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Röttbach
Heilpädagogisches Reiten in Röttbach: "Ein Pferd nimmt den Menschen völlig wertfrei an"
Bei der Arbeit mit Reittherapeutin Sabine Väthjunker und ihren Pferden werden alle Bereiche der menschlichen Wahrnehmung angesprochen. Warum auch die Tiere mal eine Pause brauchen.
Ausgebildete Therapiepferde unterstützen auf dem Therapiehof von Sabine Väthjunker in Röttbach bei der heilpädagogischen Begleitung von Menschen mit verschiedenen Defiziten, zum Beispiel einer körperlichen oder geistigen Behinderung.
Foto: Sabine Väthjunker | Ausgebildete Therapiepferde unterstützen auf dem Therapiehof von Sabine Väthjunker in Röttbach bei der heilpädagogischen Begleitung von Menschen mit verschiedenen Defiziten, zum Beispiel einer körperlichen oder ...
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 31.08.2023 05:39 Uhr

Als Lisa (Name von der Redaktion geändert) vor einigen Jahren zum ersten Mal auf den Pferdehof von Sabine Väthjunker in Röttbach kam, setzte sich das Mädchen so weit wie möglich von den Tieren weg. Es hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Das heißt, Lisa tut sich schwer, mit anderen Menschen sozial zu interagieren und zu kommunizieren. Und sie neigt zu stereotypen Verhaltensweisen und Interessen.

Mit für sie ungewohnten Situationen, wie Lisa sie auf dem Pferdehof erlebte, tut sie sich schwer. Anfangs habe sie nur geschaut, was die Tiere machen, erinnert sich Sabine Väthjunker. Als Reittherapeutin bietet die 49-Jährige auf ihrem Hof heilpädagogisches Begleiten mit Pferden an. Das bedeutet, Klient und Pferd begegnen und interagieren unter ihrer Führung miteinander. Neben der Therapie bietet Väthjunker Ersterfahrungen mit, am und auf dem Pferd für jede Altersgruppe an.

Pferde spiegeln die Haltung eines Menschen wider

Lisa kam fortan einmal pro Woche. Mit jeder Therapiestunde habe sie sich den Tieren mehr genähert, sie gestreichelt, geputzt, ist mit ihnen spazieren gegangen und hat sie geritten. "Die vertrauensvolle Beziehung zwischen Lisa, dem Pferd und mir hat ihr Selbstsicherheit gegeben", so Väthjunker. Sie erklärt, warum Pferde die idealen Therapiebegleiter sind: "Sie legen keinen Wert auf Äußerlichkeiten, sondern spiegeln sehr gut die Haltung eines Menschen wider." Selbst wenn jemand im Gespräch der Therapeutin etwas verschweigt oder lügt: In der Interaktion mit dem Tier könne man sich nicht verstellen.

Sabine Väthjunker ist ausgebildete Reittherapeutin und bietet auf ihrem Hof in Röttbach heilpädagogisches Begleiten mit Pferden an.
Foto: Sabine Väthjunker | Sabine Väthjunker ist ausgebildete Reittherapeutin und bietet auf ihrem Hof in Röttbach heilpädagogisches Begleiten mit Pferden an.

"Ein Pferd nimmt den Menschen völlig wertfrei an", erklärt sie. Das Tier würde wie ein Spiegel auf das Verhalten des Klienten reagieren. "Ist jemand sehr unruhig, trippelt auch das Pferd von einem auf das andere Bein", so die dreifache Mutter. Verhält sich das Pferd auffällig, fragt die Therapeutin gezielt beim Klienten nach Auffälligkeiten.

Ausgewogene Beziehung zwischen Klient, Therapeutin und Pferd

Wenn sie Fotos ihrer Pferde mit Klientinnen und Klienten zeigt, sieht man, dass die Tiere Vertrauen zu den Menschen haben. "Pferde sind Fluchttiere, die sofort zeigen, wenn ihnen etwas nicht passt." Sie vergleicht die Therapiearbeit mit einem gleichseitigen Dreieck: Es ist essentiell, dass die Beziehung zwischen Klienten, Therapeutin und Tier ausgewogen ist. Neben ihrer Ausbildung zur Reittherapeutin hat sie sich deshalb zur geprüften Trainerin im Sinne des Pferdes weitergebildet.

"Pferde legen keinen Wert auf Äußerlichkeiten, sondern spiegeln sehr gut die Haltung eines Menschen wider."
Sabine Väthjunker, Reittherapeutin

Und auch ihre Vierbeiner sind ausgebildete Therapiepferde. "Sie sind besonders geduldig, gutmütig und feinfühlig", so Väthjunker. Mit welchem Pferd ein Klient zusammenarbeitet, würden Mensch und Tier gleichermaßen bestimmen. "Ich binde meine Pferde nicht an, um mit ihnen zu arbeiten oder sie zu putzen. Sie dürfen sich frei bewegen", sagt die Therapeutin. Es zeige sich dann schnell, wer sich sympathisch ist. 

Kontakt zum Pferd durch Sehen und Fühlen

Der Kontakt zu den Tieren des Hofs, neben den Pferden unter anderem auch Kaninchen, ein Hund und eine Wachtelfamilie, erfolgt auf unterschiedliche Weise. Manche Klienten beobachten die Tiere nur, andere streicheln das Fell oder liegen auf dem Rücken des Pferdes.

Kleinkinder, die zu Väthjunker kommen, sind meistens Frühchen, die sich schwertun bei der Entwicklung. Sie erklärt: "Ihnen fehlt für den Start ins Leben das gewohnte Schaukelgefühl, wenn sich der Mutterleib während der Schwangerschaft in alle Richtungen bewegt". Das sogenannte Nachnähren könne man zum Beispiel beim Schwimmen mit einem Delfin oder auf dem Rücken eines Pferdes erleben.

Eigentlich sind Pferde Fluchttiere. Dass sich das Thüringer Pony des Therapiehofs Väthjunker in Röttbach hinlegt und von einem Kind liebkosen lässt, zeigt, dass es Zutrauen hat.
Foto: Sabine Väthjunker | Eigentlich sind Pferde Fluchttiere. Dass sich das Thüringer Pony des Therapiehofs Väthjunker in Röttbach hinlegt und von einem Kind liebkosen lässt, zeigt, dass es Zutrauen hat.

Pferde brauchen auch mal Verschnaufpausen vom Therapieren

Alle zwei Wochen kommt eine Gruppe Erwachsener mit Beeinträchtigungen, die teilweise im Rollstuhl sitzen. Sie dürfen die Wärme der Tiere spüren, vielleicht bei der Pflege helfen. "Jeder macht das, wobei er sich wohlfühlt", sagt Väthjunker. Sie sagt, sie habe so viele Anfragen, dass sie rund um die Uhr Therapiestunden anbieten könnte. "Doch auch die Pferde brauchen mal Verschnaufpausen", in denen sie geritten würden oder mit Menschen zusammen seien, die keine Belastungen mit sich herumtragen.

Väthjunker sagt, dass die Therapie keine Wunder bewirken könne. Die Defizite der Menschen würden nicht einfach verschwinden. Denn: "Wir Menschen sind keine Maschinen. Es gibt keinen Aus-Knopf, den man drücken könnte". Doch Lisa beispielsweise habe gelernt, mit den Beeinträchtigungen des Autismus' umzugehen und am Sozialleben teilzunehmen. Die Therapeutin ist stolz, dass Lisa jetzt etwas geschafft hat, was ihre Ärzte niemals für möglich gehalten hätten: erfolgreich ihren Schulabschluss zu absolvieren.

Was ist heilpädagogisches Begleiten?

Beim heilpädagogischen Begleiten werden alle menschlichen Wahrnehmungen angesprochen. Heilung ist auf emotionaler, aber auch geistiger, seelischer und körperlicher Ebene möglich. Im Vordergrund steht die Begegnung des Klienten mit sich selbst und mit dem Pferd. Zu Reittherapeutin Sabine Väthjunker kommen Menschen jeden Alters. Sie haben ganz unterschiedliche Defizite und Problemstellungen, zum Beispiel geistige und körperliche Behinderungen.
Quelle: Sabine Väthjunker
 
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