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Würzburg/Lohr
Gut geschult, schnell, organisiert: Was Ermittler zu den Geldautomaten-Sprengungen in Unterfranken sagen
Es ist bundesweit Trend: Die Zahl der Banküberfälle sinkt, die Zahl gesprengter Bankautomaten steigt stark. Was Prozesse über die spezialisierten Banden ans Licht bringen.
Geldautomat gesprengt: In einer Bankfiliale in Kist (Lkr. Würzburg) suchten Ermittler im September 2020 inmitten der Trümmer nach Spuren der Täter.
Foto: Berthold Diem (Archivbild) | Geldautomat gesprengt: In einer Bankfiliale in Kist (Lkr. Würzburg) suchten Ermittler im September 2020 inmitten der Trümmer nach Spuren der Täter.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 15.07.2024 21:26 Uhr

Bei Würzburg war für den Mann aus Rotterdam die Vorstellung, schnell an Geld zu kommen, zu Ende:  Für 800 Euro war der 26-Jährige für eine Kurierfahrt von Utrecht nach München von der Straße weg engagiert worden. "Ich war arbeitslos, hatte kein Geld", sagte der Mann später vor Gericht.

Bei Würzburg hatten die Ermittler schon auf ihn gewartet: Im Kofferraum fanden sie zwei Gasflaschen, Drehregler für Schweißbrenner und Rückschlagventile. Der Kurier sollte einer Gruppe von Geldautomatensprengern, die in ihrem Versteck bei München neue Coups plante, Nachschub bringen. 

In München in einer Ferienwohnung untergetaucht

Die Zieladresse im Navi des gestoppten Autos führte die Ermittler im Jahr 2021 zu einer Ferienwohnung bei München, wo die Bande schon wartete. Der Mann aus Rotterdam wurde zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, der Hauptangeklagte in dem Fall erhielt eine Haftstrafe von zwölf Jahren.

Geldautomatensprengungen gibt es quer durch Deutschland inzwischen häufig - immer wieder auch in Unterfranken: Zuletzt rissen in diesem April in Lohr (Lkr. Main-Spessart) und in Altertheim (Lkr. Würzburg) Explosionen die Menschen aus dem Schlaf. Auch Bankautomaten in Kist (Lkr. Würzburg), in Abtswind und Rüdenhausen (Lkr. Kitzingen), Schweinfurt oder Bad Königshofen waren schon betroffen. 

Organisiert und vorbereitet: Teams mit genauer Aufgaben-Verteilung

Die modernen Bankräuber kommen lange nach Schalterschluss mitten in der Nacht, mit Dynamit statt Pistole. "Sie arbeiten präzise und schnell, wie ein gut eingespieltes Formel-1 Team beim Boxenstopp", sagte ein Ermittler beim Fall in Kist im Jahr 2020. Durch Gerichtsprozesse in Schweinfurt und Würzburg und aktuell einem Mammut-Verfahren in Bamberg mit 16 Angeklagten gibt es immer tiefere Einblicke in das Vorgehen. 

Die Tatorte würden von Spähern ausgekundschaftet, berichten Ermittler. Hinterher flüchte das Sprengteam nicht mehr schnell Richtung Grenze, sondern tauche zunächst in vorbereiteten Verstecken unter. In einem Schweinfurter Fall lagerte ein Komplize vor Ort im Unterschlupf Fluchtwagen und Werkzeug.

Filiale der Bank in Oberaltertheim (Lkr. Würzburg) im Januar 2019. Ein Zettel informiert die Bankkunden über den explosiven Überfall.
Foto: Sat1/Bayern (Archivbild) | Filiale der Bank in Oberaltertheim (Lkr. Würzburg) im Januar 2019. Ein Zettel informiert die Bankkunden über den explosiven Überfall.

Am Tatort bleibt ein Trümmerfeld zurück. Der Schaden an Gebäuden ist häufig höher als die Beute, oft müssen Anwohner die nicht mehr bewohnbaren Häuser verlassen. "Es ist ein Wunder, dass noch keine Menschen zu Schaden gekommen sind", heißt es beim hessischen Landeskriminalamt. 

Bundesweite Zunahme: Vom Banküberfall zur Automatensprengung

Kriminologen sprechen von einer Trendwende: Die Zahl der Banküberfälle ging laut Bundeskriminalamt (BKA) von bundesweit über 1600 im Jahr 1993 auf 28 im Jahr 2021 zurück. Dafür hat sich die Zahl der Geldautomaten-Sprengungen zwischen 2006 und 2021 von 30 auf knapp 500 mehr als verzehnfacht.

Die 16 Beschuldigten, die derzeit am Landgericht Bamberg angeklagt sind, sollen für 100 Fälle quer durch Deutschland verantwortlich sein. Die Bande aus den Niederlanden hat den Ermittlern zufolge seit 2021 fast jede Woche irgendwo Geldautomaten gesprengt. Erst eine länderübergreifende Großrazzia beendete die Serie im Januar 2023 abrupt.

Mafia aus den Niederlanden - mit Trainingslager für Sprengspezialisten

Nach Erkenntnissen fränkischer Ermittler akquirierte die Bande ihre Mitglieder oft unter marokkanisch-stämmigen Einwanderern der zweiten Generation in den Niederlanden und Belgien. Dort wird diese Form der organisierten Kriminalität deshalb offiziell "Moccro-Mafia" genannt. Laut niederländischen Strafverteidigern dient die Beute den Tätern als "Startkapital" für den Einstieg in den Kokainhandel.

Vor Gericht in Würzburg gab ein 34-Jähriger an, er habe aufgehört, sich an den Überfällen zu beteiligten - sei dann aber von Hintermännern zum erneuten Mitmachen regelrecht gezwungen worden. "Wie sie professionell und mit geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit die Geldautomaten sprengen, wird den Tätern in speziellen Trainingslagern und Camps beigebracht", sagte ein Ermittler im Zeugenstand. 

Vorsorge bei Banken: Gefärbte Geldscheine, Zugang nachts versperrt

Banken reagieren inzwischen mit teuren Nachrüstungen: Die Automaten enthalten jetzt teils ein Einfärbesystem, das die Geldscheine unbrauchbar macht. Und die Filialen werden bis zum Morgen verriegelt, der Zugang zu den Automaten bleibt nachts verschlossen.

Erwischt werden die Sprenger oft nur durch Zufall - beispielsweise, wenn sie mit ihrem Auto auf der Flucht einen Wildunfall haben. In Schweinfurt entdeckte die Polizei, als sie das Haus eines Verdächtigen wegen mutmaßlichem Drogenbesitz durchsuchte, in der Garage ein Auto mit niederländischen Kennzeichen, Gasflaschen, einen Kanister voller Benzin und einem Brecheisen im Kofferraum. Dazu Handschuhe, wie sie bei solchen Überfällen benutzt werden.

An den Handschuhen fanden Ermittler DNA-Spuren des Verdächtigen, auch er landete vor Gericht. 

 
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  • Rainer Gaiß
    Wenn man Bedieneinheit und "Geldspeicher" räumlich trennen würde, wäre der Spuk auch schnell vorbei. Wenn das Geld direkt dahinter sitzt, dann ist es natürlich einfach.
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  • Ingrid Reichelt-Schölch
    Ich weiß nicht, ob das nachhaltig wirklich hilft. Einerseits finden diese Leute mit Sicherheit ebenso die neuen Lager irgendwie, bisschen aufwendiger vielleicht, auch das drankommen. Doch der Schaden um so größer. Und vor allem, wenn das in oder in der Nähe der Filiale ist, entstehen neue Risiken, was dann in die Luft geht, oder Menschen, die beim Auffüllen abgefangen werden oder oder. So unbeliebt das ist, aber weniger Bargeldnutzung ist auf Dauer der sicherste Weg.
    Ich weiß nicht, wie hoch die Bargeldquote in den NL noch ist, doch Deutschland ist m. W. eines der Länder, wo die noch am höchsten ist.
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  • Hans-Georg Heim
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  • Bernhard Roschlau
    Und warum sprengen Niederländische Banden Bankautomaten in Deutschland? Weil letztere schlechter gesichert sind als die in ihrer Heimat und anderswo!
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  • Helga Scherendorn
    oder bei einer möglichen Festnahme ist es in deutschen Gefängnissen gemütlicher?
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