
Mit Schwung befördert Maike Nohles Heu in das Futternetz. Eine alltägliche Aufgabe für sie. "Ich mache das gerne", sagt Nohles. Ihre Bewegungen sind routiniert, nach kurzer Zeit ist sie fertig. So weit, so unspektakulär. Doch Nohles ist keine Angestellte auf dem Ochsenfurter Pferdehof. Sie ist Teil eines außergewöhnlichen Projekts, das der Mainwiesenhof und das Johanna-Kirchner-Haus (JKH) gemeinsam auf die Beine gestellt haben.
Das JKH ist eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) für psychisch beeinträchtigte Menschen in Marktbreit. Mehrmals pro Woche kommen Bewohnerinnen und Bewohnern nach Ochsenfurt, um auf dem Hof mitzuhelfen. Pferde füttern, den Stall ausmisten oder die Hasen und Meerschweinchen versorgen – all das gehört zu ihren Aufgaben. Die Arbeit auf dem Hof biete den Teilnehmenden eine sinnvolle Beschäftigung, die Struktur in ihren Tagesablauf bringen und ihnen neue positive Erfahrungen bescheren soll, erklärt Ulrike Schürger, Einrichtungsleiterin des JKH.
Immer mehr junge Menschen landen im Johanna-Kirchner-Haus
"Es ist für viele ein wichtiger Schritt, wieder Vertrauen zu finden. Und das funktioniert manchmal über Tiere besser als über Menschen", sagt Schürger. Das Projekt gehöre zu den sogenannten "tagesstrukturierenden Maßnahmen" und solle unter anderem die Motivation, die Zuverlässigkeit und das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden steigern.
Die Diagnosen der Bewohnerinnen und Bewohner des Johanna-Kirchner-Hauses sind vielfältig. Sie reichen von Schizophrenie und Persönlichkeitsstörungen über Depressionen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen. "Wir haben immer mehr junge Menschen, die zu uns kommen", sagt Schürger. Viele kämen direkt von der Jugendhilfe. Der Altersdurchschnitt liege derzeit etwa bei 30 Jahren. "Für viele ist es schon eine riesige Leistung, mit dem Zug selbst hierherzukommen", sagt sie. Auf dem Hof mitzuhelfen, sei für sie ein Schritt aus der Komfortzone. Mit positivem Effekt.

"Helfen hilft", fügt Projektkoordinatorin Anastasia Tschernjawsky hinzu. "Es ist für die Leute, die sonst immer selbst Hilfe bekommen, eine sehr heilsame Erfahrung, einmal die Rollen zu tauschen und sich um ein Tier zu kümmern." Aktuell nehmen vier Bewohnerinnen und Bewohner des JKH an den tagesstrukturierenden Maßnahmen auf dem Mainwiesenhof teil. "Das soll aber noch ausgebaut werden", sagt Geschäftsführerin Anette Yüksel. Sie freue sich über die Unterstützung bei den anfallenden Arbeiten, sagt sie. Gleichzeitig spiele die Arbeitsleistung auf dem Hof eine untergeordnete Rolle.
Mainwiesenhof soll Ort der Begegnung sein
"Es kann natürlich jederzeit sein, dass jemand mal in die Klinik muss oder einen schlechten Tag hat und nicht kommen kann", sagt Ulkrike Schürger. Ein Risiko, mit dem das Team des Mainwiesenhofs umgehen müsse. "Das ist es mir wert", sagt Anette Yüksel. Sie habe den Hof schon immer als einen Ort der Begegnung gesehen. "Jeder soll hierherkommen dürfen, unabhängig vom Alter, der sozialen Schicht oder der Gesundheit." Umso mehr freue sie sich darüber, Menschen mit psychischen Erkrankungen auf dem Hof miteinbinden zu können, betont Yüksel, die aktuell die Ausbildung zur Reittherapeutin durchläuft. "Das passt wie die Faust aufs Auge."
Die tagesstrukturierenden Maßnahmen sind nicht die erste Kooperation zwischen Mainwiesenhof und JKH. Schon in den vergangenen Jahren haben Bewohner unter anderem Praktika auf dem Hof absolviert. "Schon da hat sich gezeigt, dass der Umgang mit den Pferden einen total hohen Wert hat für die Menschen, die wir betreuen", sagt JKH-Mitarbeiterin Katharina Franz.
Trotzdem: Eine Selbstverständlichkeit sei das Angebot für die Bewohnerinnen und Bewohner des JKH nicht, betont Leiterin Ulrike Schürger. Im Gegenteil: "Das ist quasi ein Alleinstellungsmerkmal." Denn das Projekt sei auch mit extra Belastungen für das Personal der Einrichtung verbunden. "Trotzdem ist es mir wichtig, dass wir über den Tellerrand hinausschauen und überlegen, wie man Menschen mit psychischer Erkrankung in die Gesellschaft integrieren kann."