zurück
Würzburg
Ein Missbrauchstäter, vergleichbare Fälle: Warum Würzburger Betroffene unterschiedliche Entschädigungen erhalten
Der Betroffenenbeirat Würzburg kann das Verfahren der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen nicht nachvollziehen. Was er kritisiert.
Warum erhalten Betroffene bei ähnlichen Missbrauchsfällen unterschiedlich hohe Entschädigungssummen? Der Würzburger Betroffenenbeirat kritisiert Entscheidungen der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (Symbolbild).
Foto: Getty Images | Warum erhalten Betroffene bei ähnlichen Missbrauchsfällen unterschiedlich hohe Entschädigungssummen? Der Würzburger Betroffenenbeirat kritisiert Entscheidungen der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen ...
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:55 Uhr

Willkürlich sei das, unverständlich, nicht angemessen. Der Missbrauchsbetroffene ist enttäuscht über die Entschädigung, die ihm vor kurzem zugesprochen wurde. Seit Januar 2021 entscheidet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) in Bonn darüber, wie viel Geld Betroffene erhalten. Bei Härtefällen sind bis zu 50.000 Euro vorgesehen, in besonderen schweren Fällen auch mehr. Meist ist die Summe wesentlich weniger. Seit einigen Monaten gibt es nun erste Auszahlungen – und Beschwerden.

Zwei Würzburger Betroffene äußerten gegenüber dieser Redaktion bereits ihre Verärgerung und ihre Bedenken, was die Entschädigungszahlungen betrifft. Jetzt haben sich zwei weitere Männer gemeldet.

Der eine hatte von der UKA eine Anerkennungsleistung in Höhe von 3500 Euro zugesprochen bekommen: "Zuerst dachte ich, na gut, aber zufrieden war ich nicht", sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. "Jetzt bereue ich bitter, dass ich einen Antrag gestellt habe und überlege, ob ich das Geld nicht zurückschicke."

Der Grund: Dem anderen Betroffenen, den er gut kenne, seien insgesamt 17.000 Euro zuerkannt worden. "Dabei sind unsere Fälle fast identisch und somit vergleichbar." Der Täter sei derselbe: ein ehemaliger Priester der Diözese Würzburg, der – mehrfach versetzt – ab Mitte der 1980er Jahre in drei deutschen Bistümern des Missbrauchs beschuldigt und 2015 aus dem Klerikerstand entlassen worden war. Beide Betroffene sagen, sie seien als Minderjährige von ihm distanzlos behandelt und an intimen und anderen Körperstellen angefasst worden, mehrfach über einen längeren Zeitraum. Sie fragen sich deshalb, warum die Bonner Kommission ihr Leid so unterschiedlich bewertet.

"Der Verfahrensweg der UKA ist nicht nachvollziehbar", sagt Matthias Wimmer, Sprecher des Betroffenenbeirats Würzburg, und bezieht sich dabei nicht nur auf die beiden aktuellen Fälle.

Matthias Wimmer, Sprecher des Betroffenenbeirats im Bistum Würzburg, kritisiert das Verfahren zur Auszahlung von Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene.
Foto: Christine Jeske | Matthias Wimmer, Sprecher des Betroffenenbeirats im Bistum Würzburg, kritisiert das Verfahren zur Auszahlung von Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene.

Das Vorgehen ist laut UKA von den Bischöfen geregelt: Die unabhängigen Ansprechpartner in den Bistümern unterstützen Betroffene beim Ausfüllen des UKA-Antrags und geben eine Einschätzung des Falls. Die Bistümer schicken den Antrag nach Bonn. Die Kommission legt eine individuelle Leistungshöhe fest und überweist die Summe direkt an die Betroffenen.

Kriterien für die Leistungsbemessung sind zum Beispiel Häufigkeit des Missbrauchs, Alter des Betroffenen zum damaligen Zeitpunkt, Anzahl der Täter, Art der körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen oder Verhalten des Beschuldigten nach der Tat.

"Betroffene werden zu Nummern in einem anonymisierten Verfahren."
Matthias Wimmer, Sprecher des Würzburger Beirats

Laut dem Würzburger Beiratssprecher Wimmer sollte jeder Missbrauchsfall "im direkten Gespräch mit den Betroffenen vor Ort" geprüft werden. Momentan, so seine Kritik, würden Betroffene zu "Nummern in einem anonymisierten Verfahren, das klinisch rein und sachlich nüchtern Menschen mit einer finanziellen Summe abspeist". Wimmer fordert eine "dezentralisierte UKA", also eine unabhängige Kommission in jedem Bistum. "Dort sind die Akten, kennt man die Täter und kann viel besser finanzielle Abstufungen treffen."

Die Vermutung der beiden ähnlich Betroffenen, die jetzt unterschiedliche Anerkennungen erhielten: "Die Kommissionsmitglieder haben überhaupt nicht erkannt, dass es sich um einen Täter handelt, der immer gleich vorging." Dabei stehe in ihrem UKA-Bescheid jeweils, dass die "materielle Leistung in der festgesetzten Höhe, auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Taten" für angemessen gehalten werden. "Da wurde nichts verglichen", sind sich beide Betroffenen sicher.

Betroffener verteidigt seinen Täter und beginnt erst Jahre nach dem Missbrauch eine Therapie

Sie vermuten außerdem, dass für die UKA auch die Form der Anträge entscheidend war. Der Betroffene, der eine mehr als vier Mal so hohe Summe erhielt, hatte einen mehrseitigen Brief beigefügt. Darin schildert er ein schwieriges Verhältnis zu seinen Eltern, den er sich nicht habe  anvertrauen können. Der Täter sei durch seine "Freundlichkeit" eine Art Ersatzvater geworden, den er selbst dann noch verteidigt habe, als Anschuldigungen von anderen Kindern und deren Eltern laut geworden waren.

Jahre später erst habe er den Priester wiedergetroffen und sei von ihm mit der Forderung, ihn bei anderen "freizusprechen", heftig angegangen worden. Erst danach habe er eine Therapie begonnen und sich dem Missbrauch und dem Verdrängen gestellt.

"Hinterher hatte ich lange Zeit große Angst und Schlafstörungen."
Missbrauchsbetroffener nach seiner Aussage vor Gericht

Der andere Betroffene füllte den UKA-Antrag "eher protokollartig" aus. Er habe sich damals seinen Eltern anvertraut, sei von der Polizei vernommen worden, habe vor Gericht ausgesagt. "Hinterher hatte ich lange Zeit große Angst und Schlafstörungen." Noch heute ertrage er durch den Missbrauch an manchen Körperstellen keine Berührung. Jetzt fühlten sich die von der UKA ausgezahlten 3500 Euro wie eine "Untergrenze" an - als sei damals "nichts Schlimmes" passiert.

Antwort der UKA: "Es kommt alles auf den Antrag an"

Die UKA teilt auf Nachfrage mit: "Es kommt alles auf den Antrag an." Stefan Vesper von der UKA-Geschäftsstelle verweist auf die Verfahrensordnung für die Anerkennung des Leids, die vom Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz beschlossen und zuletzt im April 2021 geändert wurde. Dort ist laut Vesper ausgeführt, "wie detailtief die Geschehnisse beschrieben werden müssen, damit eine angemessene Entscheidung gefällt werden kann".

So könne es durchaus sein, dass zwei Menschen ihre Fälle für vergleichbar halten, ihnen aber "im Einzelnen deutlich anderes widerfahren" sei. Oder die Betroffenen hätten "deutlich anderes in ihren Anträgen beschrieben", sagt Vesper. "Folglich fällt eine andere Entscheidung."

Demnächst soll es zum Vorgehen der Kommission ein Gespräch mit dem Würzburger Bischof Franz Jung geben, sagt Betroffenenbeiratssprecher Wimmer. "Die Bischöfe habe sich das Verfahren ausgedacht, sie können es auch wieder ändern."

Betroffenenbeirat Würzburg und unabhängige Ansprechpartner

Der Betroffenenbeirat besteht aktuell aus drei Mitgliedern und lädt weitere Betroffene zur Mitarbeit ein. Infos: www.bistum-wuerzburg.de/seelsorge-hilfe-beratung/betroffenenbeirat/
Die unabhängigen Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs im Bistum Würzburg sind die Juristen Prof. Alexander Schraml und Sandrina Altenhöner. Info: www.bistum-wuerzburg.de/seelsorge-hilfe-beratung/missbrauch/
Bei der UKA, der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen, sind bislang 1779 Anträge eingegangen, über 1058 wurde entschieden. Infos: www.anerkennung-kirche.de
Quelle: cj
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Christine Jeske
Anträge
Bischöfe
Bistum Würzburg
Franz Jung
Kommissionen
Minderjährigkeit
Polizei
Verbrecher und Kriminelle
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • G. M.
    Mehr als erklärungsbedürftig, Kommissionsmitglieder, Betroffenenbeirat, unabhängige Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs! Ungeachtet von Bischöfen, die eher auf Intransparenz setzen und bei denen sogar Spielschulden höher honoriert werden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. F.
    ich finde es schlichtweg ne schweinerei wie mit den mißbrauchsopfern umgesprungen wird. gleiches leid, gleiche straftat, gleiches geld für alle! aber es wird sich eines tages auszahlen wie mit den mißbrauchsopfern umgegangen wird und wurde, wohl eher im negativen bereich. ohne viel dabei mitzutun, wirtschaften sich solangsam aber sicher beide großen kirchen ab.
    wieviel katholiken gibt es in 20 jahren noch? 100-200.000 oder weniger?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten