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WÜRZBURG/EICHENBÜHL
"Kirche soll sich hinter Opfer stellen"
Folgen des Missbrauchs Der Pfarrer ist in den Laienstand versetzt. Die Kirche entschuldigte sich offiziell. Doch Betroffene aus Eichenbühl wünschen sich mehr. Die Bistumsleitung soll im Ort eine Stellungnahme abgeben: im Gottesdienst.
Kruzifix im Mittelgang des Langhauses in der katholischen Pfarrkirche St. Cäcilia von Eichenbühl im Landkreis Miltenberg.
Foto: Christine Jeske | Kruzifix im Mittelgang des Langhauses in der katholischen Pfarrkirche St. Cäcilia von Eichenbühl im Landkreis Miltenberg.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 23.04.2016 03:36 Uhr

Plötzlich ist alles wieder da. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel tauchen die Bilder in ihrem Kopf aus dem Jahr 1977 auf. Sie ist wieder das Mädchen von sieben Jahren. Sie sitzt wieder auf dem Schoß des Pfarrers. Sie hört sein Lachen, riecht ihn, spürt seine Finger, die sich in ihre Unterhose, zwischen ihre Beine schieben.

Sie sieht ihren Vater auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Er unterhält sich mit dem Pfarrer. Auch er lacht. Er bemerkt nichts. Das kleine Mädchen wehrt sich nicht. Es lässt alles geschehen, fühlt sich hilflos. Es weiß aber, dass das, was der Pfarrer tut, keinesfalls richtig ist.

Verdrängte Erinnerungen kamen zurück

Heute ist sie 46 Jahre alt. Ihre Erinnerungen kamen vor zehn Jahren zurück. Bis dahin hatte die Frau alles fast vollständig verdrängt. Auch den anderen, den noch viel schlimmeren sexuellen Missbrauch, als sie acht Jahre alt war. Als der Pfarrer nicht mehr allein seine Finger benutzte, sondern brutal und schamlos die Situation ausnutzte, dass das kleine Mädchen und er alleine im Zimmer waren. Ihre Schilderungen liegen der Diözese Würzburg vor. Vor zwei Jahren hat sie Bischof Friedhelm Hofmann alles erzählt. Bis dahin war nicht bekannt, dass auch in ihrem Heimatort Opfer des Pfarrers leben.

Die Frau stammt aus Eichenbühl im Landkreis Miltenberg. Dort wohnt sie nicht mehr. Sie hat es in dem Ort nicht mehr ausgehalten, als ihre dicke Mauer, die sie um sich gezogen hatte, immer weiter ins sich zusammenbrach.

Nachhallpsychose tauchte plötzlich auf

Auslöser war ein Gespräch im Jahr 2006 mit einem befreundeten Pfarrer. Ihre Ehe war am Ende. Sie konnte einfach keine Nähe zulassen. Sie und ihr Mann wussten nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Sie suchten Rat. Als der Freund sie direkt fragte, ob sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, sagt sie: „So ein Quatsch.“ Und dann kamen die Flashbacks. So werden in der Psychologie die blitzartig zurückkehrenden Bilder der Erinnerung genannt. Das Wiedererleben schrecklicher, als lebensbedrohlich empfundener Situationen im Leben. Nachhallpsychose ist eine andere Bezeichnung dafür.

Die Frau versuchte nach dem Gespräch mit dem Pfarrer mit ihrem Mann das Missbrauchserlebnis ihrer Kindheit zu verarbeiten. Es misslang. Sie merkte, dass sie professionelle Hilfe benötigte. „Ich habe 2012 eine Traumatherapie gemacht. Seither sind die Flashbacks weg“, erzählt die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Ich habe zwar noch Erinnerungen, aber ohne den Schmerz.“

2014 kam dann erneut eine Wende in ihr Leben. Sie ging zu einer Lesung nach Miltenberg. Dort stellte Johannes Heibel das Buch „Der Pfarrer und die Detektive vor“, in dem auch die Missbrauchsfälle durch den Priester beschrieben werden – bis auf die von Eichenbühl. Die waren damals noch nicht öffentlich bekannt.

Entschädigung in Form von Geld

Die Frau wendete sich an den Bischof von Würzburg, Friedhelm Hofmann. Er hörte ihr zu. Der Missbrauchsbeauftragte der Diözese Würzburg, Professor Klaus Laubenthal, untersuchte ihren Missbrauchsvorwurf gemäß der Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz.

Sie erhielt eine Entschädigung in Anerkennung des Leids. Sie ist aber enttäuscht, dass nach der Zahlung keine weiteren Maßnahmen mehr erfolgen. „Meine Forderung, dass der Bischof auch direkt in Eichenbühl eine Stellungnahme dazu abgibt – im Gottesdienst – die wird nicht erfüllt“, erzählt die Frau. Der Würzburger Generalvikar Thomas Keßler habe ihr geantwortet, dass er das nicht für hilfreich halte. Es könnte vielmehr sein, dass sonst wieder Gräben neu aufgerissen werden.

Mit diesem Wunsch ist sie nicht alleine. Ein weiteres Opfer aus Eichenbühl hat ebenfalls an den Bischof geschrieben. Er war zehn Jahre alt, als sich der Pfarrer 1975 bei einer Busfahrt ins Zeltlager sich neben ihn setzte und seine Hand in seine Hose steckte und seinen Po „begrabschte“. Erst als der Junge sich immer tiefer in den Fußraum des Sitzes flüchtete, lässt der Pfarrer von ihm ab. „Mir war die Sache sehr peinlich und unangenehm.“ Seither konnte er keine Zärtlichkeiten mehr zulassen – „egal von wem“. Bis heute ist das ein Problem für ihn – auch wenn der Pfarrer auf Nachfrage von Professor Laubenthal zugegeben hat, dass der Missbrauch den Tatsachen entsprechen dürfte. Der Pfarrer ist mittlerweile in den Laienstand versetzt worden.

„Uns ist klar, dass wir die Harmonie stören, das heile Bild, die heiligen Vorstellungen von Priestern. Viele wollen lieber Gras über die Sache wachsen lassen.“

Zwei Missbrauchsopfer aus Eichenbühl bei Miltenberg


"Offizielle Bloßstellung" als weiterer Missbrauch

Dass die beiden Opfer heute unbedingt möchten, dass die Bistumsleitung nach Eichenbühl kommt und dass es dort eine öffentliche Aussprache gibt, hat Gründe. „In der Gemeinde leben noch weitere Opfer. Sie schweigen“, erzählen beide. Zudem sei der Ort gespalten. „Es gibt dort immer noch Anhänger des ehemaligen Pfarrers, sagt der Mann, der heute Anfang Fünfzig ist. Wohl auch, weil erst spät öffentlich bekannt wurde, dass es in dem Einsatzort des früheren Pfarrers ebenfalls Opfer gibt. Und weil er sehr beliebt gewesen sei, fügt die Frau hinzu.

Als einen weiteren Missbrauch empfindet die Frau, dass der jetzige Seelsorger der Pfarreiengemeinschaft im Gottesdienst sie „offiziell bloßgestellt“ hat. Denn sie hat nach ihrer Traumatherapie ihren Glauben zu Gott wiedergefunden. 2010 war sie nach Bekanntwerden des Ausmaßes des sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen aus der Kirche ausgetreten. 2014 ließ sich von einem freichristlichen Pfarrer erneut taufen. Ein Sakrileg. Sie wurde als Sektiererin beschimpft. Heute besucht sie die Gottesdienste in der evangelischen Kirche.

"Opfer sind keine Nestbeschmutzer"

Sie möchte alle Betroffenen auffordern, ihr Opferdasein hinter sich zu lassen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Beide fordern, dass sich die Kirche klar und deutlich hinter die Opfer stellt und den Missbrauch durch den Priester überhaupt erst einmal öffentlich in den Gemeinden zugibt. Und beide fordern zudem die Bistumsleitungen auf, vor allen Mitgliedern in allen Gemeinden, in denen Missbrauchstaten durch Priester bekannt und auch bestätigt wurden, zu erklären, dass die Opfer keine Nestbeschmutzer sind, dass sie nicht böswillig sind, dass sie nicht durch ihre Vorwürfe unbescholtene Menschen in Misskredit bringen.

„Uns ist klar, dass wir die Harmonie stören, das heile Bild, die heiligen Vorstellungen von Priestern. Viele wollen lieber Gras über die Sache wachsen lassen.“ Wenn die Kirche aber offensiv alle Fälle auf den Tisch legen würde, erst dann könne man einen Schnitt ziehen und nach vorne blicken, sind sich beide sicher.

Hintergrund zum Missbrauchsfall

Johannes Heibel, Autor des Buches „Der Pfarrer und die Detektive“ (Horlemann) hat über Jahre intensiv über den Fall recherchiert. Aber erst 2014 erfährt der Vorsitzende der bundesweit aktiven „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen“, dass auch in Eichenbühl im Landkreis Miltenberg Opfer des Mannes, des einstigen Pfarrers W., leben. Johannes Heibels Zusammenfassung seiner Recherchen: Der Pfarrer steht 1985 in seinem Heimatbistum Würzburg zum ersten Mal unter Verdacht und muss sich vor zwei Gerichten verantworten. Vom Bistum Limburg bekommt er eine neue Chance. Nach kurzer Zeit gerät W. jedoch wieder unter Verdacht. Es folgt die Versetzung nach Frankfurt. Er bewirbt sich im Bistum Bamberg. Trotz vieler Bedenken trauen ihm die Bamberger im September 1992 erneut eine Gemeinde an.

1998, im Weihnachtsgottesdienst im oberfränkischen Sonnefeld bei Coburg, beschuldigt der Vater eines missbrauchten Messdieners W. öffentlich des sexuellen Missbrauchs seines Sohnes. Das Landgericht Coburg verurteilt den Pfarrer im Sommer 2000 wegen sexuellen Missbrauchs von drei Kindern zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und setzt die Strafe zur Bewährung aus. Der Versuch des Bistums Würzburg scheitert, W. wieder ein Amt zu übertragen. Er wird in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. 2009 ein erneuter Rehabilitationsversuch. W. lässt Detektive zu betroffenen Familien schicken. Sie sollen die Opfer dazu bewegen, ihre Aussagen aus dem Coburger Prozess zurücknehmen. Erneut wird er suspendiert. Nach Erscheinen des Buches „Der Pfarrer und die Detektive“, Ende Mai 2014, melden sich weitere Betroffene bei der Initiative. Die Fälle liegen viele Jahre zurück. Das Bistum Limburg zeigt einen Fall in Rom an. Das Bistum Würzburg meldet seinerseits weitere Fälle. Rom entlässt Pfarrer W. aus dem Klerikerstand.

 
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  • A. B.
    gehören abgeschafft. Mit ihren Vermutungen, die sie als möglich oder plausibel umschreiben, sch affen sie in keiner Weise Licht. der klare und direkte Weg ist der zum Staatsanwaslt. Ein Verfahren muss letztlich Licht in die Sache bringen oder eben einen Schuldspruch verweigern. Opfer und der vermeintliche Täter müssen beide das Recht haben alle Möglichkeiten des Juristischen auszuschöpfen; dazu gehört Anzeige wegen Mißbrauch ebenso wie eine eventuelle Anzeige wegen Verleumdung. Recht muss für alle gleich sein, ansonsten ist es eine Pharce. Es muss aufhören, dass jeder Verdacht schon zu einer medialen Verurteilung wird. Das von Vielen betriebene Kirchen-Bashing hat an den vermeintlichen Tätern ihren Aufhängern; den wirklichen Opfern ist damit nicht geholfen.
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  • C. W.
    Das Verhalten der Offiziellen der Kirche hätte ich eher in einem Hasenzüchterverein (ohne diesen beleidigen zu wollen) für möglich gehalten, jedoch nicht in einer moralischen Institution die sie sein will.
    Das Verhalten von Vertretern der Kirche kann ich mir nur so erklären, dass sie wissen, dass das was sie uns im Religionsunterricht gelehrt haben so nicht stimmen kann. d.h. dass es keinen Gott mit jüngstem Gericht gibt, sonst würden sie sich doch an die Regeln halten, die sie uns immer vorhalten.
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  • H. K.
    Warum wird der Vorgänger von Herrn Laubenthal der nach Zeitungsberichten den Missbrauch an Frau Wolf begangen haben soll nicht benannt ? Auch im Internet hat man alle Berichte dazu gelöscht. Lieber lässt der Bischof einen Verstorbenen der sich nicht mehr wehren kann unter Verdacht stellen als seinen Vorgänger namentlich zu benennen wenn dieser angeblich Unschuldig ist !
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    Viele "zahlende" Katholiken im Bistum Würzburg fragen sich ob Bischof Hofmann mit seinem zögerlichen Verhalten bei der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe der Kirche mehr schadet als nutzt. Viele sind von einer Bistumsleitung enttäuscht, die nach wie vor versucht Gras über viele Vorfälle wachsen zu lassen. Das Bistum wird mit einer Austrittswelle rechnen müssen. Bischof Hofmann sollte zurücktreten und einem wirklichen Aufklärer Platz machen.
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  • L. W.
    Diejenigen, die der Kirche skeptisch gegenüberstehen sind schon vor Jahren raus, da gab es schon viele Anlässe. Die materiell Denkenden sind bereits vor Jahrzehnten raus. Wer jetzt noch dabei ist, nimmt neue Fälle, glaube ich, hin wie das Wetter an dem man bekanntlich auch nichts ändern kann.
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