Die Pandemie fordert die Politik. Nicht nur im Kampf gegen das Virus, sondern im eigenen Betrieb und Ablauf: Aus Infektionsschutzgründen tagen Stadt- und Gemeinderäte seit über einem Jahr in verkleinerten Notausschüssen oder sie weichen mit ihren Sitzungen in große Hallen aus – was allerdings nicht überall möglich ist.
Auch deshalb hat der bayerische Landtag Mitte März auf Initiative von Freien Wählern (FW) und einigen CSU-Abgeordneten das Kommunalrecht geändert und den Weg für "Hybridsitzungen" frei gemacht, zunächst als Probelauf bis Ende 2022: Mandatsträger können sich jetzt auch online in die Sitzungen zuschalten, mitdiskutieren und abstimmen. Nur der Bürgermeister als Sitzungsleiter muss zwingend am Tagungsort sein. Sinnvoll oder nicht? Überall in den Gemeinden wird aktuell darüber nachgedacht. Es geht nicht nur um Fragen von Technik und Datenschutz, sondern auch um Sitzungskultur.
Ablehnung und Zustimmung in unterfränkischen Gemeinden
Erste Kommunen in Unterfranken haben Grundsatzbeschlüsse dafür gefasst. Dabei dürfen Hybridsitzungen nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit eingeführt werden. In Dettelbach (Lkr. Kitzingen) scheiterte man knapp an dieser Hürde, andernorts – wie etwa in Kolitzheim (Lkr. Schweinfurt) und Partenstein (Lkr. Main-Spessart) – war die Ablehnung deutlicher.
Groß war dagegen die Zustimmung im Würzburger Stadtrat, ebenso in den Gemeinden Zell und Kirchheim (Lkr. Würzburg). In Kirchheim sprachen sich 13 von 14 Gemeinderatsmitgliedern für das teildigitale Format aus. An diesem Dienstag ist Premiere, vor einigen Tagen wurde "geübt": Da bekamen jene Ratsmitglieder eine kleine Nachhilfestunde, für die Zoom-Meetings noch keine Routine sind. Schließlich soll technisch nichts schief gehen, Kameras und Mikros müssen funktionieren. Alle im Gemeinde- oder Stadtrat müssen füreinander gut hör- und sichtbar sein, egal ob sie im Saal oder am heimischen Schreibtisch sitzen. So fordert es die geänderte Gemeindeordnung. Für knapp 1000 Euro hat man in Kirchheim deshalb eine 180-Grad-Kamera und ein System für Telefonkonferenzen angeschafft.
CSU-Bürgermeister Björn Jungbauer geht die Sache pragmatisch an: "Wir probieren es aus und sehen, wie es läuft." Deshalb wurde in Kirchheim nicht gleich die Geschäftsordnung geändert, den Testlauf ermöglichte ein normaler Beschluss. Dies hat das Innenministerium für die Pandemiezeit bis zum Jahresende 2021 erlaubt. Sollte ein Gemeinde- oder Stadtrat auch 2022 hybrid tagen wollen, muss dafür die Geschäftsordnung angepasst werden.
Dann könnten sich Mandatsträger weiterhin von Dienstreisen aus zuschalten. Oder von daheim aus, ohne zwecks Sitzungsteilnahme einen Babysitter für den Nachwuchs organisieren zu müssen. Die bessere Vereinbarkeit des ehrenamtlichen Mandats mit Familie und Beruf ist, über die Erfordernisse der Pandemie hinaus, für die Initiatoren im Landtag sowie für den Bayerischen Städtetag ein Argument von Gewicht. Für den Kirchheimer Bürgermeister ist es nachrangig.
Bürgermeister: "Kommunalpolitik muss erlebbar bleiben"
Jungbauer freut sich, dass nun wieder alle 14 Gemeinderäte zusammenkommen können und nicht nur der fünfköpfige Ferienausschuss als Notgremium. Auf eine hybride Dauerlösung setzt er nicht. Der CSU-Mann beschreibt ein Unbehagen, das auch andernorts aufkommt: "Eine Gemeinderatssitzung ist ja nicht irgendein Stammtisch, sondern ein offizieller, würdevoller Rahmen." Sich in Präsenz zu treffen und zu beraten, gehöre zum Selbstverständnis des Gremiums. "Der Diskurs, die Diskussionskultur ist eine andere als bei der Online-Schalte", ist der Bürgermeister überzeugt. Und für die Öffentlichkeit müsse Kommunalpolitik erlebbar bleiben.
Die Kirchheimer Gemeinderatsmitglieder haben nun die Wahl: Digital zuschalten oder regulär zur Sitzung ins Pfarrheim kommen. Nur: Bei voller Besetzung bliebe wegen der Hygieneregeln gerade noch Platz für drei bis vier Zuhörer. Die Öffentlichkeit wäre außen vor. Schon deshalb ist eine Teilverlagerung ins Digitale hilfreich. Für diesen Dienstag wollen sich laut Anmeldung acht der 14 Ratsmitglieder zuschalten.
In Würzburg finden Hybridsitzungen erst statt, wenn am Tag der Einladung die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Die Präsenzplätze des 50-köpfigen Stadtrats werden dann auf 17 reduziert, vergeben werden sie nach Fraktionsstärke und zeitlichem Eingang der Meldungen. Alle anderen müssen zuhause bleiben, vor Computer oder Laptop. Bei einer Inzidenz unter 100 wird wie bisher zur Sitzung mit voller Besetzung, Abstand und Maske ins Ausweichquartier Congress Centrum eingeladen.
Auch Kreis- und Bezirkstage dürften nun hybrid tagen. Doch hier ist man damit zurückhaltend. Der Würzburger Landrat Thomas Eberth sieht technische und rechtliche Probleme angesichts der Größe des Kreistages mit 70 Mitgliedern. Da könne es schwierig werden, dass Abstimmungen, Wortmeldungen und Redebeiträge von allen wahrgenommen werden. Auch der unterfränkische Bezirkstag verzichtet zunächst auf die neue Möglichkeit. Bei 24 Mitgliedern halte man Präsenzsitzungen in großen Räumen mit Abstand und Maske für vertretbar, so Bezirkssprecher Markus Mauritz. Dagegen will der Kreistag Haßberge hybride Sitzungen ausprobieren.
Städte- und Gemeindetag geben keine Empfehlungen ab
Der Bayerische Städtetag geht davon aus, dass Hybridtreffen die Ausnahme während der Pandemiezeit bleiben und die meisten Ratsmitglieder lieber real zusammenkommen. Auch wenn der kommunale Spitzenverband keine Empfehlung abgibt: Präsenzsitzungen sollten die Regel sein, findet Geschäftsführer Bernd Buckenhofer. Die Gemeindeordnung sei darauf zugeschnitten. Ganz neue Probleme könnten auftauchen: Was ist bei technischen Störungen? Wer ist verantwortlich bei Verbindungsproblemen? Muss eine Abstimmung wiederholt werden? Bleibt der nichtöffentliche Teil zuhause auch wirklich geheim?
Es sind diese praktischen Aspekte, warum die kommunalen Spitzenverbände gerne früher eingebunden worden wären. Das Gesetz aber wurde in nur wenigen Wochen durchgepeitscht. "Jetzt müssen all diese Fragen noch geklärt werden, generell ist vieles erörterungsbedürftig", kritisiert Andreas Gaß, Spezialist für Kommunalrecht beim Bayerischen Gemeindetag. Das Innenministerium erarbeitet gerade Anwendungshinweise, sie sollen laut einer Sprecherin in Kürze veröffentlicht werden. Gaß sieht einen "Paradigmenwechsel". Ob und wie sich Kommunalpolitik dadurch verändert, sei nicht absehbar.
Politikwissenschaftlerin sieht keine Gefahr für politische Kultur
Dass die Kommunen nicht zu Hybridsitzungen genötigt werden, sondern frei von der Möglichkeit Gebrauch machen können – das ist für Politikwissenschaftlerin Prof. Ursula Münch entscheidend. Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing erwartet, dass auch künftig die meisten Ratsmitglieder vor Ort sein wollen. Sie wüssten, wie wichtig die persönlichen Gespräche vor, während und nach einer Sitzung sind. Außerdem laufe man Gefahr, Stimmungen oder Absprachen nicht mitzubekommen, sagt Münch. Sie hält die digitale Zuschalte als Ausnahme für sinnvoll und ist gleichwohl überzeugt, "dass wir uns weder Sorgen um die Sitzungskultur noch um die politische Kultur machen müssen".
Das einzig wirklich schwierige Thema ist für mich der Datenschutz, insbesondere im nicht-öffentlichen Teil (aber das kann er auch sonst sein.... ), und ob zoom das richtige Format ist? Naja..
Im übrigen zeigt das Stadtratsbild keine der letzten regulären Präsenz-Sitzungen , sondern irgendeine andere Veranstaltung, da Menschen vor den Tischen sitzen und sich Nicht-Stadträte hinter den Tischen befinden..