"Ich habe meine Familie in der Türkei besucht und meiner Mutter gesagt: Ich kann diesen Mann nicht heiraten. Ich habe ihr erklärt, dass er aggressiv ist und mich kaputt macht", erinnert sich S. (Name von der Redaktion anonymisiert) in ihrem Wohnzimmer in einem Würzburger Stadtteil. Sechs Monate war sie damals standesamtlich mit ihrem Mann verheiratet. Die große Hochzeit in der Türkei stand noch aus. Doch ihre Mutter wollte nichts von ihren Sorgen hören. "Sie hat gesagt, ich muss heiraten. Damals war es in der Türkei sehr wichtig, was Freunde und Nachbarn sagen."
S. blieb still, weil sie das Ansehen ihrer Familie nicht kaputt machen wollte, und heiratete den Mann an ihrer Seite. "Meine Mutter weint heute noch oft deswegen und sagt immer: Warum habe ich das damals zu dir gesagt?"
S. sitzt in an einem liebevoll gedeckten Tisch, irgendwo in Würzburg. Vor ihr steht ein selbst gebackener Rührkuchen - Marmor mit Schokoglasur und eine geblümte Kaffeetasse. Fast zwölf Jahre ist es her, dass sie ihren Mann verlassen hat. Mit ihren Kindern ist sie eines Tages einfach von zu Hause geflohen und hat komplett neu angefangen. Mit wenig Geld, ohne Bildungsabschluss und gebrochenem Deutsch, das gerade so für die alltägliche Kommunikation ausreichte.
Gewalt und emotionale Erpressung im Ehealltag
Der erste Schlag fiel am Tag nach der Hochzeit. "Wir waren im Hotelzimmer und seine Cousine war nebenan. Sie hat alles gehört, wie er mich angeschrien und geschlagen hat." Häufig sei sie kurz davor gewesen, sich von ihm zu trennen, erzählt sie. Doch ihr Mann habee schnell gelernt ihre Gutmütigkeit auszunutzen. "Er war oft im Krankenhaus wegen seiner Krankheit, dann hat er mich angerufen und gesagt, dass er sterben wird, wenn ich ihn verlasse. Ich habe Mitleid gehabt und bin wieder zu ihm zurück." Heute weiß die Frau, dass sie emotional von ihrem Partner erpresst wurde. "Ich habe ihm vertraut, aber das waren alles nur Spiele von ihm."
S. erzählt viel, beantwortet alle Fragen und dennoch herrscht immer wieder eine Stille im Raum. Sie ist weder unangenehm noch erdrückend, sondern einfach einnehmend. Wie schlimm muss es sein, wenn man sich in seinem eigenen Zuhause nicht sicher fühlen kann? Wenn jede Meinungsverschiedenheit und jeder Widerspruch in Gewalt und Schlägen enden kann?
2010 die Trennung nach einem traurigen Höhepunkt
Über ein Jahrzehnt war sie mit dem Mann verheiratet, der sie geschlagen hat. Weil sie ihren Führerschein schneller gemacht hat als er, weil sie von ihm schwanger wurde oder weil sie einen Deutschkurs besucht hat. Jedes Widerwort und jede Meinungsverschiedenheit endete mit einem Schlag. S. begann unermüdlich zu arbeiten. "Morgens um fünf habe ich angefangen zu putzen und abends habe ich nach Mitternacht den Laden zugeschlossen", erzählt sie und man sieht ihr die Erschöpfung an. "Ich dachte, wenn wir viel beschäftigt sind, haben wir weniger miteinander zu tun." Für ihre Familie in der Türkei und ihre Kinder zu Hause, wollte sie, dass die Ehe funktioniert.
2010 dann der traurige Höhepunkt ihrer Leidensgeschichte: "Wir hatten einen großen Streit. Er hat versucht mich zu erwürgen." Und wieder laufen Tränen über ihre Wangen. S. will stark sein, ihre Geschichte teilen und anderen Frauen Mut machen, sagt sie. Doch die Erinnerungen an das Erlebte, bringen alten Schmerz zurück. "Die Kinder waren im Nebenzimmer, sie haben alles mitbekommen. Ich habe geschrien und geweint, die ganze Zeit." Sie unterbricht kurz.
S. sitzt am Wohnzimmertisch, Tränen laufen ihr über die Wangen. Plötzlich klappert es an der Tür und ihre Tochter steht im Raum. Sie lächelt fröhlich. Die bedrückte Stimmung scheint mit ihrer Ankunft wie weggefegt. Auch sie hat sich dazu bereit erklärt, ihre Geschichte zu erzählen. Denn seit ein paar Jahren hat sie wieder Kontakt zu ihrem Vater.
Ein kompliziertes Vater-Tochter -Verhältnis
"Es ist kompliziert mit meinem Vater und mir", beschreibt A. das Verhältnis. Auch sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Auf die Frage, wie sie ihren Vater beschreiben würde, antwortet sie: "Was heißt er ist ein schlechter Mensch? Er hat schlechte Angewohnheiten, aber vielleicht kann er nichts dafür und ihm hat keiner geholfen? Aber dann denke ich an meine Mutter und bin wieder wütend auf ihn. Ich bin ständig zwischen diesen zwei Welten gefangen", erklärt das junge Mädchen ihre Gefühlslage. Früher sei sie ein Papa-Kind gewesen, sagt sie. Immer wieder hätte ihr Vater gesagt, wie krank er sei und sie hätte Angst gehabt, dass er irgendwann nicht mehr da ist.
Mit traurigem Blick lauscht S. ihrer Tochter. Ob ihre Tochter sie wohl an ihr eigenes Ich von damals erinnert? Die Beziehung ihrer Eltern hat bei der jungen Frau tiefe Spuren hinterlassen. Sie erzählt von ihrer letzten Beziehung und schnell wird klar, wie sehr das Verhältnis ihrer Eltern sie geprägt hat. "Jedes mal, wenn wir uns gestritten haben und er nur meinen Arm angefasst hat, hatte ich Angst vor Gewalt." Solche Situationen hätten sie an ihre Eltern erinnert. Jede kleine Bewegung, die ein Mann in ihre Richtung mache, löse Angespanntheit bei ihr aus. "Ich habe dann Angst, dass es zu Gewalt kommt und ich mich wehren muss", erklärt sie.
An dem liebevoll gedeckten Tisch im Wohnzimmer, irgendwo in Würzburg sitzen zwei Frauen, die viele Jahre häusliche Gewalt erlebt haben - direkt oder indirekt. Beide haben die Erfahrungen aus der Vergangenheit geprägt und beide möchten anderen Frauen zeigen, dass die Gewaltspirale nie endlos sein muss.