
Enrico Calesso, 50, seit 14 Jahren Generalmusikdirektor am Mainfranken Theater, ist - war - der charismatischste Akteur im Würzburger Kulturleben. Das kann man gefahrlos behaupten, ohne irgendjemand anders zu nahe zu treten. Nach fast anderthalb Jahren des Pendelns zwischen Würzburg und Triest wechselt er nun ganz als Musikchef ans Teatro Verdi in Triest. Am 5. März dirigiert er noch einmal "Wozzeck" in der Blauen Halle, dann ist das Kapitel Würzburg für ihn beendet.
Wie sehr er vermisst werden wird, ließ sein sinfonisches Abschiedskonzert am Mittwoch mit Gustav Mahlers zweiter Sinfonie im ausverkauften Würzburger CCW erahnen. Anders gesagt: Viel glanzvoller kann ein Abschied kaum ausfallen. Und das lag nicht nur daran, dass Oberbürgermeister Christian Schuchardt Calesso nach dem Konzert mit ebenso herzlichen wie ehrenden Worten würdigte und mit der Silbernen Stadtplakette auszeichnete. Und auch nicht daran, dass das Publikum minutenlang stehend jubelte.

Das lag vor allem am Konzert selbst. Denn Enrico Calesso hat diese Gabe, die Menschen direkt zu erreichen. Das zeigt sich immer wieder, wenn er sich ans Publikum wendet. Oder wenn er in eigener - musikalischer - Sache verhandelt. So nannte Schuchardt ihn einen "charmanten Verführer" bei Gesprächen etwa zu Budgetfragen.
Am wichtigsten aber ist diese Gabe, wenn der Dirigent Calesso vor einem Orchester steht. Etwa beim Puccini-Festival in Torre del Lago, wo seine Musikerinnen und Musiker in der Saison 2020 schon trampelnd applaudierten, als er zur Generalprobe von "Madama Butterfly" antrat. Oder an seinem neuen Wirkungsort, dem Teatro Giuseppe Verdi in Triest, das er jetzt schon mit einer Erweiterung des Repertoires in Richtung deutsches Fach neu ausgerichtet und geprägt hat.

Die Wahl von Mahlers Zweiter für sein letztes Sinfoniekonzert war also Herzensanliegen und Statement zugleich: Der Italiener, der seit seiner Jugend von deutscher Kultur fasziniert ist, der sich seit dem Studium in Wien künstlerisch vorwiegend im deutschsprachigen Raum bewegt, der sich bei aller Auseinandersetzung mit der Schwere deutscher Kunst aber immer den Sinn für Sprezzatura bewahrt hat, also die Fähigkeit, das Ausüben schwieriger Tätigkeiten mühelos erscheinen zu lassen.
Eine "Auferstehungssinfonie" mit einem Programm des Optimismus und der Hoffnung
Nun war dieser Mahler sicherlich kein italienischer Mahler, aber eben einer mit genau dem Hauch Leichtigkeit und Wärme, der das struppig punktierte Thema des Kopfsatzes in den Bässen nicht als existenzielle Unausweichlichkeit interpretierte, sondern als Ansporn, das Licht zu suchen. Und der ganz folgerichtig die grotesken Schärfen im dritten Satz fast versöhnlich wirken ließ.
So stattete der studierte Philosoph Enrico Calesso diese "Auferstehungssinfonie" von Anfang an mit einem Programm des Optimismus und der Hoffnung aus. Mit herrlich sehnsüchtigem Schmelz in den Streichern, funkelnden Hörnern, grandiosem Blech, filigranem Holz, präzise grummelnden Pauken und einem mächtig auftrumpfenden Chor. Dazu die Solistinnen Milena Arsovska und Vero Miller, die zielgenau die von Calesso perfekt organisierten Momente nutzten, stimmlich aus dem Getümmel hervorzutreten.

Der große Moment dieses Mahler-Ereignisses war aber nicht das wirklich eindrucksvolle Finale, das alles an die Rampe wirft, was an Wucht entfesselbar ist, sondern der vierte Satz, das höchst sensibel begleitete "Urlicht", mit Vero Millers unglaublich gehaltvollem Mezzo.
Danach ein überwältigter Saal, ein strahlendes Orchester und ein tief bewegter Enrico Calesso, der in seinen umfassenden Dankesworten auch seine Würzburger Fans nicht vergaß: "So ein Publikum habe ich nie wieder getroffen."