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WÜRZBURG/ERLABRUNN
Erlabrunn-Prozess: Haftstrafe nach Tod am Straßenrand
Das Amtsgericht Würzburg hat sein Urteil im „Erlabrunn-Prozess“ gefällt: Der Fahrer eines Streufahrzeuges ist schuld am Tod von Gisela K. – und muss ins Gefängnis.
Erlabrunn-Prozess: Haftstrafe nach Tod am Straßenrand       -  Streufahrzeug (Symbolfoto).
Foto: dpa | Streufahrzeug (Symbolfoto).
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:32 Uhr

Sieben Prozesstage lang zeigte der angeklagte Gemeindearbeiter den Angehörigen der Toten die kalte Schulter. Er schwieg eisern im „Erlabrunn-Prozess“ um den Tod einer 71-jährigen Frau unter den grobstolligen Reifen seines Streufahrzeuges. Dafür redeten sich vor Gericht Zeugen fast um Kopf und Kragen, die den Angeklagten schützen wollten – und einer wanderte direkt vom Zeugenstand in die Zelle, um seine Aussage zu überdenken.

Der Prozess sorgte für großes Aufsehen über die kleine Winzergemeinde im Landkreis Würzburg hinaus. Unbeeindruckt vom Rummel und dem Medieninteresse häufte das Schöffengericht um die Vorsitzende Christine Stoppel Indiz an Indiz und förderte Details zutage, die für Kopfschütteln sorgten: Handydaten von Beteiligten rund um den Angeklagten waren plötzlich gelöscht. Zeugen erinnerten sich nur vage an frühere Aussagen. Am Traktor wurden Spuren verwischt. Es gab Einschüchterungsversuche gegen die Familie des Opfers, Anwälte und Pressevertreter.

Reifen-Spuren stammen vom Streutraktor

Nach sieben Verhandlungstagen war klar: Die Reifen-Spuren auf dem Körper der Getöteten stammen vom Streutraktor – und der Angeklagte hatte ihn gefahren. Staatsanwältin Martina Pfister-Luz hatte „keine begründeten Zweifel“ an der Schuld des Angeklagten und forderte zweieinhalb Jahre Haft ohne Bewährung: „Bis heute steht er nicht zu seiner Tat“, sagte sie in ihrem Plädoyer.

Die Anwälte des Witwers von Gisela K. und ihrer Söhne hatten sich dem angeschlossen. Mit Blick auf Zeugen mit auffallenden Erinnerungslücken sagte Rechtsanwalt Peter Auffermann: „Mir ist manchmal der Kamm geschwollen, wie dreist hier gelogen wurde.“

Verteidiger Andreas Franz beantragte einen Freispruch aus Mangel an Beweisen. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass der Angeklagte sich äußern würde, als er vom Gericht das Recht auf „das letzte Wort“ vor dem Urteil erhielt.

„Es tut mir leid, dass Gisela zu Tode gekommen ist“

Doch da brach es aus dem 57-Jährigen heraus: „Es tut mir leid, dass Gisela zu Tode gekommen ist,“ sagte er erstmals zur Erleichterung des Witwers und seiner zwei Söhne. Die hatten fast zwei Jahre vergeblich auf ein Wort des Beileids von ihrem Mitbürger, der Mitglied im Gemeinderat ist und eine führende Funktion in der Feuerwehr hat, gewartet. 

Gespannt beugten sich die Zuschauer nach vorne, die in drei Stuhlreihen dicht gedrängt den Prozess verfolgten: Würde der Angeklagte die Chance nutzen, mit klärenden Worten den Frieden wieder herzustellen in Erlabrunn, wo die einen Mitgefühl für Gisela K. und ihre Familie zeigen und andere vehement den Angeklagten gegen jede Schuldzuweisung verteidigen? Er weiß als einziger, was am Tatort passiert ist. Doch statt einem Geständnis kam nur die Erklärung: Er habe die Frau am Unfallort nicht gesehen. Wollte er damit zumindest einräumen, was er bisher nicht gesagt hatte: dass er zur Unfallzeit am Unfallort war?

Das Gericht fand umso deutlichere Worte: Es hatte keinen Zweifel daran, dass er die Frau versehentlich überrollt, dann Fahrerflucht begangen und später versucht habe, mit Hilfe williger Mitbürger die Tat zu vertuschen. Aber immer wieder habe ihm sein Gewissen einen Streich gespielt und zu verräterischen Äußerungen getrieben, die zeigten, „dass er sich offensichtlich schuldig fühlt,“ machte Richterin Christine Stoppel deutlich.

Ein Jahr und zehn Monate Haft

Sie verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und Unfallflucht zu einem Jahr und zehn Monaten Haft. Den Führerschein musste er noch im Gerichtssaal abgeben. „Die Hetze gegen die Familie K.“ sei ihr „absolut unverständlich“, so die Richterin abschließend. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger äußerte sich nicht über Pläne, in Berufung zu gehen.

 
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  • V. C.
    Es gibt überall einzelne schlechte Menschen. Was in Erlabrunn anders ist: Dort haben sie Unterstützung und eine reelle Chance, damit durchzukommen, wie wir jetzt wissen (völlig abgesichert durch eine verlogene spießbürgerliche Fassade). Armes Erlabrunn, eine Schande für die dortige tonangebende Gemeinschaft.
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  • M. D.
    Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass das ein spezielles Problem der Ortschaft "Erlabrunn" ist. Hier wurde nur einmal der Teppich angehoben, hochmotiviert und akribisch.

    Ich komme gänzlich von außerhalb, hätte man mir vorher erzählt, was in dieser Provinz alles möglich ist, ich hätte es nicht geglaubt.

    Was ich seit 14 Jahren in Würzburg erlebe, ist genau das gleiche klüngelnde Spießbürgertum und die kumpelige Obrigkeitshörigkeit wie sie hier aufgezeigt wurde: ein Korpsgeist, der Amtsträger und Schoppenfreunde schützt und deckt.

    In Würzburg sind das dieselben, die jetzt mit dem Finger auf Erlabrunn zeigen und sich selbst auf ein moralisches Podest stellen! Widerwärtig.
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  • A. F.
    Wenn man bedenkt, dass die Angehörigen der tödlich verletzten Dame "lebenslänglich" bekommen haben, denn sie müssen lebenslänglich mit dem Verlust eines geliebten Menschen klar kommen, dann ist der Angeklagte mit dieser Strafe noch äußerst billig davon gekommen, hat er doch die Chance, nach Verbüßung der Haft irgendwie nochmal neu anzufangen, was den Angehörigen verwehrt sein dürfte.
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  • J. S.
    "Irgendwie" schon. Nur nicht mehr bei Feuerwehr, Bauhof u. ä.,
    denn er ist vorbestraft! Nach Rechtskraft des Urteils kommen die Entlassungen. Über Diziplinarverfahren, da er im öffentlichen Dienst ist und bald war. Ob dies zu seinem Fehlverhalten mit bei trug? Dann hat er auch damit dies sich selbst "eingebrockt!" Der Führerschein ist schon mal weg.
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  • A. F.
    Mein Kommentar war jetzt mehr allgemein gehalten. Und zwar dahingehend, dass der jetzt Veruteilte, der mit dieser Gefängnisstrafe auch sein Arbeitsplatz verlieren dürfte, nach Verbüßung der Haftstrafe nochmal, vielleicht in einem anderen Ort, nochmal eine Arbeitsstelle bekommt und dort auch auch generell das Geschehene hinter sich lassen kann.

    Im übrigen traue ich ihm letzteres auch zu, so kaltschnäuzig, wie er bisher reagiert hat.

    Das alles, das Geschehene hinter sich zu lassen, ist für die Angehörigen nur sehr schwer möglich, wenn gar unmöglich.

    Ferner teile ich die Auffassung von "TomasB" (erster Kommentar zu diesem Bericht) das so ein Ereignis durchaus eine Dorfgemeinschaft in zwei Lager spalten und das es auch sehr lange dauern kann, bis die Gräben, die daraus entstanden sind, wieder zugeschüttet sind.
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  • S. K.
    gibt eh Berufung, solche Menschen geben nicht auf, hoffe nur das Urteil hält...
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  • J. S.
    Kine Bange: Die Richter haben sich Ihr Urteil gut überlegt.
    Damit es auch einer Berufung oder einer Revision standhält. um das Gesicht des Erstgerichtes zu wahren. Das sollte man wissen, bevor man so mir nicht dir nichts in Berufung geht. Das erspart auch unnötige Kosten. Denn die Gebühren sind höher bei einer höheren Instanz. So gilt denn auch hier dieses: "Ausser Spesen nichts gewesen!"
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  • S. K.
    Ich denke, die meisten Richter überlegen sich ihr Urteil gut, damit es besteht. Es ist oft ein Reflex, Rechtsmittel einzulegen, um alles auszuschöpfen, es geht schließlich um den "eigenen Kopf". Ungeachtet der Kosten oder Erfolgsaussichten. Ebenso reflexartig legt meistens dann auch die StA Rechtsmittel ein, damit das Verschlechterungsverbot nicht greifen kann und der Angeklagte so zur Rücknahme seines Rechtstmittels "bewegt" wird....
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  • W. S.
    Außer Spesen nichts gewesen? ich denke, es ist auch nicht ausgeschlossen, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu einer höheren Strafe führen kann.
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  • S. M.
    Anmerkung der Redaktion: Durch die Abkürzung des Users "ThomasB" könnte der Eindruck enstehen, es handele sich bei dem Kommentator um den Erlabrunner Bürgermeister Thomas Benkert. Das ist nicht der Fall.
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  • J. S.
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    Schön wäre aber, wenn sich der Erlabrunner BM jetzt nach der Urteilverkündung mal mitteilt.
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  • J. F.
    Entlang einer eindeutigen Faktenlage konnte auch eine wohlwollende Berichterstattung nur in eine Richtung zeigen. Das errichtete Lügengebäude war allzu löchrig. Ein Anwalt der Nebenkläger hat dafür sehr deutliche Worte gefunden, die - hier schweigt des Sängers Höflichkeit - auch nur sehr zurückhaltend Eingang in den MP-Bericht gefunden haben. Gespannt bin ich noch auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gegen die "Zeugen", die augenscheinlich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, wie der jetzt Verurteilte. Die Strafe für den Verurteilten erscheint mir als milde bis angemessen. Vielleicht hilft sie ihm, sich doch noch zu seiner Schuld zu bekennen. Ohne Schuldeingeständis ist wenig Raum für Verzeihen und Resozialisierung.
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  • B. S.
    Wenn man die Berichterstattung so ansatzweise verfolgt hatte,möchte man in Erlabrunn weder wohnen,noch länger leben noch hinziehen müssen.

    Da bekommt man beinahe Angst,ob einer verschworenen (bis zum Meineid?) Feuerwehrgemeinschaft -und hinterfotziger Mitmenschen,Nachbarn,Mitbewohner im Ort.
    Ganz furchtbar.
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  • A. H.
    so was würde im gleichen Fall in (fast) jedem Dorf genau so geschehen; Eschenau lässt grüßen, wobei die Fälle natürlich nicht vergleichbar sind, aber wie "das Dorf" bzw. die Bewohner damit umgeht bzw. umging.
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  • J. F.
    Ich fürchte, anderswo ist es auch nicht anders. Umso erfreulicher ist die sorgfältige Ermittlungsarbeit der Polizei, die es ermöglicht hat, diesem Kartell im wahrsten Sinne einen Riegel vorzuschieben.
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  • A. H.
    Deswegen sind wir auch umgezogen!
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