Juristische Vorkenntnisse? „Habe ich nicht“, sagt Peggy Knauer. Trotzdem sitzt sie seit 2019 regelmäßig mit am Richtertisch im Amtsgericht Kitzingen. Sie ist eine von etwa 10.000 ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in Bayern. Die Schöffen werden alle fünf Jahre gewählt, 2023 ist es wieder soweit. Doch warum dürfen eigentlich ganz normale Bürger Recht sprechen – und sollen es sogar?
Männer und Frauen aus dem Volke sollen an der Rechtspflege teilnehmen – so steht es in der Verfassung des Freistaates Bayern. Ehrenamtliche Richter sind solche Männer und Frauen aus dem Volke – sie haben nicht Rechtswissenschaft studiert, sondern gehen anderen Berufen nach, sind ganz gezielt juristische Laien. „Ihre Mitwirkung an der Rechtsprechung ist gerade deshalb gewollt, weil ihre Lebens- und Berufserfahrung, ihr Urteil, ihr Gemeinsinn und ihre Bewertungen in die Entscheidungen der Gerichte eingebracht werden sollen“, heißt es in einer Broschüre des bayerischen Justizministeriums. „Es geht um ein gesundes Bauchgefühl“, drückt Peggy Knauer es aus. „Für das Juristische ist der Berufsrichter da.“
Dass sie für das Amt des Jugendschöffen vorgeschlagen wurde, kam für die Lehrerin überraschend, erzählt sie rückblickend. Erst hatte sie Zweifel – war das neben dem beruflichen und ehrenamtlichen Engagement überhaupt zu schaffen? Zugleich aber fand sie die Aufgabe sehr interessant, zumal sie ja auch beruflich mit jungen Leuten zu tun hat. Und einfach ablehnen lässt sich die Aufgabe sowieso nicht – das Schöffenamt ist ein verpflichtendes Ehrenamt.
Für das Schöffenamt kann man sich bewerben oder wird vorgeschlagen. Es gibt verschiedene Voraussetzungen, unter anderem muss man Deutscher sein, nicht unter 25 Jahre alt und nicht über 70. In diesem Frühjahr stellen die Gemeinden und Städte wieder Vorschlagslisten für Schöffen auf – sie werden von den Gemeinde- und Stadträten beschlossen, die Vorschlagsliste für die Jugendschöffen beschließt der Jugendhilfeausschuss. Die beschlossene Liste geht ans Gericht und aus den Vorschlägen wählt der dort gebildete Schöffenwahlausschuss die erforderliche Zahl der Schöffen und Jugendschöffen für die Amts- und Landgerichte. Ab Herbst erfahren die Bewerber, ob sie gewählt wurden und ab 2024 mit am Richtertisch sitzen.
Es gibt Haupt- und Hilfsschöffen
In der Periode von 2019 bis 2023 gibt es am Amtsgericht Kitzingen je 14 Schöffen im Erwachsenen- und Jugendbereich. Je sechs sind Hauptschöffen. Acht Hilfsschöffen springen ein, wenn ein Hauptschöffe ausfällt. Je ein Mann und eine Frau stehen dem Richter in den Schöffengerichtsverhandlungen zur Seite – ein Jahr lang ist es das gleiche Team, dann wird gewechselt.
Als Jugendschöffen sind Knauer und ihre Kollegen zuständig, wenn junge Leute vor Gericht stehen. In der Regel bis 21 Jahre, teilweise aber auch älter, weil das Alter zum Tatzeitpunkt entscheidend ist. Acht- bis zehnmal pro Jahr ist Knauer als Schöffin gefragt, die Ladung erfolgt in der Regel vier bis sechs Wochen vor dem Termin, erzählt sie, nur selten muss kurzfristig geladen werden. Das hilft, das Pflichtehrenamt mit dem Beruf zu vereinbaren. Der Arbeitgeber weiß rechtzeitig, wann der Mitarbeiter ausfällt.
Wer vor Gerichts steht und warum, wissen die Schöffen im Vorfeld nicht. Sie hören aufmerksam zu in der Verhandlung, schauen genau hin, achten auf Mimik und Gestik. „Da kann man schon manchmal entdecken, ob uns da jemand was auftischen will“, sagt Peggy Knauer. Wichtig ist es, immer neutral an die Fälle heranzugehen, niemanden in eine Schublade zu stecken, nur weil er sich vielleicht auf den Stuhl fläzt oder schmuddelig angezogen ist.
„Man muss die eigene Meinung im Laufe der Verhandlung immer wieder reflektieren“, betont Knauer. Schon während der Verhandlung gehen die beiden Schöffen mit dem Richter ins Beratungszimmer, jeder schildert seinen Eindruck, es entstehen erste Diskussionen. Gut gefällt ihr, dass der Richter erst die Schöffen reden lässt, bevor er mit seinem juristischen Wissen seine Sicht schildert. Und dass der Richter viel Input von den Schöffen will und auch bekommt. „Das System der zwei Laien und eines professionellen Richters ist die größtmögliche Chance, neutral zu urteilen“, findet Knauer. In Kitzingen funktioniere das hervorragend, lobt sie. Das sei nicht überall so. Bei der Urteilsfindung haben alle drei Stimmen das gleiche Gewicht. Die beiden Laien können den Juristen also auch überstimmen. „Das haben wir sogar schon mal gemacht“, erzählt die Jugendschöffin. Nicht in der Frage schuldig oder nicht, sondern im Strafmaß. „Wir waren strenger.“
Ein besonderer Fall sei ihr nicht in Erinnerung geblieben, sagt Knauer. Eher beschäftigt sie, dass es sich bei den Angeklagten um Jugendliche handelt, die in einem Alter sind wie viele, mit denen sie zu tun hat – in der Verwandtschaft, in der Bekanntschaft, im Ehrenamt. „Da überlegt man sich schon, was passiert ist, dass diese Jugendlichen jetzt vor dem Schöffengericht stehen.“ Dort landet schließlich nur, wer schon mehrere Vergehen oder ein schwereres Delikt begangen hat. Der Bericht der Jugendgerichtshilfe biete da manchen Einblick. „Manchmal denke ich dann, wenn man schon früher eingegriffen hätte, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.“ Durch stärkere Ressourcen in der Schule vielleicht, oder frühe Familienhilfe.
Dass Laien an der Urteilsfindung beteiligt werden, hält Knauer für sehr wichtig. Weil sie nicht die juristischen Aspekte im Blick haben, die Gesetze, die Paragraphen. Weil die Jugendschöffen Menschen sind, die regelmäßigen und engen Kontakt zu jungen Leuten haben – als Lehrer, als Trainer, als Betreuer... Sie kennen die Normalität, sorgen dafür, dass „der Blick fürs echte Leben“ nicht verloren geht. Eben weil sie „Männer und Frauen des Volkes“ sind.
Info: Wer sich für das Amt des Schöffen interessiert, kann sich bei den Städten und Gemeinden melden, für das Amt des Jugendschöffen beim Jugendamt. Alle Informationen über die Voraussetzungen gibt es unter justiz.bayern.de/service/schoeffen/