
Jonas Scheller liebt seinen Job als Gesundheits- und Krankenpfleger. Trotzdem hat er ihn im März dieses Jahres an den Nagel gehängt. So wie ihm geht es in Deutschland vielen Berufstätigen in der Pflege. Allein aus Schellers ehemaliger Ausbildungsklasse arbeiten von ursprünglich 13 examinierten Fachkräften heute nur noch acht in ihrem Beruf.
Schon jetzt ist der Personalnotstand deutlich spürbar, und er wird sich mit Blick auf unsere alternde Gesellschaft noch weiter verschärfen. Zu diesem Ergebnis kommt eine beunruhigende Prognose des Statistischen Bundesamts. Demnach werden bis zum Jahr 2049 hierzulande voraussichtlich 280.000 bis 690.000 Pflegekräfte fehlen. Nach Ansicht Schellers ist diese Zahl sogar noch zu niedrig gegriffen. "Ich glaube, das gibt in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch mal einen richtigen Schlag, wenn die älteren Pflegekräfte in Rente gehen." Der 25-Jährige sieht die Versorgung in den Krankenhäusern gefährdet. Daher habe er Angst davor, alt zu werden. Er wisse, sagt er, "wie es im Krankenhaus zugeht".
Da war der Wunsch, einen sozialen Beruf zu ergreifen
Sieben Jahre war Scheller in der Pflege tätig, ehe er sich – schweren Herzens – dazu entschied auszusteigen. Er, der seit der Grundschule wusste, dass er mal im Krankenhaus arbeiten wolle. Vor allem die häufigen Krankenhausbesuche bei seinen Großeltern hatten in ihm den Wunsch geweckt, einen sozialen Beruf zu ergreifen.
Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg machte er zunächst eine einjährige Ausbildung zum Pflegefachhelfer, anschließend eine dreijährige Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger in der Klinik Kitzinger Land. Schließlich arbeitete er drei Jahre in einer Würzburger Klinik: erst in der Notaufnahme, später als stellvertretender Bereichsleiter auf Normalstation.

Obwohl ihm die Ausbildung großen Spaß machte, spürte er schon damals die große Unzufriedenheit seiner Kollegen und Kolleginnen, die durch die Corona-Pandemie noch weiter verstärkt wurde. Hauptgrund für deren Unmut laut Scheller: die Überlastung des Pflegepersonals. "Zu wenige Pfleger und Pflegerinnen müssen zu viele Patienten auf einmal betreuen." Nicht selten sei er in der Würzburger Klinik für 20 Patienten, die frisch am Kopf operiert waren, alleine zuständig gewesen, im Nachtdienst sogar immer.
Als stellvertretender Bereichsleiter bekam Scheller einen tieferen Einblick in den akuten Personalmangel, weil er unter anderem für die Dienstpläne verantwortlich war. "Wenn man sieht, dass für eine Station mit 20 Betten der Stellenplan nur halb gefüllt ist, dann erkennt man, dass etwas nicht stimmt." So musste er wie alle auf der Station viele Überstunden und Nachtdienste bewältigen und sogar seinen Urlaub verschieben. "Das ging einfach an die Substanz und hat auch im Privatleben zu Problemen geführt", sagt der 25-Jährige.
Der Stress in der Pflege machte viele Kollegen selbst krank
Irgendwann ging der Stress gesundheitlich nicht mehr spurlos an ihm vorbei. "Ich habe immer schlechter geschlafen und war häufig gereizt." Viele seiner Kolleginnen und Kollegen hätten sich regelmäßig krank gemeldet, "weil sie einfach nicht mehr konnten", erzählt er. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse wider. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Krankenstand der Pflegekräfte im vergangenen Jahr einen neuen Höchstwert erreichte und weitaus höher lag als in anderen Berufsfeldern.
Dass Scheller schließlich seinen Traumjob kündigte, war auch dem großen Zeitdruck geschuldet. Dieser hatte dazu geführt, dass er seine Patienten nicht mehr optimal versorgen konnte. "Ich bin nach jedem Dienst heim und hatte ein schlechtes Gewissen." Doch nicht nur er hatte Schuldgefühle, sondern auch seine Patienten, "weil sie den Stress mitbekommen haben und uns nicht zur Last fallen wollten", wie Scheller erklärt. So sei es immer wieder vorgekommen, dass Patienten nicht klingelten, wenn sie zum Beispiel auf Toilette mussten, und dann im schlimmsten Fall stürzten und sich verletzten.
Für die große Verantwortung, die man trägt, sei das Gehalt einer Pflegekraft definitiv zu gering, so Scheller weiter. "Man übernimmt auch immer mehr ärztlich delegierte Aufgaben, zum Beispiel eine Chemotherapie starten, weil die Ärzte auch chronisch unterbesetzt sind." Diese hätten sich zwar bemüht, den Pflegenden Wertschätzung entgegenzubringen. Aber sobald jene um Entlastung gebeten hätten, zum Beispiel um die Streichung von Betten, hieß es Nein. "Also habe ich irgendwann gesagt: Bis hierhin und nicht weiter. Ich wusste einfach, wenn ich jetzt noch zwei Jahre so weiterarbeite, bin ich selbst am Ende."
Oft muss sich ein Pfleger um mehr als 20 Patienten kümmern
Eine Rückkehr in den Pflegeberuf schließt Scheller zwar nicht aus, aber nicht unter den jetzigen Bedingungen. Seiner Ansicht nach müsste es für alle Stationen eine Personaluntergrenze geben, so wie es auf der Intensivstation bereits üblich ist. Das heißt, es müsste gesetzlich geregelt werden, wie viele Patienten eine Pflegekraft maximal betreuen darf. Laut Scheller dürften es fünf bis maximal zehn auf einer "normalen Station" sein. Aktuell seien es jedoch 20 und nachts mit Notfällen auch mal 22 oder 23.
Darüber hinaus schlägt Scheller vor, Schnittstellen in den Krankenhäusern zu schaffen, um diese zu entlasten. Ein Beispiel ist die Bereitschaftspraxis in der Klinik Kitzinger Land. An sie werden erst einmal Patienten weitergeleitet, die keine Notfälle sind. Dadurch würde die Notaufnahme entlastet und die stationäre Aufnahmezahl verringert.

Eine positive Entwicklung – vor allem seit Corona – ist, dass das Ansehen für den Pflegeberuf in der Gesellschaft gewachsen ist. Auch Scheller hat den Imagewandel erlebt. "Ich liebe an dem Beruf des Krankenpflegers, dass ich Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen beistehen kann. Und die größte Motivation ist es, wenn man ein Lächeln oder ein 'Danke' zurückbekommt." Deshalb bleibt der 25-Jährige dem Gesundheitswesen erhalten, jetzt eben hauptamtlich im Rettungsdienst des Bayerischen Roten Kreuzes in Kitzingen. Dort steht er kurz vor dem Abschluss der Qualifikation zum Rettungssanitäter und sei gerade "sehr glücklich".
Stressige Situationen gebe es zwar auch hier, und er arbeite weiterhin im Schichtdienst. "Aber du kümmerst dich nur um den einen Patienten, der hinten bei dir drin liegt." Und er ergänzt: "Ich habe das erste Mal von Kollegen und Kolleginnen gehört: Schön, dass du da bist. Das habe ich in der Pflege kein einziges Mal gehört."
Ausserdem hätte er ja auch sicherlich einiges beitragen können, dass dieser Job besser und zum Traum wird, oder?
haben es mMn "gerne" an sich, dass die Träumenden einen verklärten Blick darauf haben - bis die Realität sie da gnadenlos rausholt... und mal im Ernst: was meinen Sie was ein Träumer allein tatsächlich an den Verhältnissen in der Pflegebranche ändern hätte können, wenn die Gegenseite mit dem Top-Argument kommt: die Kasse muss aber stimmen?
Ob er sich allerdings mit dem Wechsel in den Fahr- und Rettungsdienst einen Gefallen tut?
Ich hoffe mal für Ihn, dass er von Schlägern verschont bleibt.
Zum Thema aber fehlt mir in der ganzen Debatte die katastrophale Rolle der Krankenhausträger:
immer noch völlig veraltete Hierarchie-Kultur;
das erfolgreiche Bemühen, die anwenderunfreundlichsten Programme anzuschaffen;
die Chancen der Digitalisierung nicht einmal ansatzweise erkannt, geschweige denn umgesetzt;
eine überbordende Bürokratie auf den falschen Schultern abgeladen;
insuffiziente Arbeitsabläufe nicht kosequent bekämpft;
usw ...
Das Vorgehen der Träger ist m.E. in Teilen kriminell und verwirklich den Tatbestand des Abrechnungsbetruges, weshalb ich auch Strafanzeige erstattet habe - da aufgrund Personalmangel die Betreuungsleistungen überhaupt nicht mehr erbracht werden aber die Gelder nach wie vor fließen.
Weltfremd
manchmal das Gefühl nicht los, ebendiese Politiker schlössen von sich selbst auf andere...
Es braucht Verbesserungen von allen Seiten gleichzeitig, Digitalisierung, bessere Arbeitsprozesse, weniger Bürokratie, attraktive, angemessen bezahlte Arbeitsplätze, auch mit Blick auf die Arbeitszeiten (bisschen wie bei der Bahn🤫) usw.
Vor allem: ein besseres, anderes System, Fokus Prävention: mehr Selbstverantwortung für den Patienten, ausufernde GKV u. PKV-Anzahl kappen, bessere Ausbildung Es gibt nicht nur teure Schulmedizin.
S. Neue Leitlinie Bluthochdruck zu Yoga und Meditation - nach Jahrhunderten bemerkt🥲