
Die Situation ist momentan relativ stabil: Am Montagmorgen haben wir im Klinikum Würzburg Mitte 18 Covid-19-Patienten, drei davon werden intensivmedizinisch versorgt.
Wenn ich mit den Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Pflege und des ärztlichen Dienstes spreche, dann wird erleichtert aufgenommen, dass wir leicht rückläufige Fallzahlen haben. Allerdings merke ich eine gewisse Anspannung – nicht nur bei denen, die seit zwei Jahren in der Corona-Versorgung eingebunden sind. Im Klinikum rechnen alle damit, dass zu Beginn des neuen Jahres die Zahlen wegen der Omikron-Variante deutlich nach oben gehen.
Was mich zusätzlich beschäftigt, ist die Diskrepanz zwischen dem Bedarf an intensivmedizinischer Versorgung einerseits – nicht nur in der Corona-Pandemie – und den Rahmenbedingungen für die intensivmedizinische Versorgung andererseits. Wir, das heißt die in die Versorgung eingebundenen Berufsgruppen, sollten hier Stellung beziehen.
Die Vorgaben für die Intensivmedizin sind oft überambitioniert
Grundsätzlich werden von außen Strukturen und Rahmenbedingungen festgelegt, unter denen Kliniken Intensivmedizin anbieten und abrechnen dürfen. Der Bedarf an intensivmedizinischer Versorgung steht allerdings in deutlichem Kontrast zu dieser Planung. Die Strukturvorgaben sind vielfach am Bedarf für eine qualitativ hochwertige Intensivmedizin vorbeiformuliert und überambitioniert. Es wird mehr gefordert als im Alltag für eine hohe Qualität benötigt wird. Und da Planung und Strukturvorgaben die begrenzte "Ressource Mensch" unberücksichtigt lassen, sehe ich die intensivmedizinische Versorgung in der Breite für die Zukunft gefährdet.
Wie kommt es zu diesem Auseinanderdriften von Planung und Bedarf? Das liegt unter anderem an der Einschätzung von politischen Verantwortlichen, dass Anbieter im Gesundheitssystem Kosten verursachen und dass die Verteilung begrenzter Ressourcen auf eine geringere Anzahl von Leistungsanbietern eine Problemlösung darstellt.
Die Tendenz in der Planung ist schwerlich nachvollziehbar
Im Austausch auch mit Spitzenzentren in ganz Deutschland wird klar: Die formulierten Strukturen und Rahmenbedingungen stellen übrigens nicht nur Häuser mit Grund- und Regelversorgung vor Probleme. Sie betreffen auch Schwerpunkt- und Maximalversorger. Und vor dem Hintergrund der immer von vielen Seiten beteuerten Wichtigkeit der Intensivmedizin, ist die Tendenz in der Planung schwerlich nachvollziehbar.
Zu den Rahmenbedingungen gehören zum Beispiel die Kernmerkmale, die eine Intensivstation haben sollte: zum Beispiel der Personalschlüssel, die Vorhaltung bestimmter Fachqualifikationen im Bereich des ärztlichen Dienstes, der Pflege, der Technik - und so weiter.
Es ist zugegebenermaßen ein schwieriges Kapitel. Aber es ist aus meiner Sicht wichtig, darauf aufmerksam zu machen – gerade angesichts der aktuellen Debatte, was Intensivmedizin hierzulande leistet. Wenn man gleichzeitig die Rahmenbedingungen verschärfen möchte, ist das keine sehr ehrliche Debatte.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held (51) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Dort ist der Lungenspezialist für die Covid-19-Patienten zuständig. In seinem Tagebuch gibt er regelmäßig Einblicke in den Klinikalltag. Alle Folgen finden Sie unter www.mainpost.de/corona-tagebuch