
"Er hat mir meinen Arbeitsplatz geschaffen", sagt Sozialpädagoge Bernd Vormwald, der stellvertretende Leiter des Spieli. "Ich bin als Künstler, als Puppenspieler ohne ihn nicht denkbar", sagt Norbert Böll vom Theater Spielberg. "Der Mensch will tätig sein – das war sein Ansatz, sein Leben lang", sagt Elisabeth Mahlke-Gruber, die Tochter. Und Martha Schubert-Schmidt, Architektin aus Gerbrunn sagt über Wolfgang Mahlke: "Er hat Räume menschlich gemacht."
Er selbst hatte sich die Aufgabe, das Ziel gegeben: "Dem Inhumanen mit Gestalterischem begegnen."

Wolfgang Mahlke: Kunstpädagoge, Raumgestalter, Professor an der pädagogischen Hochschule Würzburg, Begründer des "Würzburger Modells" für pädagogische Einrichtungen. Gestalter, Schaffer, Umsetzer. Zuständig für Kunst-am-Bau-Projekte im Raum Würzburg, für Kirchenfenster, Mosaike, Keramiken. Geboren am 6. August 1923 in Berlin-Rahnsdorf, gestorben 2008 in Brunntal im Main-Tauber-Kreis, wo er am eigenen Wohnhaus seine Bauphilosophie umgesetzt hatte.
Im Würzburger Kinderzentrum Spieli: alles mal verwinkelt, mal schief, mal schräg - nie langweilig
An diesem Sonntag also wäre Wolfang Mahlke 100 geworden. Und zum Geburtstag treffen sich seine Tochter, die heute in Karlstadt lebt, der Puppenspieler, die Architektin und der Sozialpädagoge im Spieli in der Zellerau. Weil man hier, im Kinderzentrum, dieser abenteuerlichen, kreativen, phantasievollen Spiel- und Begegnungsstätte, ganz unmittelbar sieht und erlebt, was Mahlke meinte mit den menschlichen Räumen. Den Räumen, die so gestaltet sind, "dass man tätig sein soll und darf", wie Elisabeth Mahlke-Gruber sagt.

Seit 34 Jahren sei er jetzt hier, im Spieli, sagt Bernd Vormwald. Und heute noch sei es wie damals: "Ich geh‘ in den Raum rein – und ich fühl mich in dem Raum wohl!" Wände, Gänge, Treppen – „mal verwinkelt, mal schief, mal schräg, nie langweilig“, sagt der Vize-Leiter des Spieli. Und überall viel, viel Holz.
Uridee erhalten, den Lebensraum für Kinder auch: Gebäude eins zu eins 100 Meter weiter gebeamt
Und dann musste dieses abenteuerliche Spieli, das 1976 im sozialen Brennpunkt Zellerau gebaut worden war, 30 Jahre später tatsächlich weg. Weil das ganze Viertel umgestaltet wurde. Aber dass das Kinderzentrum dann nur 100 Meter weiter quasi originalgetreu und fast eins zu eins wieder aufgebaut werden konnte samt Außenanlage und Spielgeräten – es habe vor allem damit zu tun, dass die Ur-Idee von Mitgestalter Mahlke so gelungen war. Ein Lebensraum für Kinder - "wir haben den Geist zu 95 Prozent rübergebeamt", sagt Vormwald über das zweite Spieli. "Du kannst hier alles machen: Dich zurückziehen, geborgen sein, austoben."
Das Talent ihres Vaters, sagt Elisabeth Mahlke-Gruber, sei schon als Kind deutlich geworden. Er sei fasziniert gewesen von den Messerspuren auf dem geschmierten Butterbrot. Ging in den Zoo, um Tiere zu zeichnen. Und übernahm in der Schule den Kunstunterricht, als im Krieg die Lehrer fehlten.

"Die Kriegszeit und die drei Jahre Kriegsgefangenschaft in Russland waren prägend für ihn", sagt Elisabeth Mahlke-Gruber. Ungezählte Schmierzettel füllte der junge Kriegsgefangene mit Zeichnungen und Porträts, mit Phantasien und Träumen. Es stärkte, sagt die Tochter, seinen Überlebenswillen.
Endlich zurück in Deutschland, machte der Spätheimkehrer sein Talent zum Beruf. Nach der Ausbildung zum Werk- und Kunsterzieher in München war Mahlke erst Lehrer am Gymnasium in Weiden, 1961 kam er als Professor für Kunst- und Werkpädagogik nach Würzburg. Und er wurde, sagt Martha Schubert-Schmidt, "für viele Menschen Vorbild und einflussreicher Lehrer, der an vielen Orten Alltagskultur und Lebensqualität entstehen ließ".
Bei Kunst, bei Gestaltung, bei Architektur: immer die menschlichen Grundbedürfnisse im Blick
Wenn er für pädagogische Einrichtungen wie das Kinderzentrum, das Elisabethenheim oder den Kindergarten und die Schule der Maria-Ward-Schwestern arbeitete, "dann waren Ausgangspunkt immer die menschlichen Grundbedürfnisse", sagt die Architektin. Und nennt Stichworte: tätig sein, Geborgenheit, Anregung aller Sinne, Raum- und Selbsterfahrung durch Bewegung, Orte ungestörter Kommunikation . . .

Und der Maßstab musste bei allen Treppen, Stufen, Regalen, Einbauten passen. "Funktional und abgestimmt auf die Körpergröße." Wichtig auch: das Material. Wolfgang Mahlke habe "Werkstoffe genutzt, die gut altern, nicht kaputt gehen, sondern Spuren aufnehmen und Geschichten erzählen". So wie die Holztische und Bänke im Spieli.
Im Chemie-Zentrum der Uni Würzburg, in Kindergärten, in Kirchen: Mahlke hat viele Spuren in und um Würzburg hinterlassen
Apropos Geschichten erzählen. Norbert Böll vom Theater Spielberg machte der Kunstpädagogikprofessor zum Puppenspieler. Rat- und planlos sei er nach dem Industriedesign-Studium gewesen, sagt Böll. Er war mit den Kindern von Wolfgang Mahlke befreundet gewesen, oft im offenen Hause Mahlke zu Besuch. Und der Professor suchte für den orientierungslosen jungen Designer Projekte. Er hat mich mit Arbeit zugedeckt." Und als es für Böll nichts mehr zu tun gab, "da hat er mich zum Puppenspiel-Studium nach Bochum geschickt."

Wo man Mahlkes Werke heute noch begegnet? Die Keramikwände in der Krankenpflegeschule der Würzburger Uniklinik sind von ihm gestaltet. Die Glasfenster im Ferdinandeum und in der Pfarrkirche St. Johannes in Margetshöchheim. Die Fliesen im Kinderheim St. Joseph, die großen Wandmalereien und Inschriften am Heilpädagogischen Seminar in Würzburg. Und im Chemie-Gebäude der Uni ertasten heute noch Studentinnen und Studenten im Vorbeigehen die Reliefs aus eingedrückten Schnüren und Netzen im Beton. "Alles soll sich gut anfühlen", sagt Norbert Böll. "Hell und dunkel, glatt und rauh."
Es sei ihm immer darum gegangen, "bessere Lebensqualität zu schaffen", hatte Wolfgang Mahlke selbst einmal gesagt. Und: "Immer rangierte für mich die alltägliche Kultur, die Qualität des Umfelds einfacher Menschen vor jeglicher Kunst, die es in Museen zu bestaunen gibt." Diese Haltung, sagt Elisabeth Mahlke-Gruber, sei wohl auch den Erlebnissen und Eindrücken in der langen Gefangenschaft geschuldet.
Zum 100. Geburtstag: Für Ende Oktober eine Veranstaltung in Margetshöchheim geplant
Mahlkes Ziel: "Dem Inhumanen mit Gestalterischen begegnen!" Ende Oktober wollen Familie, Weggefährten und Freunde in Margetshöchheim eine Feier zum 100. Geburtstag des Kunstpädagogen veranstalten. Mit Empfang, Führungen zu den Kirchenfenstern und Puppenspiel. Denn, sagt Martha Schubert-Schmidt über Wolfgang Mahlke: "Wir sind überzeugt, seine Ideen und Werte haben noch heute Gültigkeit. Sind sogar aktueller denn je."
