
Nacktbilder, sexy Videoclips und verführerische Gespräche – eigentlich wollte Rene G. im Internet nur seine Fantasie beflügeln. Doch für ihn endete der Flirt mit einer Verhandlung am Amtsgericht in Würzburg und knapp 51.000 Euro weniger Geld auf seinem Konto.
Angefangen hatte alles im März 2021, als G. - aus dem Landkreis Würzburg, Ende 20 - über ein Kleinanzeigenportal Kontaktdaten tauschte: mit einer, wie er annahm, jungen Frau. Über den Nachrichtendienst Skype begannen die beiden miteinander zu chatten und auch zu flirten. Die Frau versprach G.dem Ende 20-Jährigen sich vor der Kamera für ihn auszuziehen – aber nicht ohne Gegenleistung. 80 Euro sollte G. auf ein Konto überweisen.
Dann kommen der Frau angeblich Zweifel. Sie sei unsicher, schreibt sie und will mehr Geld: 100 Euro als Pfand dafür, dass sie sich nicht nur vor der Kamera auszieht, sondern auch Nacktbilder von sich schickt. Rene G. überweist das Geld bereitwillig. Dann bekommt er die versprochenen Bilder zugeschickt. Nahaufnahmen der Intimzone, Bilder in Unterwäsche, auf einigen Fotos ist das Gesicht erkennbar.
Wendepunkt im Chat: G. soll plötzlich Fotos einer Minderjährigen auf dem PC haben
G. gefällt, was er auf den Bildern sieht. Die Frau fordert mehr Geld. Immer mit dem Versprechen, sie würde sich vor der Kamera für ihn ausziehen und selbst befriedigen. Über Wochen haben die beiden Kontakt, G. überweist mehrere hunderte Euro. Bis sich der Ton der jungen Frau plötzlich verändert.
Sie schreibt, ihr Vater habe mitbekommen, was sie im Internet mache. Sie sei eigentlich erst 14 Jahre alt, ihr Vater drohe, G. anzuzeigen. Er bekommt Panik. Mit der Polizei hatte er bisher nie zu tun, geschweige denn mit der Staatsanwaltschaft, die wegen des Erwerbs und Besitzes jugendpornografischer Inhalte Strafanzeige erheben würde.
Die Chatpartnerin bietet ihm einen Ausweg: Überweise G. noch mehr Geld, würde ihr Vater nicht zur Polizei gehen. Wenig später meldet sich auch der vermeintliche Vater bei dem End-Zwanziger und baut weiter Druck auf. In seiner Verzweiflung überweist G. erneut Geld und gerät in eine regelrechte Spirale. Die Forderungen hören nicht auf, die Summen steigen weiter an.
Erpressung: Rene G. verliert sein gesamtes Erspartes
Dann meldet sich plötzlich der vermeintliche Rechtsanwalt des Vaters. Zum ersten Mal wird Rene G. stutzig. Der angebliche Würzburger Jurist verspricht den Fall nicht vor Gericht zu bringen, wenn G. auch ihm Geld überweisen würde. G. sucht die angebliche Kanzlei im Internet und wird nicht fündig, seine Zweifel wachsen. Doch die Angst vor rechtlichen Konsequenzen überwiegt, er überweist erneut Geld. Wieder vergehen mehrere Wochen. Dann meldet sich via Skype plötzlich ein Staatsanwalt bei G.
Auch er versucht, Geld von dem Ende 20-Jährigen zu erpressen, will gegen Geld die Anklage fallen lassen. Über fünf Monate wird G. erpresst. Er überweist insgesamt knapp 51.000 Euro. Erst sein gesamtes Erspartes, dann greift er auf Gelder der eigenen Firma zu. Obwohl er misstrauisch ist, weil Anwalt und Staatsanwalt in über Skype kontaktieren und er ihre Namen online nicht finden kann.
Irgendwann wendet er sich in seiner Verzweiflung an seinen Vater. Der kann nicht glauben, was er hört. Er begreift sofort: Da kann was nicht mit rechten Dingen zugehen. Gemeinsam mit seinem Sohn fährt er zur Polizei und erstattet Anzeige.
"Sextortion": Immer mehr Fälle der Betrugsmasche auch in Würzburg
Fälle wie der des jungen Mannes aus dem Landkreis Würzburg sind bei der Polizei in Unterfranken keine Seltenheit mehr. "Sextortion" nennt sich die Masche – eine Mischung aus dem Wort "Sex" und dem englischen Begriff "extortion" für Erpressung. Die Täterinnen oder Täter geben sich als junge Frau oder Mann aus, locken das ahnungslose Opfer mit Nacktbildern und versprechen sich vor der Kamera auszuziehen, während das Opfer im Videochat zuschauen darf.
Anschließend wird dem Opfer gedroht, die Videos zu veröffentlichen und Geld von ihm erpresst. Rund 200 solcher Fälle sind allein der Kriminalpolizei Würzburg in den vergangenen zwölf Monaten gemeldet worden. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich viel höher, denn viele trauen sich aus Scham nicht, die Erpressung zur Anzeige zu bringen.
Die junge Frau ist ein Azubi aus Siegen
Auch bei Rene G. steckte hinter dem Flirt keine echte Frau, sondern ein 24-jähriger Azubi aus Siegen. Vor dem Amtsgericht Würzburg stehen sich die beiden zum ersten Mal gegenüber. Der angeklagte Azubi entschuldigt seine Taten mit seiner Spielsucht. Er habe dringend Geld gebraucht und im Internet von der Masche erfahren. Er habe sich einen Account mit falschem Namen auf der Kleinanzeigenplattform erstellt und angefangen, mit G. zu chatten. Die Fotos der Frauen fand er im Internet, die Videoclips ebenfalls.
Im Gerichtssaal entschuldigt sich der Angeklagte bei G. und verspricht "alles wiedergutzumachen". Er wolle ihm das Geld zurückzahlen und gegen seine Spielsucht ankämpfen.
Angeklagter muss erpresstes Geld an Opfer zurückzahlen
Der Angeklagte habe eine hohe kriminelle Energie bewiesen und "sich eine riesige Story ausgedacht, um das Opfer bis zum letzten Cent zu erpressen", erklärt Richter René Uehlin. Das Urteil des Schöffengerichts: eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.
Weil der Azubi alleine und nicht in einer Gruppe handelte und G. sein einziges Opfer war, fällt das Urteil relativ milde aus. Da der 24-Jährige nicht vorbestraft ist, wird die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Als Teil der Bewährungsauflagen weist Uehlin den Angeklagten an, Rene G. das erpresste Geld nun Monat für Monat zurückzuzahlen.