburg?
Eigentlich gilt Würzburg als eine sichere Stadt. Aber seit vergangenem Jahr sind hier drei Jugendbanden unterwegs. Waren die Razzien am Alten Hafen deshalb notwendig?
Im Alten Hafen ist es momentan sehr ruhig.   
Foto: Silvia Gralla | Im Alten Hafen ist es momentan sehr ruhig.   
Manuela Göbel
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:39 Uhr

In den vergangenen Wochen haben Jugendliche in Würzburg Aufsehen erregt. Zum einen gab es zwei Großrazzien der Polizei im Alten Hafen. Zum anderen wurde bekannt, dass kriminelle Jugendbanden in der Stadt unterwegs sind. Viele Fragen sind offen. Hier einige Antworten.

Sind mehr Jugendliche kriminell?

Auf längere Sicht nicht. Denn die Zahl an unter 21-jährigen Würzburgern, gegen die Strafverfahren eingeleitet wurden, ist in den vergangenen Jahren ziemlich konstant geblieben:  2009 waren es 781, 2018 waren es 772. Laut  Jugendgerichtshilfe der Stadt Würzburg ist davon ein Viertel Jugendliche, die mit einer geringen Menge Cannabis erwischt wurden. Schwere Straftaten sind die Ausnahme.

Die aktuelle Situation sieht allerdings so aus: Mitte April haben Polizeipräsidium Unterfranken und  Staatsanwaltschaft Würzburg bekannt gegeben, dass seit einem guten Jahr drei Jugendbanden in Würzburg 70 Raub- und Körperverletzungsdelikte begangen haben - darunter Messerstecherei und brutaler Straßenraub an Passanten. Bislang sind 52 Täter im Alter von 14 bis 23 Jahren identifiziert. In der Statistik tauchen sie noch nicht auf, weil noch Ermittlungen laufen.  

Was für Jugendliche sind das?

Da die Ermittlungen noch andauern, kann man noch nicht viel dazu sagen. Unter den 52 bislang identifizierten Bandenmitglieder sind nach Angaben der Polizei Menschen mit deutscher, afghanischer, syrischer und mehrerer anderer Staatsangehörigkeit. 37 sind minderjährig. Ob darunter auch unbegleitete Geflüchtete sind, ist der Polizei nicht bekannt. 

Auffällig hoch ist der Anteil von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden unter den Jugendlichen, die von der städtischen Jugendgerichtshilfe betreut werden: 2018 lag er bei 22 Prozent. Strafverfahren gegen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund machen zusammen sogar 60 Prozent aller Fälle aus. Was man aber wissen muss: Zwei Drittel aller 772 Strafverfahren wurden wegen Geringfügigkeit eingestellt, bei nicht mal einem Drittel kam es zu einer Verurteilung. 

Wie sicher ist es in Würzburg?

Auf die direkte Frage, ob die Sicherheitslage in Würzburg durch diese Bandenkriminalität bedroht ist, sagt der Pressesprecher des Polizeipräsisiums Michael Zimmer: "Nein, Würzburg ist eine sichere Stadt." Die im Januar eingesetzte Ermittlungskommission (EKO) habe inzwischen gegen Dutzende Beschuldigte ermittelt und Haftbefehle gegen zwölf Tatverdächtigte erwirkt. "Danach gingen die von den Tätergruppierungen begangenen Raub- und Körperverletzungsdelikte spürbar zurück", sagt Zimmer. Seit Februar habe sich die Situation beruhigt.  

Dass diese davor unsicher war, wusste die Öffentlichkeit aber nicht. Im Gegenteil: Im Oktober hatte die Würzburger Polizei im Stadtrat die Sicherheitslage in der Innenstadt als "durchweg gut" bezeichnet. Obwohl es eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und kommunalen Ordnungsdienst gibt, war auch das Würzburger Rathaus nicht über die Bandenkriminalität informiert gewesen. Die Polizei begründet das damit, dass 52 der insgesamt 70 Straftaten erst ab November 2018 begangen worden waren.

Dieses zwei Fotos stammen aus einem Video, das während der Razzia am 16. Februar gemacht wurde.
Foto: MP | Dieses zwei Fotos stammen aus einem Video, das während der Razzia am 16. Februar gemacht wurde.

Was ist im Alten Hafen in Würzburg los?

Hinter dem Kino Cinemaxx und dem Museum Kulturspeicher wurde mit einer Freitreppe zum Hafenbecken ein schöner öffentlicher Platz geschaffen. Hier treffen sich seit einigen Jahren Jugendliche. Laut Stadt Würzburg feiern die meisten friedlich. Anwohner beschweren sich aber seit zwei  Jahren über Lärm und Vermüllung. Mädchen berichteten der Redaktion, dass sie abends die Hafentreppe meiden. Und Passanten empörten sich über aggressive, angetrunkene "Rüpel", die ihnen Angst machen.

Die Polizei hat die Sicherheitslage im Alten Hafen auf dem Schirm, da sich in den vergangenen acht Monaten dort unter anderem einige Drogendelikte, fünf gefährliche Körperverletzungen und zwei Raubüberfälle ereignet haben. Neben Hauptbahnhof, Kaiserstraße, Juliuspromenade und Kranenkai gehört er auch zu den Tatorten der drei Jugendbanden. Zuletzt wurden hier am Ostersonntag zwei Kinder nach einem Kinobesuch von einer Gruppe 13- bis 14-Jähriger überfallen. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen gehören diese Täter aber nicht zu den kriminellen Jugendgruppen.

"Hier ist kein sozialer Brennpunkt", sagt Jürgen Keller, stellvertretender Leiter der evangelischen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe der Diakonie, die junge Flüchtlinge betreut. An der Treppe wären sowohl Schüler, bevor sie in die benachbarte Diskothek gehen, Jugendliche, die dafür kein Geld haben oder auch einige junge Menschen mit Migrationshintergrund. 

Gab es die beiden Razzien wegen der Jugendbanden?

Dass die Polizei genau dann die Öffentlichkeit über die Jugendbanden informiert hat, nachdem sie für die Razzien kritisiert wurde, ließ einen Zusammenhang vermuten. Die Polizei erklärt, dass die Jugendbanden einer von mehreren Gründen für die Razzien im Alten Hafen war: "Die Kontrollen wurden zum Jugendschutz, als Reaktion auf Beschwerden aus der Bevölkerung, zur Verhütung und Ermittlung von Straftaten (...) und auch im Rahmen der Ermittlungen der Ermittlungskommission durchgeführt."

Diese war bei der ersten Razzia am 16. Februar erfolgreich: vier Mitglieder einer der Jugendbanden wurden festgenommen. Danach hat sich die Sicherheitslage laut Polizei spürbar beruhigt und bei der zweiten Razzia am 22. März  erfolgten auch keine Festnahmen mehr. Das Ergebnis dieser dreistündigen Kontrolle von 137 Jugendlichen durch 40 Einsatzkräfte, einem Polizeiboot und einem Drogenspürhund waren drei betrunkene Minderjährige und drei Drogenfunde.

Was ist bei den Razzien schief gelaufen?

Dass am 16. Februar 70 Jugendliche fotografiert wurden, bedauert die Polizei. Denn eine Rechtsgrundlage hatte sie nach eigener Aussage nicht für alle Fotos. Die Frage, warum diese Bilder gemacht wurden, beantwortet sie aber nicht. Denkbar wäre zur Abschreckung oder zur Aufklärung künftiger Straftaten. Das ist - zumindest im alten Polizeiaufgabengesetz - aber verboten. Die Bilder sind laut Polizei mittlerweile gelöscht.

Bei der zweiten Razzia am 22. März hat die Polizei etwa 300 Meter entfernt von der Treppe Schüler aufgegriffen, die eigentlich auf den Weg in einer Diskothek in der Nähe waren. Sie wurden zur Treppe gebracht, wurden durchsucht, mussten einen Alkoholtest machen und bekamen einen Platzverweis. Auch das bedauert die Polizei mittlerweile.

Wie sind die Reaktionen auf das Vorgehen der Polizei?

In den sozialen Medien und gegenüber dieser Redaktion wurde viel Verständnis für Razzien geäußert. Betroffene Jugendliche haben sich dagegen über die Behandlung durch Polizisten geärgert, weil ihnen zum Beispiel der Grund der Kontrolle nicht genannt worden sei.  

Von den Jugendorganisationen der Grünen und der FDP wurde unter anderem die Verhältnismäßigkeit der 137-Personen-Razzia in Frage gestellt. Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt hat die Polizei aufgefordert, Verstöße gegen Grundrechte von Bürgern aufzuklären. Die rechtlichen Grundlagen der Polizeiaktionen hinterfragten im Stadtrat die Grünen. Im Landtag gab es Anfragen von Grünen und SPD. Die Beschwerde eines Betroffenen leitete der Bayerische Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU) ans Polizeipräsidium weiter.      

 Gibt es einen Zusammenhang mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz?

Das neue Polizeiaufgabengesetz weitet die Befugnisse der Polizei durch den Begriff der "drohenden Gefahr" aus. Dass deshalb Unbeteiligte zur Treppe gebracht oder fotografiert wurden, bestreitet das Polizeipräsidium Unterfranken. Auch der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann betonte, dass die Razzien nur auf Grundlage des alten Polizeiaufgabengesetzes durchgeführt wurden.

Wie geht es weiter?

Ob die drei Jugendbanden komplett zerschlagen sind und wann die bisher gefassten Täter vor Gericht stehen, ist noch nicht klar: Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Wenn die Verfahren der Stadt Würzburg gemeldet werden, 43 der bislang ermittelten Täter sind aus Würzburg, werden Jugendliche und Heranwachsende vom sozialpädagogische Fachdienst betreut. 

Situation im Alten Hafen haben Vertreter von Stadt, Polizei, Landkreis und Diakonie an einem ersten Runden Tisch Anfang April erörtert. Neben der Ausweitung der Sozialarbeit wurde auch über weitere Polizeikontrollen, Alkoholverbot und Sperrung des Areals gesprochen. Im Moment ist die Hafentreppe aber leer: Sozialarbeiter berichten, dass sie bei abendlichen Besuchen unter der Woche und auch am Wochenende seit Februar dort nicht mehr als eine Handvoll Jugendlicher angetroffen haben.  

 
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Kommentare
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  • Michael Fischer
    Wenn nicht vieles verschleiert würde, dann wäre die Kriminalitätsrate noch höher.
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  • meeviertel
    Es ist ein Vorteil nicht alles zu wissen. Mir reicht das, was ich in der Stadt sehe. Die Dunkelziffer scheint mir höher zu sein als die "begradigten" Zahlen der Berichterstattung.
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  • mausschanze
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  • diener
    Wenn es klare Ansagen gäbe , würde es nicht so viele Spekulationen geben.
    So gibt es nur Gerüchte und Halbwahrheiten und keiner weiß richtig Bescheid.
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  • Hindenburg
    was ist so schlimm daran fotografiert zu werden wenn man sich selber nichts vorzuwerfen hat bitte schön ????
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  • lanalando
    Von mir aus Kontrolle jede Nacht
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  • Souldream
    Gut das man da die Polizei gleich dazwischen geht um so den Nährboden dieser Jugendbanden zu nehmen. Sicherlich, ganz lässt sich nie Kriminalität vermeiden, aber die Hohe Polizeipräsenz die wir hier in Würzburg genießen, macht erst die Stadt zu einer relativ sicheren Stadt, auch wenn Würzburg mit knapp 127.000 Einwohner nicht so groß ist.
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