Mit festem Blick sitzt Werner König an einem Donnerstag im Januar auf der Richterempore des Schwurgerichtssaals C017 am Landgericht Würzburg. Und schaut auf den Mann, der gerade unter seiner Mitwirkung zu acht Jahren Haft verurteilt worden ist. König ist gelernter Schlosser, eine juristische Ausbildung hat er nicht. Und doch nimmt der 69-Jährige am Landgericht eine Schlüsselrolle ein: König ist Schöffenrichter und vertritt das Volk, in dessen Namen geurteilt wird.
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe (...) der Rechtsprechung ausgeübt." So steht es im deutschen Grundgesetz. In der bayerischen Verfassung heißt es darüber hinaus: "An der Rechtspflege sollen Männer und Frauen aus dem Volke mitwirken." Das Volk, so der Gedanke, soll somit Einblick in das Justizsystem bekommen.
Schöffinnen und Schöffen sind Berufsrichtern bei Entscheidungen gleichgestellt
"Da drüben ist mein Stammplatz", sagt Werner König, der aus Erlenbach bei Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) stammt, einige Tage nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal und zeigt auf die Richterempore. In den vergangenen Jahren hat er oft dort gesessen, hat über Drogendealer und Gewaltverbrecher geurteilt. Und eben auch über den 43-Jährigen, der im August 2022 das Haus einer Familie in Zell angezündet hat.
Ein komplexer Fall sei das gewesen, sagt König. Als Mensch berühre ihn das Schicksal der Familie sehr. Als Richter müsse er jedoch penibel abwägen, welche Informationen er bei einem Schuldspruch und bei der Strafbemessung gegen einen Angeklagten verwende. Nicht immer sei das selbsterklärend.
Gemäß des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes sind Schöffinnen und Schöffen Berufsrichtern gleichgestellt: Ihre Stimme entscheidet über Schuld und Unschuld - und über das Strafmaß. Die Schöffen können einen Richter überstimmen oder ein Urteil blockieren, wenn sie sich einig sind. In den Strafkammern, die aus Berufsrichtern und Schöffen bestehen, müssen diese sich vor Urteilen verständigen. Kleine Kammern mit einem Richter und zwei Schöffen entscheiden über Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte. Große Strafkammern setzen sich aus zwei oder drei Richtern und zwei Schöffen zusammen. Sie entscheiden bei schweren Straftaten in erster Instanz sowie bei Berufungen gegen Urteile eines Jugendgerichts, wo auch Schöffen eingesetzt werden.
So blickt ein erfahrener Würzburger Strafverteidiger auf das Schöffenamt
Das habe Auswirkungen auf die Art und Weise wie Prozesse geführt werden, sagt Heinz Kracht, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer für Ober- und Unterfranken. "Für uns Verteidiger ist es wichtig, ganz explizit Schöffen anzusprechen", sagt Kracht. Durch ihre lebensnahe Erfahrungswelt seien Laienrichterinnen und Laienrichter für manche Botschaften anders empfänglich.
"Ich meine, dass diese Vielfalt der Leute aus dem Volk Sinn macht, nicht nur ein rechtlichen haltbares, sondern auch ein gerechtes Urteil zu finden", sagt der Würzburger Strafverteidiger. Da viele Schöffen älter seien, hätten sie Erfahrungen gemacht, die der Lebensrealität seiner Mandantinnen und Mandanten nahe kämen. Und die durch emotionale Argumente oftmals gut angesprochen werden könne.
Würzburger Staatsanwalt: Manche Anwälte plädieren gezielt für Schöffen
"Ich habe schon erlebt, dass Anwälte gezielt für Schöffen plädieren", sagt Oberstaatsanwalt Tobias Kostuch, der im Brandstifter-Prozess die Anklage übernommen hatte und auf eigene Erfahrung als Richter zurückblickt. Auch der Staatsanwaltschaft sei dies nicht völlig fremd, so thematisiere man in Plädoyers etwa manchmal bewusst die tragischen Folgen eines Verbrechen.
So auch im Verfahren gegen den Brandstifter von Zell: "Die Betroffenen stehen wirtschaftlich vor dem Abgrund", hatte Kostuch in Richtung Richterbank ausgeführt. Auch der Verteidiger hatte mit Emotionen nicht gespart und die Enttäuschung des Angeklagten thematisiert, der keinen Urlaub mit dem gemeinsamen Sohn habe machen dürfen und deswegen das Haus der Familie der Ex-Partnerin angezündet habe. Wie geht man als Laie um mit solchen Abwägungen?
Sind Schöffen ahnungslose Laien, die sich emotional manipulieren lassen?
"Mit dieser Tat hat er die Familie finanziell total zugrunde gerichtet", sagt König über den Verurteilten und die fehlende Brandschutzversicherung. "Aber das darf ich nicht gegen ihn halten, denn er konnte das nicht wissen." Solche Fakten abzuwägen habe er bei einer freiwilligen Fortbildung für Schöffinnen und Schöffen auf der Frankenwarte gelernt.
Nur sehr wenige der hunderten Schöffinnen und Schöffen in der Region Würzburg hätten zu seiner Enttäuschung daran teilgenommen. Erfahrungsgemäß, so König, machten auch nur wenige in den Verhandlungen von ihrem Fragerecht Gebrauch oder diskutierten vor Urteilen tatsächlich mit Berufsrichterinnen und -richtern.
Sind Schöffen also juristische Unsicherheitsfaktoren, ahnungslose Laien, die sich emotional durch Verteidigung und Staatsanwaltschaft manipulieren lassen? Oder willfährige Assistentinnen und Assistenten der Berufsrichter? Weder noch,sagt Johannes Ebert, Präsident des Würzburger Landgerichts.
Präsident des Würzburger Landgerichts: Schöffen sind von unschätzbarem Wert
"Schöffinnen und Schöffen sind für unsere Justiz von unschätzbarem Wert", sagt Ebert. Den Sachverstand, ist der Gerichtspräsident überzeugt, brächten Berufsrichterinnen und Berufsrichter, Verteidiger und Staatsanwältinnen in den Gerichtssaal. Schöffinnen und Schöffen hingegen brächten Lebenserfahrung mit, die bei der Findung gerechter Urteile nicht weniger wichtig sei.
So seien die juristischen Profis manchmal so sehr in exakter Rechtsprechung verhaftet, dass ihnen der Blick fürs große Ganze fehle. Zudem könnten etwa jüngere Richterinnen und Richter gar nicht aus demselben Erfahrungsschatz schöpfen, wie etwa Seniorinnen und Senioren, die ihr Leben lang außerhalb des Gerichtsaals gearbeitet hätten: "Manche Schöffen haben viel erlebt", sagt Ebert. "Es könnte zum Beispiel sein, dass einer sagt, dass man bei einem Gewalttäter härter zugreifen muss." In anderen Fällen brächten Schöffinnen und Schöffen notwendige Gelassenheit ein.
Von Gelassenheit spricht auch Schöffe Werner König, dessen fünfjährige zweite Amtsperiode in diesem Jahr zu Ende geht. In all seinen Verfahren habe er "sehr selten einen grundsätzlich bösen Menschen erlebt", sagt der 69-Jährige. Mit all den Gewalttaten und Schicksalsschlägen umzugehen, sei nicht immer einfach. Dennoch könne er die Tätigkeit als Schöffe uneingeschränkt weiterempfehlen - allen, die ein gesellschaftliches Interesse mitbringen. "Nur Mut und einfach machen. Denn es heißt nicht umsonst 'im Namen des Volkes'."