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Würzburg
Elisabeth Dauthendey: Wer war eigentlich die Frau, um die es diesmal bei "Würzburg liest ein Buch" geht?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie eine wichtige Persönlichkeit in Würzburg, heute ist Elisabeth Dauthendey (fast) in Vergessenheit geraten. Eine Wiederbelebung.
Elisabeth Dauthendey, von Gertraud Rostosky 1908 in Öl auf Leinwand gemalt.
Foto: Elmar Hahn/Museum im Kulturspeicher Würzburg | Elisabeth Dauthendey, von Gertraud Rostosky 1908 in Öl auf Leinwand gemalt.
Bearbeitet von Torsten Schleicher Daniel Osthoff
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:40 Uhr

Es ist schon sehr erstaunlich, was die männliche Sicht auf Literatur und Literaturgeschichte an Autorinnen gelten lässt oder dem Vergessen anheim gibt. Vergeblich sucht man im Kindler Literatur Lexikon oder einschlägigen Literaturgeschichten den Namen Elisabeth Dauthendey. Sie teilt ihr Schicksal mit vielen Frauen! Da werden Autoren der dritten Garnitur immer weiter genannt, selbst wenn sie in braunen Zeiten überhaupt erst an die Oberfläche gekommen waren oder durch einen heute nicht mehr nachvollziehbaren Grund in einen sogenannten Kanon aufgenommen worden sind. Frauen schrieben und veröffentlichten auch vor hundert oder noch viel mehr Jahren, ja, schön, aber die Literaturgeschichte schrieben offensichtlich Männer.

Einmal hätte Elisabeth Dauthendey es fast geschafft, einen eigenen Artikel in einem Literaturlexikon zu bekommen. Das war um 1917. Franz Brümmer saß an der Neuauflage seines "Lexikon der deutschen Dichter" (gegendert wurde damals noch nicht) und bat Elisabeth Dauthendey, einen Artikel über sich zu schreiben. Sie begann ihren Eintrag: "Elisabeth Dauthendey, Schwester des obigen...". Sie meinte ihren Halbbruder Max, von dem sie annahm, dass er selbstverständlich gegen jegliche alphabetische Regeln an erster Stelle stehen würde. Ihre Berufsbezeichnung lautete damals aber längst: Schriftstellerin. Und: Im Gegensatz zu dem hier doch immer noch halbwegs bekannten Max Dauthendey konnte sie von ihrem Beruf leben. – Die neue Auflage des Lexikons ist nie erschienen.

Jugend in Würzburg

Wer aber war diese Frau aus der Familie der weit über Würzburg hinaus bekannten Dauthendeys? Ihr Vater Carl Albert Dauthendey, berühmter Photopionier in Deutschland und in Russland, war 1864 mit seinen vier Töchtern aus erster Ehe, seiner zweiten Frau Caroline und einem gemeinsamen Sohn von St. Petersburg nach Würzburg gezogen. Elisabeth, die Jüngste, war damals zehn Jahre alt, Max, ihr Halbbruder wurde erst drei Jahre später geboren. Ihre Jugend verbrachte sie in der Büttnergasse direkt an der alten Mainbrücke, unten das florierende Atelier des Vaters, oben die Wohnung, wo der aus Russland mitgebrachte Samowar dampfte, Blick auf Main und Festung.

Die vier Schwestern Dauthendey, links hockend Elisabeth mit Buch in der Hand.  Aufnahme von Carl Albert Dauthendey um 1875.
Foto: Carl Albert Dauthendey/Sammlung E. Leuschner | Die vier Schwestern Dauthendey, links hockend Elisabeth mit Buch in der Hand.  Aufnahme von Carl Albert Dauthendey um 1875.

Der strenge, technikbegeisterte Vater war schnell ein Mann der feinen Gesellschaft, eine enge Freundschaft pflegte er bald mit der Familie Wadenklee, den Besitzern des Gutes "Zur Neuen Welt" am Leutfresserweg. Auch Elisabeth fand dort am Nikolausberg eine zweite Heimat, war eng befreundet mit Marie Wadenklee und Brautjungfer bei deren Hochzeit mit Heinrich Rostosky. Die Tochter Gertraud Rostosky, 1876 geboren, war ab 1894 die lebenslange "heimliche Geliebte" von Max Dauthendey. Heimlich deshalb, weil sich Elisabeth Dauthendey vehement gegen die Beziehung aussprach, der angehende Dichter brauche eine reiche Frau.

Elisabeths eigene Mutter hatte sich nach der Geburt der Jüngsten das Leben genommen, die Stiefmutter starb, als Elisabeth Dauthendey 19 Jahre alt war. Elisabeth übernahm die Erziehung des sechsjährigen Max. Um 1880 legte sie das Lehrerinnenexamen ab, damals eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, einen "höheren" Beruf zu ergreifen, verbunden allerdings mit dem "Lehrerinnenzölibat", Ehe und Lehrerin, zu dem Zeitpunkt undenkbar.

Für ein Jahr unterrichtete sie in Königsberg in Preußen, dann in London, bevor sie aus gesundheitlichen Gründen nach Würzburg ins väterliche Haus zurückkehrte. Dort, mittlerweile in der Kaiserstraße 9, der neuen Prachtstraße Würzburgs zum neuen Bahnhof, hatte der Vater gebaut. Der Beruf des Photographen war nicht nur angesehen, sondern auch sehr einträglich. Es ist zu vermuten, dass Elisabeth im Atelier mithalf, den Haushalt mit Angestellten führte und sich weiterhin um die Erziehung von Max kümmerte. Die älteren Schwestern hatten bereits geheiratet und lebten nicht mehr in Würzburg.

Provokativer Erstling: "Die Geschlechter"

Es gibt nur wenige Quellen zu Elisabeth Dauthendeys Leben, eine davon ist Max Dauthendeys kurze Beschreibung seiner Schwester: "Die jüngste, die sehr viel las und die Gelehrte unter den vier Schwestern war, hatte immer ein Buch in der Hand, und sie las noch bei Mondschein am Fensterbrett." Sie sprach Englisch, Russisch, Französisch und Deutsch, las Philosophen wie Nietzsche, Kant und Schopenhauer. Eine andere Chance sich zu bilden hatte sie nicht.

Wohl auch deshalb begann sie nun, selbst die Feder in die Hand zu nehmen, um die Ungerechtigkeiten der Geschlechterverteilung anzuprangern. Ihr erstes Essay hieß so auch: "Die Geschlechter." Erschienen 1894 in der avantgardistischen Zeitschrift "Die Gesellschaft", begründet von dem damals in der Literaturszene maßgeblichen Michael Georg Conrad. Und der erste Satz, ja Absatz, lautete: "Das Weib denkt." Welch eine Provokation! Übrigens: nur wenige Seiten später im gleichen Heft, der Erstling von Thomas Mann, die Novelle "Gefallen". Ob das in Würzburg so wahrgenommen wurde?

Wahrgenommen aber wurde sicherlich der Aufstand von Würzburger Lehrerinnen, die sich zu einem Frauenbildungsverein namens "Frauenheil" zusammenschlossen, um Frauen die Möglichkeit zu erkämpfen, an Universitäten studieren zu dürfen. Elisabeth Dauthendey gehörte zum Gründungsvorstand. Und tatsächlich: Eine erste Vorlesung für Frauen in Würzburg hielt Professor Oswald Külpe im Jahr 1899 – über Kant. Der Kampf ging weiter und 1903 wurden erstmals in Bayern Frauen zu einem Universitätsstudium zugelassen. Der Verein Frauenheil organisierte aber auch Vorlesungszyklen für Frauen ohne schulische Qualifikation und zählt daher als Vorläufer der Volkshochschule.

Zwanzig Bücher in dreißig Jahren

Währenddessen schrieb Elisabeth weiter: Essays und Romane, zum Beispiel "Im Lebensdrange" (1898) oder "Vom neuen Weib und seiner Liebe" (1900) und "Vivos Voco" (1908). Immer geht es um die Emanzipation der Frau. Und sie hatte Erfolg. Das "neue Weib" allein erlebte 8 Auflagen! Bald konnte sie als freie Schriftstellerin von ihrer Arbeit leben, das Erbe des 1896 verstorbenen Vaters war aufgebraucht. Seit 1901 lebte sie in der Semmelstraße 87, 1933 umbenannt in Neutorstraße 11.

Einband und Titelblatt des Buches 'Vom neuen Weibe und seiner Liebe' von Elisabeth Dauthendey, hier in der dritten Auflage von 1903.
Foto: Torsten Schleicher | Einband und Titelblatt des Buches "Vom neuen Weibe und seiner Liebe" von Elisabeth Dauthendey, hier in der dritten Auflage von 1903.

Sie schrieb aber auch Novellen und Märchen, feine hochpsychologische Prosa und famose Märchen, auch für Kinder. Alle veröffentlicht in namhaften Verlagen wie Reclam, Schuster & Loeffler oder Velhagen & Klasing, mit denen sie deutlich höhere Auflagen erzielte, als ihr Bruder Max es zu Lebzeiten schaffte. Auch in Zeitungen und Zeitschriften erschienen ihre kürzeren Texte regelmäßig, sie war eine öffentliche literarische Figur in ganz Deutschland.

Bis die Nazis kamen

1928 hatte sie eine Mozarthymne geschrieben, ein Gedicht mit 5 Strophen. Hermann Zilcher, der Erfinder des Mozartfests, komponierte ein großes Werk für die Nachtmusik des Festes und der Schlußchor sang Elisabeth Dauthendeys Hymne. 1928, 1929, 1933 auch noch. Als 1936 die Nachtmusik auch bei der Hochzeit des Gauleiters Hellmuth aufgeführt werden sollte, stellte man fest, dass die Mutter von Elisabeth Dauthendey einer jüdischen Familie entstammte. Das war ihr literarisches Aus. Zilcher ersetzte den Text in seinem großen Werk, so konnte es weiter aufgeführt werden. Elisabeth Dauthendey, von den Nazis als "Halbjüdin" bezeichnet, zog sich zurück. Schrieb weiter, aber publizierte nicht mehr. Sie hatte berechtigte Angst. Am 18. April 1943 starb sie an einem Herzschlag und nur wenig verbliebene Freundinnen gaben ihr das letzte Geleit zum Grab ihres Vaters.

Ein Nachruf in dieser Zeitung erschien erst 1954 zu ihrem 100. Geburtstag – von Gertraud Rostosky. Und erst 33 Jahre nach ihrem Tod erschien ein neuer Märchenband mit geretteten Texten, ihr gesamter Nachlass war am 17. März 1945 ein Raub der Flammen geworden. Mit "Würzburg liest ein Buch 2023" gilt es nun, eine große Würzburger Autorin wiederzuentdecken.

Textautor: Daniel Osthoff

Daniel Osthoff ist Antiquar in Würzburg und Mitorganisator der Veranstaltungsreihe "Würzburg liest ein Buch".

Die zentrale Veranstaltungswoche von "Würzburg liest ein Buch" ist für die Zeit vom 16. bis 25. Juni 2023 geplant. Dazu bereits erschienen ist das Buch "Elisabeth Dauthendey: Das Weib denkt. Essays, Novellen, Gedichte und Märchen einer frühen Frauenrechtlerin" (312 Seiten, Verlag Königshausen & Neumann, 16 Euro).

 
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Kommentare
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  • robter20141601
    Zilcher hat in seinem ganzen Leben keinen einzigen Liedtext geschrieben
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