Wenn es um Bilder geht, kann die Menschheit auf eine rapide Entwicklung zurückblicken. Noch vor 200 Jahren waren Gemälde und Grafiken die einzigen Möglichkeiten, die Welt abzubilden. Heute werden wir von Bildern regelrecht überflutet. Carl Albert Dauthendey (1819-1896), einer der ersten deutschen Fotoprofis und Vater des Würzburger Schriftstellers Max Dauthendey, hätte sich das wohl nie träumen lassen. Von dem Fotopionier erzählt jetzt ein opulentes Buch von Professor Eckhard Leuschner, Leiter des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Darüber informiert die Universität in einer Pressemiteilung.
Der Band enthält die Quintessenz einer internationalen Tagung, die zum 200. Geburtstag Carl Albert Dauthendeys im November 2019 in Würzburg stattfand. Er wirft auf mehr als 400 Seiten, gespickt mit zahlreichen historischen Fotografien, Schlaglichter auf die Frühzeit der Fotografie, und zwar in Deutschland und in Russland.
Fotoporträts der russischen Eliten
Russland spielt in dem Buch eine wichtige Rolle, weil Carl Albert Dauthendey 20 Jahre lang künstlerische Fotoporträts der russischen Eliten in St. Petersburg anfertigte. Erst ab 1864 lebte er in Würzburg. Hier kam drei Jahre später sein Sohn Max zur Welt. Der schrieb in seinem Roman "Der Geist meines Vaters" über sein Verhältnis zu dem Mann, dem er sein Leben verdankte. Ob er nun große Sympathie hege für Carl Albert Dauthendey, nachdem er sich zwei Jahre intensiv mit dessen Leben und Wirken befasst hat? Eckhard Leuschner wiegt den Kopf. Sympathie ist für den Professor ein etwas zu starkes Wort. Allerdings: "Carl Albert Dauthendey hatte seine Qualitäten", betont er.
Ein gutes Händchen fürs Marketing
Diese Qualitäten waren auch der Grund, warum sich der JMU-Kunsthistoriker so lange und so ausführlich mit Dauthendey befasst hat, der doch eigentlich "nur" ein Porträtfotograf war, heißt es in der Mitteilung. Vor 50 Jahren, sagt Leuschner, hätte sich dies wohl noch kein Professor der Kunstgeschichte getraut: "Doch unser Fach greift zunehmend auch kulturhistorische Fragestellungen auf." Allein wie Dauthendey seinen Platz im Beruf behaupten konnte, sei faszinierend. "Er hatte eine Menge Talent zum Networking", sagt Leuschner. Und er war sehr gut darin, sich als Atelierfotograf zu vermarkten. "Carl Albert Dauthendey war einer der ersten, der in St. Petersburg Schaukästen aufgestellt hat“, berichtet Leuschner. Welche Euphorie Dauthendeys Porträtfotos seinerzeit auslösten, das belegt ein Artikel in der Zeitung Sankt-Petersburgskie Védomosti vom 6. Juni 1848. "Laufen Sie zur Bolschája Konjúschenaja-Strasse und verlangen Sie von Herrn Dauthendey, dass er die Sonne anfleht, ein Porträt von Ihnen zu malen", werden die Leser animiert.
Innerhalb der Porträtfotografie gab es verschiedene Themen und Spezialgebiete, mit denen sich Carl Albert Dauthendey näher befasste. "Dazu gehört die Trachtenfotografie", so Leuschner. Darauf geht in dem neuen Buch die Autorin Annemarie Heuler in einem eigenen Kapitel ein. Sie analysiert ein von Dauthendey angefertigtes Bild einer Frau in einer Schweinfurter Brauttracht. Unter der Überschrift "Rührende Geschmacklosigkeiten?" berichtet Cornelius Lange von Dauthendeys Studentenporträts. Wie er herausfand, ließen sich sowohl Studenten von schlagenden als auch von nichtschlagenden Verbindungen von Dauthendey ablichten.
Russische Kundschaft in Würzburg
Der Band erzählt auch, warum Dauthendey, als er einen Ortswechsel für nötig hielt, ausgerechnet Würzburg zur neuen Heimat wählte. "Hier war russische Kundschaft", verrät Leuschner. Was auch daran lag, dass damals in Würzburg medizinische Kapazitäten wie der Gynäkologe Friedrich Wilhelm Scanzoni wirkten. In seinem Nachwort zitiert Leuschner außerdem eine bei Max überlieferte Anekdote, die womöglich den Hauptausschlag für den Umzug nach Würzburg gab: Bei einem Würzburg-Besuch ging Dauthendey ins Theater. Dort entdeckte er, dass es sich bei dem Dirigenten, der die Oper einstudierte, um Andreas Hussla handelte, den er als Kapellmeister des Zaren aus St. Petersburg kannte. Leuschner zufolge versicherte der Dirigent, dass es sich in Würzburg gut leben ließe. Dauthendey schien davon schnell überzeugt gewesen zu sein. Er zog um. Womit er aufs richtige Pferd gesetzt hatte. Denn die Fotografen, die damals in Würzburg wirkten, hatten nicht seine Qualitäten: Dauthendey, gelernter Feinoptiker, hatte schon 1842, in den Anfängen der Fotografie, erfolgreiche Versuche als Daguerreotypist auf der Leipziger Ostermesse ausgestellt.
Wesensarten feinfühlig herausgekitzelt
In seinen Porträts konnte Dauthendey das Naturell einer Person, die sich von ihm ablichten lassen wollte, feinfühlig herauskitzeln, sagt Leuschner: "Aus diesem Grund war er auch weit mehr als ein Durchschnittsfotograf." Eindrucksvoll zeigt das ein Bild, auf dem Dauthendeys vier Töchter mit ihren ureigenen Persönlichkeiten zu sehen sind. Sohn Max hat diese Aufnahme in seinem 1912 entstandenen Buch "Der Geist meines Vaters" beschrieben. "Carl Albert Dauthendey konnte Individuen so treffend fotografisch herausarbeiten, dass er damit schon an der Allegorie kratzte", wie Leuschner sagt.
"Saugend an eine unheilvolle Ferne geheftet"
Für jeden, der sein Wissen über die Anfänge der Fotografie vertiefen möchte, empfiehlt es sich, Eckhard Leuschners neues Buch zu lesen, heißt es in der Mitteilung. Zu den vielen Highlights des Bands zähle Peter Johann Mainkas Transkription des Manuskripts "Mein Lebenslauf" von Carl Albert Dauthendey, das sich im Würzburger Stadtarchiv fand. Aufschlussreich ist nicht zuletzt Michael Zimmermanns Beitrag über Walter Benjamins Auseinandersetzung mit dem Brautfoto Carl Albert Dauthendeys. Benjamin schrieb über den Blick der abgebildeten Frau, dass er "saugend an eine unheilvolle Ferne geheftet" sei. Doch da hatte er, so viel sei verraten, etwas gründlich verwechselt.
"Der Photopionier Carl Albert Dauthendey. Zur Frühzeit der Photographie in Deutschland und Russland." Hg. von Eckhard Leuschner, Michael Imhof Verlag Petersberg 2021, 416 Seiten, 155 Farb- und 138 SW-Abbildungen. 49,95 Euro, ISBN 978-3-7319-1095-4