Am Rhön-Klinikum Campus in Bad Neustadt arbeiten mittlerweile im Pflegebereich über 80 Frauen und Männer aus Indien. Vor vier Jahren wurden auf eher ungewöhnlichem Weg die ersten Kontakte geknüpft. Und zwar bei einer Pilgerreise mit Pfarrvikar Johnson Thottathil Kurian in dessen Heimatland Indien, bei der zufällig auch zwei Mitarbeiter des Rhön-Klinikums dabei waren. Das war der Anfang.
Aus dem hergestellten Kontakt wurde bald eine berufliche Brücke von Indien nach Bad Neustadt. "Nahezu im Wochenrhythmus erreichten uns Initiativbewerbungen aus der Diözese Tellicherry im Bundesstaat Kerala", schildert Christiane Hanshans, Leiterin der Stabsstelle internationale Fachkräftegewinnung am Rhön-Klinikum. Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und welche Erfahrungen macht das Krankenhaus mit den Kräften aus Indien?
Das Rhön-Klinikum habe sich bereits in den späten 1990er Jahren für Pflegekräfte aus dem Ausland, damals aus Tschechien und dem Balkan, geöffnet, führt Pflegedirektor Nico Ledermann aus. Dann habe man pausiert und 2010 mit dem ärztlichen Bereich wieder gestartet. Für den ländlichen Raum sei man ein großes Krankenhaus. "Wir müssen für die Zukunft planen, uns personell gut aufstellen und Vorsorge treffen", erklärt er. Dass der Pflegeberuf an Image verloren hat, habe man auch am Rhön-Klinikum auffangen müssen. Und da in Deutschland nicht ausreichend Kräfte gewonnen werden können, müsse man den Blickwinkel ins Ausland erweitern.
Pflegeintegrationsprogramm des Rhön-Klinikums
Salko Glamocic kam 2014 im Alter von 29 Jahren nach Deutschland. Er stammt aus Bosnien, arbeitete dort als Krankenpfleger und Notfallsanitäter. "Ich sah in meiner Heimat keine Perspektive für junge Leute", sagt er. Der heute 38-Jährige, der bereits in seiner Heimat etwas Deutsch gelernt hatte, bewarb sich erfolgreich für das Pflegeintegrationsprogramm des Rhön-Klinikums, bei dem Fachkräfte aus dem Ausland für den deutschen Klinikalltag ausgebildet werden. Dafür musste er aber seine Frau und sein Kind in Bosnien zurücklassen. "Am Anfang war es sehr schwer", meint Glamocic. Mittlerweile ist seine Familie nach Bad Neustadt nachgekommen.
Am Rhön-Klinikum ging es für Salko Glamocic stetig bergauf. Bis zur Anerkennung seines Examens fungierte er als Pflegehelfer. Seitdem ist er auf der Intensivstation der Neurologie tätig. Schließlich absolvierte er die sehr anspruchsvolle Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiepflege und eine Weiterbildung zum Praxisanleiter. "Es gibt hier viele Chancen und Möglichkeiten", sagt er. Und: "Man bekommt alles bezahlt und muss nur lernen."
Bessere Lebensbedingungen und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland
Taniya Jacob arbeitet erst seit Januar am Campus. In ihrer Heimat Indien lernte sie den Beruf der Krankenschwester. Man verdiene dort nur wenig Geld. In Deutschland gebe es bessere Lebensbedingungen und Arbeitsmöglichkeiten, schildert sie ihre Beweggründe, ihr Geburtsland zu verlassen. In Indien müsse man zum Beispiel oft ohne Pausen arbeiten.
Die 23-Jährige stammt aus der Diözese Tellicherry im Bundesstaat Kerala, ebenso wie der Bad Neustädter Pfarrvikar Johnson Thottathil Kurian. Sie wurde auf das Projekt zur Pflegekräftegewinnung aus Kerala des Rhön-Klinikums aufmerksam, bewarb sich dafür, wurde angenommen und lernte daraufhin noch in Indien ein Jahr lang in Vollzeit, finanziell unterstützt vom Rhön-Klinikum, die deutsche Sprache. "Die deutsche Sprache ist sehr schwer", sagt Taniya Jacob. "Vor allem die Aussprache." Abgeschlossen wird der Unterricht mit einem B2-Zertifikat des Goethe-Instituts, das ein fortgeschrittenes Sprachniveau bestätigt. Parallel dazu läuft in Deutschland ein Anerkennungsverfahren zum Gesundheits- und Krankenpfleger.
Einmal im Monat findet ein Gottesdienst mit den Frauen und Männern aus Indien statt
Pfarrvikar Johnson begleite die indischen Frauen und Männer hier und helfe - ebenso wie das Rhön-Klinikum - beim Eingewöhnen und bei Behördengängen, ist Hanshans dankbar für diese Unterstützung. "Wir wollen, dass die Menschen hier Wurzeln schlagen und bleiben." Einmal im Monat feiert der Pfarrvikar mit den Inderinnen und Indern, die katholischen Glaubens sind, in Mühlbach einen Gottesdienst.
Zunächst müssen die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Rhön-Klinikum einen "Anpassungslehrgang" absolvieren. Der Lehrgang dauert im Durchschnitt ein Jahr, erklärt Selina Schrenk, die für die theoretische Ausbildung der Integrationsmitarbeiter zuständig ist. Eine Woche im Monat findet Theorie statt. Ansonsten sind die Kollegen auf der Station. Darüber hinaus läuft der Sprachunterricht weiter. Die Schulung ähnelt in verkürzter Form der generalistischen Ausbildung. Durch sie sollen Defizite und Unterschiede in der Berufsbildung ausgeglichen werden. Während des Anpassungslehrgangs gilt der Status Pflegehelfer, danach erhalten die indischen Kräfte die deutsche Anerkennung für den Gesundheits- und Krankenpfleger.
Was unterscheidet die Pflege in Indien von der in Deutschland?
Wo liegen die Unterschiede zwischen Indien und Deutschland? "In Indien wird die Pflege im Bett oft von Angehörigen übernommen", schildert Eric Pehrson, Leiter der Praxisanleitung. "Sie ist kein Ausbildungsinhalt." Auch die ambulante Pflege existiere in Indien nicht. Die erledigt ebenfalls die Familie. Pflegeprozesse und Pflegeplanung würden in Indien auch nicht unterrichtet werden. Das alles seien Lücken, die nachgeschult werden müssten. In der Behandlungspflege, darunter fallen die Wundversorgung oder die Medikamentengabe, seien die Integrationsmitarbeiter hingegen sehr gut.
Das Projekt zur Pflegekräftegewinnung zieht weitere Kreise. Inzwischen erreichen das Rhön-Klinikum zunehmend Bewerbungen von Abiturientinnen und Abiturienten, insbesondere aus Kerala. Ihnen bietet das Unternehmen ein internationales FSJ, ein freiwilliges soziales Jahr, an. Mit der Möglichkeit, im Anschluss eine Pflege-Ausbildung am Campus zu absolvieren. Zwei FSJ'ler befinden sich bereits in der Ausbildung, acht beginnen sie jetzt und am 1. September startet ein neues FSJ mit 25 Schülerinnen und Schüler, führt Christiane Hanshans aus.
Auf etwas freuen sich die indischen Frauen und Männer bereits: auf den Sommer. In Kerala wird es tagsüber kaum kälter als 29 Grad.