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Würzburg
Inklusionsdebatte um Intendant Trabusch: "Ich wache damit auf und gehe damit schlafen", sagt Mutter des Jungen mit Behinderung
Nach den Äußerungen des Mainfranken Theater-Intendanten Trabusch über einen jungen Mann mit Behinderung meldet sich nun bestürzt die Mutter zu Wort.
Eine Aussage des Mainfranken Theater-Intendanten Markus Trabusch nach einer Vorstellung entfachte eine Inklusionsdebatte.
Foto: Illustration: Getty Images, Patty Varasano, Thomas Obermeier, Daniel Biscan | Eine Aussage des Mainfranken Theater-Intendanten Markus Trabusch nach einer Vorstellung entfachte eine Inklusionsdebatte.
Sophia Scheder
Sophia Scheder
 |  aktualisiert: 10.12.2024 02:38 Uhr

Seit zwei Wochen ist das Thema Inklusion am Mainfranken Theater Würzburg Gesprächsthema. Was mit einem lautstarken Gespräch zwischen dem Intendanten Markus Trabusch und einer Theaterpädagogin begann, löste eine breitere Debatte aus. Ein junger Mann mit Behinderung habe die Vorstellung mit Zwischenrufen "ganz massiv gestört", sagte Trabusch. Besonders die Mutter des betroffenen Mannes sieht sich durch diese Äußerungen "zutiefst verletzt" und wandte sich nun an die Redaktion.

Corinna Kirchner wohnt mit ihrem Sohn Felix in Ochsenfurt und berichtet von einem Abend, der für sie beide eigentlich ein freudiges Ereignis darstellen sollte.

Die Mutter fühlte sich zunächst willkommen im Mainfranken Theater

"Felix ist ein schwerst mehrfach behinderter junger Mann, der seit 16 Monaten ausschließlich von uns gepflegt und betreut wird, weil wir auf einen Förderstättenplatz warten", erklärt die 55-Jährige. Eine Freundin hatte sie zu dem Familienstück "Ente, Tod und Tulpe" eingeladen, in der Hoffnung, etwas Schönes für die Familie zu tun. "Ich hab mich riesig darauf gefreut", so die Mutter. Sie hatten Plätze in der letzten Reihe, als eine Theaterpädagogin zu ihnen kam und sich vor Beginn der Vorstellung freundlich vorstellte. "Sie begrüßte meinen Sohn mit einem Handschlag und setzte sich vor uns", beschreibt die Mutter. Sie habe sich sehr willkommen gefühlt. 

Während des Stücks wiederholte ihr Sohn Felix mehrfach das Wort "Fuchs", was dazu führte, dass sich einige Zuschauer umdrehten. Kirchner betont jedoch, dass alle sehr freundlich reagierten. "Sie haben uns angelächelt und zur Kenntnis genommen, dass mein Sohn behindert ist. Ich hatte keine Sekunde das Gefühl, dass sich irgendjemand an uns gestört hat." Die beiden blieben bis zum Ende der Vorstellung und zeigten sich begeistert vom Stück: "Mein Sohn hat sich die Hände rot geklatscht."

Die Mutter kann an kaum etwas anderes mehr denken 

Erst in der folgenden Woche habe sie aus der Zeitung von Trabuschs Äußerungen erfahren. "Ich war entsetzt und erschrocken. Das ist für uns als Familie, die eh schon schwer belastet ist, der absolute Horror", so die Mutter. Sie fühlt sich zu Unrecht beschuldigt.

"Dass wir beim Intendanten so unangenehm aufgefallen sind, war mir in diesem Moment überhaupt nicht bewusst." Die Situation beschäftigt sie seither ständig, was sie emotional belastet. "Ich wache damit auf und ich gehe damit schlafen. Das raubt mir unwahrscheinlich Energie und ich brauche meine Kraft für andere Dinge", sagt sie.

Der 21-jährige Felix, der mit drei Jahren ein Schädelhirntrauma erlitten hatte, sei ein offener, fröhlicher Mensch, der gerne an Veranstaltungen teilnimmt, die für die ganze Familie wichtig sind, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

"Relaxed Performances" haben eigentlich einen anderen Hintergrund

Corinna Kirchner kritisiert die Interpretation des Begriffs "Relaxed Performances", wie sie von Trabusch vertreten wird. Im Gespräch mit der Redaktion erklärte der Intendant, dass diese Vorstellungen Menschen mit Beeinträchtigungen einen "angemessenen Theatergenuss" ermöglichen sollen, ohne die Darstellenden unter Druck zu setzen, eine störungsfreie Performance liefern zu müssen. Der Fokus liegt seinen Aussagen nach also auf den Darstellenden – nicht auf den Menschen mit Behinderung. 

Dass "Relaxed Performances" eigentlich einen anderen Hintergrund haben, verdeutlicht das Theater Chambinzky. Diese seien sehr intensiv vorbereitete Vorstellungen, die eigens inszeniert werden müssen, um mögliche Trigger möglichst effektiv zu unterbinden, erklärt Intendant Csaba Béke. Für diese Vorstellungen hat das Theater 2023 den Inklusionspreis des Bezirks Unterfranken erhalten.

"Was in der aktuellen Debatte aus meiner Sicht nicht richtig interpretiert wird, ist die Tatsache, dass diese Vorstellungen für Menschen angeboten werden, die sich aus verschiedensten Gründen nicht in ein bestimmtes Umfeld trauen oder dieses nicht besuchen könnten", sagt er. Bei der Zielgruppe handele es sich in der Regel um zumeist autistische Menschen schweren Grades. Die Vorstellungen sollten aus Békes Sicht auch gemeinsam mit autistischen Menschen geplant werden.

Seine Meinung nach könnten "Relaxed Performances" inklusiv sein, würden mit Blick auf den Fall am Mainfranken Theater jedoch falsch interpretiert. Dort "handelte es sich offenbar um einen mutigen und positiven Menschen, der sich trotz seines Handicaps in ein zumeist unvorhersehbares und möglicherweise enges Terrain eines Theaters hineingewagt hat und nun Ausgrenzung für seine Anwesenheit erfuhr. Diese Tatsache berührt und schmerzt mich innerlich sehr", so Béke.

Schauspielsparte wandte sich mit Statement an die Redaktion

Zwischenzeitlich meldete sich die Leitung des Mainfranken Theaters mit einem Statement zu Wort. Das Theater sei ein offener Ort und solle es auch bleiben, hieß es unter anderem darin. "Die geführten Diskussionen müssen für uns Anlass sein, unsere Anstrengungen im Bereich Inklusion zu hinterfragen und zu verbessern." Deutlicher wird stattdessen die Schauspielsparte. Mit einem eigenen Statement wandte sie sich an die Redaktion. "Wir (...) wünschen uns, dass unser Haus ein Ort der Toleranz, Offenheit und Diversität ist. Wir spielen für ALLE! Und wir spielen für alle gern!", schreiben sie.

Die Schauspieler möchten, dass sich "jeder Mensch wohlfühlt", der das Theater besucht. "Wir halten daran fest, mit Publikumsreaktionen kreativ umzugehen, sodass sich niemand ausgeschlossen fühlt." Das Haus möge derzeit in einem sehr anderen Licht erscheinen. "Wir, die Schauspielsparte, möchten Euch, liebes Publikum, wissen lassen: Wir freuen uns über jeden Menschen, der unsere Vorstellungen besucht. Bitte fühlt Euch, von Seiten der Mitarbeitenden, herzlich willkommen."

Die Mutter fordert eine echte Auseinandersetzung mit Inklusion

Im Umfeld von Corinna Kirchner ist das Thema ein ständiger Begleiter geworden, sagt sie. Sie fordert eine echte Auseinandersetzung mit Inklusion und das Ende der Trennung von Menschen mit Behinderungen und der restlichen Gesellschaft. "Inklusion darf nicht am Aufzug enden."

Sie hofft, dass der Vorfall einen Wandel in der Wahrnehmung von Inklusion bei Intendant Trabusch und darüber hinaus anstößt. Sie möchte, dass Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird.

 
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Kommentare
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  • Martin Deeg
    Ich kenne Herrn Trabusch nicht und Menschen mit Behinderung haben nicht nur meine völlige Solidarität, ich bin auch gerne mit diesen unterwegs, heute Nachmittag zum Beispiel im Schwimmbad.

    Was hier allerdings abläuft ist dann doch etwas arg und ich empfehle einmal die Lektüre des Buchs „Der menschliche Makel“ von Philip Roth.

    Es gibt nämlich Vorwürfe wie z.B. Rassismus oder auch Behindertenfeindlichkeit, gegen die - wenn sie einmal im Raum stehen - Betroffene kaum noch etwas ausrichten können, zumal wenn es gegenläufige Interessen gibt, den Vorwurf möglichst hoch zu hängen….
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  • Raimund Wendel
    Offensichtlich waren die Zwischenrufe nur wenig störend und ein Einzelfall. Insofern sollte es nicht der Rede wert sein und Herr Trabusch sollte einfach erkennen, dass er unreflektiert und falsch reagiert hat, weil er keine Menschen mit Behinderung kennt und in seiner Theatertraumwelt lebt.
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  • Martin Heberlein
    Auf eine Entschuldigung von Herrn Trabusch werden Sie, werter Herr Stößel, lange und vergeblich warten. Er hat sich schon Vieles geleistet, was eine Entschuldigung dringend erfordert hätte - die nie kam.
    Ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit SchauspielerInnen und technischen Angestellten im MFT, wie be - sogar erdrückend dort die Stimmung ist. Das stört die Qualität der Aufführungen sicher mehr als ein paar Rufe eines Menschen mit Beeinträchtigung.
    Allein die Tatsache, dass Trabusch darauf besteht, seinen Vertrag bis Ende 2025 durchzuziehen, obwohl er mit allen Berufsgruppen im (von ihm selbst inszenierten) Krieg liegt, offenbart seinen Charakter.
    Ähnliche Probleme gab es übrigens auch bei seinen früheren Engagements.
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  • Frank Stößel
    Nein,Herr Fiedrrling, auch wenn ich Ihre Enttäuschung gegenüber der Theaterleitzng nachvillziehen kann. Den Theaterbesuch nun zu verweigern, ist eben nicht nachahmenswert. Das MfT nur mit Abwesenheit zu boykottieren, bringt weniger, als sich trotz des Konfliktes an der Bewältigung desselben zu beteiligen, im Theater und in der Öffentlichkeit. Wir sollten die Theaterleitung noch immer für lernfähig halten, gerade vor der nicht mehr ganz so fernen Zielgeraden "Fertigstellung des künftigen Staatstheaters Würzburg". Herr Trabusch kann sich immer noch und jederzeit für seine falsche Einschätzung von Inklusion entschuldigen. Das ist meine ganz persönliche Hoffnung.
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  • Klaus B. Fiederling
    hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt
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  • Klaus B. Fiederling
    Ich finde schlichtweg beschämend was der Intentand da erlaubt hat. Einen Mann, der stark behindert ist und es bestimmt nicht böse gemeint hat, mit seinen Zwischenrufen, die ja nicht beleidigend oder sonst wie waren, sondern nur das Wort "fuchs" mehrfach durchgerufen hat ist schlichtweg dem Mainfrankentheater nicht würdig. Normaler weise sollte der Intentand sich hundert Mal bei der Familie entschuldigen und den Hut nehmen und seinen Platz frei machen. Aufgrund dieses Vorfalles werde ich das Mainfrankentheater nicht mehr besuchen - vielleicht nachahmenswert.
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