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Eisingen
"Es ist eine Schande": Nicoles Zukunft im St. Josefs Stift in Eisingen ist unsicher, weil Pflege-Personal fehlt
Im St. Josefs Stift in Eisingen sollten Menschen mit Behinderung ein lebenslanges Zuhause haben. Doch die Einrichtung ist am Limit, es fehlt Personal.
Kirstin Linkewitz hat darauf vertraut, dass ihre Schwester Nicole Schidla im Eisinger St. Josefs Stift für immer wohnen kann. Jetzt ist sie in Sorge, dass dies vielleicht doch nicht der Fall ist. 
Foto: Daniel Peter | Kirstin Linkewitz hat darauf vertraut, dass ihre Schwester Nicole Schidla im Eisinger St. Josefs Stift für immer wohnen kann. Jetzt ist sie in Sorge, dass dies vielleicht doch nicht der Fall ist. 
Thomas Fritz
 |  aktualisiert: 25.08.2024 02:35 Uhr

"Es ist eine Schande und ein Skandal, was im St. Josefs Stift gerade geplant wird", sagt Kirstin Linkewitz aus Waldbrunn. Seit dem Tod ihrer Mutter ist sie für ihre Schwester Nicole Schidla verantwortlich, die das Down-Syndrom hat.

Schidla lebt seit 15 Jahren auf dem Stiftsberg in Eisingen in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung. Sie wollte von zu Hause ausziehen, um als Erwachsene eigenständig leben zu können. Jetzt kann die 47-Jährige vielleicht nicht mehr in Eisingen bleiben.

Aufnahmestopp im St. Josefs Stift in Eisingen zeigt die dramatische Lage: 25 Fachkräfte fehlen

Am 2. August erfahren Kirstin Linkewitz und andere Angehörige von Einrichtungsleiter Ralf Beyer, dass seine Kolleginnen und Kollegen im Stift nicht mehr für eine ordentliche Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner sorgen können. Das gilt vor allem für Menschen, die beispielsweise nicht mehr selbstständig essen können, demenzkrank sind oder in naher Zukunft mehr Pflege brauchen. "Das war für viele Angehörige sehr emotional. Neben mir saß eine Frau, die weinte", erinnert sich Kirstin Linkewitz.

"Wir schaffen es in der aktuellen Personalsituation nicht mehr", sagt Einrichtungsleiter Beyer auch im Gespräch mit dieser Redaktion. Wie in vielen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in Alten- oder Pflegeheimen, fehlen auch dem St. Josefs Stift Fachkräfte. "20 bis 25 Fachkräfte könnten wir gut noch einstellen", sagt Geschäftsführer Marco Warnhoff.

Das St. Josefs Stift in Eisingen ist eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, weil hier Menschen mit Behinderung arbeiten und wohnen können, aber auch gefördert werden. 
Foto: Silvia Gralla | Das St. Josefs Stift in Eisingen ist eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, weil hier Menschen mit Behinderung arbeiten und wohnen können, aber auch gefördert werden. 

Für die Wohngruppen mit einer 24-Stunden-Betreuung hat die frühere Heimaufsicht seit Dezember 2022 einen Aufnahmestopp verfügt (die Heimaufsicht heißt inzwischen Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht). "Generell und auch in anderen Bereichen prüfen wir stets im Einzelfall, ob eine Aufnahme mit der jeweiligen Personalsituation möglich ist", sagt Warnhoff.

Wenn Menschen mit Behinderung  älter werden, steigt ihr Pflegebedarf weiter

Gerade für den Bereich Wohnpflege sei es schwierig, Fachkräfte zu motivieren und zu finden. Das liege daran, dass im Stift bisher viele Heilerziehungspfleger und -pflegerinnen arbeiten, die vor allem für pädagogische Förderung der Menschen mit Behinderung zuständig sind. Sie sind nur zweitrangig für pflegerische Tätigkeiten ausbildet

"Eine Lösung wäre, dass der Bezirk Unterfranken die Tätigkeit im Bereich Wohnpflege finanziell attraktiver gestaltet", sagt Warnhoff und spricht von einer Lücke im System. "Es gibt noch keine passenden Rahmenbedingungen, um flächendeckend Menschen mit Behinderung im hohen Alter zu versorgen."

Er kommt gerade aus Indien zurück, wo er versucht hat, Fachkräfte zu finden. Etwa 30 Frauen und Männer könnten es werden, die sich bald in Würzburg ausbilden lassen wollen. Frühestens in drei Jahren sollen sie dann auch in der Pflege arbeiten können.

Bis an ihr Lebensende sollten Menschen mit Behinderung in Eisingen leben können

Vor 52 Jahren, im Mai 1972, zogen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in Eisingen ein. Dass im St. Josefs Stift Menschen mit Behinderung leben, wohnen und arbeiten können, dass sie dort ärztlich betreut und gepflegt werden, ist das Lebenswerk von Pfarrer Robert Kümmert. Bis an ihr Lebensende sollten sie im Stift bleiben können – umsorgt und begleitet. Noch heute steht im Leitbild: "Wir schaffen Räume, die es Menschen mit Behinderung ermöglichen, in ihrer Eigenart leben zu können – bis an ihr Lebensende."

Gilt das Versprechen noch? Erst kürzlich soll ein Mann, der seit Jahrzehnten im Stift gelebt hat, in eine Pflegeeinrichtung nach Gemünden (Lkr. Main-Spessart) verlegt worden sein.

Drei Bewohner mussten bisher in andere Einrichtungen verlegt werden

Schnell macht unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtung eine Prozentzahl die Runde. 30 Prozent der Menschen sollen verlegt werden, vermuten sie und teilen ihre Besorgnis der Geschäftsführung mit.

Geschäftsführer Warnhoff hat das Gerücht in einer Mitarbeiterversammlung ausgeräumt. "Es gibt keine Zahl", sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Er bestätigt, dass bisher zwei Bewohner in ein Pflegeheim und eine Person in eine spezielle Einrichtung für Demenzerkrankte verlegt worden sind.

Im Mai 1972 sind die ersten Bewohner in die Häuser des St. Josefs Stifts in Eisingen eingezogen. 
Foto: Daniel Peter | Im Mai 1972 sind die ersten Bewohner in die Häuser des St. Josefs Stifts in Eisingen eingezogen. 

Gut die Hälfte der 280 Menschen mit Behinderung, die in Eisingen leben, seien pflegebedürftig, sagt er. Bei jedem einzelnen werde abgewogen, ob eine gute Pflege und Teilhabe noch geleistet werden kann.

Fehlendes Personal, frustrierte Mitarbeiter: "Die Motivation ist im Keller"

"Dass an allen Ecken und Enden Mitarbeiter fehlen, frustriert uns alle", sagt jemand, der schon sehr lange im Stift in Eisingen arbeitet und anonym bleiben möchte. "Ich bin immer mit Begeisterung zur Arbeit, jetzt nicht mehr. Ich komme nur noch wegen der Bewohner." Anderen Kolleginnen und Kollegen würde es ähnlich gehen, berichtet die Fachkraft.

"Die Motivation ist bei vielen im Keller. Niemand hat mehr Kraft, niemand springt mehr für den anderen ein." Viele seien verärgert, weil sie nicht gehört würden und alles geheim sei - wie beispielsweise, dass Bewohner verlegt werden sollen. Von 25 Menschen sei jetzt im Flurfunk die Rede. "Namen erfahren wir aber nicht, dabei sind wir doch nach all den Jahren mit vielen befreundet."

Kirstin Linkewitz hat darauf vertraut, dass ihre Schwester Nicole Schidla für immer im Stift bleiben kann. Dass sie dort gefördert und wenn es nötig ist, auch gepflegt wird. Bis an ihr Lebensende. Jetzt hat der Psychiater der Einrichtung aber eine beginnende Demenz bei ihrer Schwester festgestellt, deshalb sollte sie zum Gespräch kommen.

"Das Versprechen gilt noch", sagt Geschäftsführer Warnhoff. Es sei denn, eine Verlegung sei medizinisch oder pflegerisch notwendig. "Ohne Zustimmung der Angehörigen können wir sowieso niemanden verlegen", fügt er hinzu. Kirstin Linkewitz wird nicht zustimmen. 

 
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Kommentare
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  • Barbara Fersch
    ...das ist das typische Beispiel, dass den Politikern das Volk, der Mensch völlig egal ist....diese Leute leben Lichtjahre von der Realität entfernt....das ist leider so.....i n allen Bereichen !
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  • Manuela Weißmann
    Wieso dauert es 3 Jahre (!), bis die indischen Fachkräfte hier arbeiten dürfen? Wäre es nicht jetzt endlich mal an der Zeit das Bürokratiemonster in Deutschland ebenso wie die immer mehr um sich greifende Ausländerfeindlichkeit zu überdenken? Trotz weniger Sozialkontakte sind sogar mir schon drei junge, engagierte Frauen und ein Mann bekannt, die in der Heimat in der Pflege tätig waren, hier in Deutschland aber seit Jahren mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen in Aushilfsjobs (Gastro, Lager) tätig sind, weil die Qualifikationen nicht anerkannt werden. Was soll das??
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  • Walter Seubert
    Geriatrische Rehaklinik der AWO, Würzburg
    St. Josefs Stift,
    Eisingen was kommt als nächstes?
    Der Bezirk, das Land, der Bund sollte so langsam handeln.
    Vor dem St. Josefs-Stift in Eisingen waren Menschen mit Behinderung weggesperrt, ob zuhause oder in "Irrenanstalten" das wird wohl wieder so kommen.
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