Als der Angeklagte mit seinen zwei Verteidigern den Würzburger Gerichtssaal betritt, schauen der Ehemann der getöteten Gisela K. und ihre zwei Söhne ihm gespannt ins Gesicht. Beteuert der 57-jährige Gemeindearbeiter seine Unschuld? Oder gibt er zu, was in der Anklage steht: Dass er am 5. Januar 2016 in Erlabrunn (Lkr. Würzburg) an einer Engstelle die Fußgängerin mit seinem Streufahrzeug versehentlich überrollte – und nach der Unfallflucht versuchte, seine Tat zu vertuschen?
Acht Tage Wahrheitssuche
Der 57-Jährige wendet stumm den Hinterbliebenen den Rücken zu, die als Nebenkläger hinter ihm sitzen. Er schweigt zum Tatvorwurf. Das ist sein Recht – ob es klug ist, muss sich im Verlauf der Verhandlung mit vielen Zeugen zeigen, darunter auch die Bürgermeister von Erlabrunn und Leinach.
Ermittler im Zeugenstand
Dafür bringt der Polizist, bei dem die Ermittlungen zusammenliefen, im Zeugenstand entscheidende Details zur Sprache: Warum sprach ein Arbeitskollege des Angeklagten gegenüber einem Dritten davon, dass Gisela K. „überrollt“ worden war – fünf Tage, bevor es die Polizei durch die Obduktion erfuhr? Die ging zunächst davon aus, dass die Frau bei Glatteis ausgerutscht sein könnte.
Die Rechtsmedizin stellte an der Kleidung der toten Frau markante Reifenspuren fest, die nach Überzeugung der Gutachterin mit dem Reifenprofil des gemeindlichen Traktors übereinstimmen.
Ein Häufchen Salz als Indiz
Ein Häufchen Streusalz fand sich auch nahe dem Unfallort – obwohl der Gemeindearbeiter behauptete, dort zur Tatzeit gar nicht gewesen zu sein. Das Salz war noch so frisch, dass es nicht Stunden vorher, sondern erst kurz vor dem Unfall an der Engstelle aufs Pflaster gelangt sein konnte.
Gelöschte Handy-Daten
Die Ermittlungen legen nahe, dass der Angeklagte nach der Tatzeit mit zwei Verwandten telefoniert haben muss, die ihn als Zeugen entlasten. Aber die Ermittler stellten fest: Bei allen drei Männern waren später die Handydaten über die Anrufe im fraglichen Zeitraum gelöscht – „zufällig“, wie sie alle beteuern.
Merkwürdig kam einem anderen Gemeindearbeiter vor, dass ihn der Angeklagte zwei Tage nach dem Unfall anwies, das Streufahrzeug im unteren Bereich neu zu lackieren – was mitten in der Streuperiode wenig Sinn machte. Der Angeklagte schweigt dazu – wie auch zu der Frage, was er sich eine Woche vor Prozessbeginn von plötzlichen Fahrtests mit dem Traktor versprach.
Flammender Appell des Nebenklage-Anwalts
Was Gericht und die Staatsanwältin an belastenden Fakten nicht erwähnen, arbeiten die Anwälte der Opferfamilie, Hanjo Schrepfer, Norman Jacob jr. und Peter Auffermann heraus.
„Hier geht es nicht um Rache,“ betont Auffermann in einer flammenden Erklärung zum Ende der Auftaktverhandlung, „sondern um Wahrheitsfindung und Genugtuung“ für die Angehörigen. Der Angeklagte könne das umfangreiche Verfahren abkürzen: „Ich bin entsetzt, dass keine vernünftige Erklärung von ihm kommt.“
Auffermann: Hetzkampagne gegen Familie des Opfers
Stattdessen werde die Schuld für das nun notwendige Gerichtsverfahren bei den Angehörigen der Toten gesucht. Auffermann sprach von einer „Hetzkampagne“ gegen die Familie: „Was da abgeht, ist zum Kotzen.“
Christine Stoppel, die Vorsitzende des dreiköpfigen Schöffengerichts, weiß, dass der Fall die Gemeinde in zwei Lager gespalten hat. Sie macht in der Verhandlung öffentlich, dass vorsichtshalber Justizpersonal bereitstand, um jede Störung sofort unterbinden zu können.
Doch es bleibt ruhig in den bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerreihen.
Der Prozess wird am 20. November fortgesetzt, mit einer Reihe von Zeugen. Die Nebenklage-Vertreter zeigen sich kampfeslustig: Auffermann warnte eine Reihe von Zeugen, den Angeklagten mit falschen Angaben entlasten zu wollen: „Die Leute, die hier verschleiern und vertuschen wollen, sollten sich schämen – und sich warm anziehen!“