
Seit drei Jahren tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine, seit zwei Jahren ist Würzburg die Partnerstadt von Lwiw. In der vergangenen Woche war eine Delegation aus Würzburg unter Leitung von Oberbürgermeister Christian Schuchardt in Lwiw. Während des Besuchs wurden zwei mit Spendengeldern aus Würzburg geschaffene beziehungsweise erweiterte Behandlungszentren für körperliche und mentale Rehabilitation eröffnet und die weitere Zusammenarbeit abgesteckt. Im Gespräch sagt Lwiws Bürgermeister Andrij Sadovyj (56), wie er auf die Lage in der Ukraine und auf die Städtepartnerschaft blickt.
Andrij Sadovyj: Wir sind gerade extrem angespannt. Wir kämpfen jeden Tag ums pure Überleben, das ist unsere Aufgabe. Angesichts der Turbulenzen in der ganzen Welt, insbesondere in den USA, ist uns klar, dass wir kein Wunder zu erwarten haben.
Sadovyj: Hätten Sie mich am Anfang des Krieges gefragt, ob wir so lange durchhalten würden, hätte ich diese Frage wahrscheinlich nicht beantworten können. Das ist für uns der größte Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag sterben Hunderte von Menschen, auch Zivilpersonen, wie kürzlich in Krywyj Rih, wo 19 Menschen getötet wurden. Ich bin sehr froh, dass sich die europäischen Staaten trotz aller Widrigkeiten für die Ukraine positionieren. Russland versteht nur Stärke. Wir haben die Waffenproduktion erhöht und neue Militärtechnik entwickelt. Für uns gibt es gibt kein Zurück in die Vergangenheit. Es hängt von unseren heutigen Taten ab, wie die Welt von morgen aussehen wird. Heute bin ich viel optimistischer als noch vor zwei Jahren.
Sadovyj: An erster Stelle geht es um Verständnis für die Realität. Nach den amerikanischen Wahlen haben die europäischen Staaten ihre rosarote Brille abgelegt. Sie haben verstanden, dass Europa verteidigt werden muss.
Sadovyj: Zurzeit leben ungefähr 150.000 Menschen aus den Kriegsgebieten bei uns. Viele von ihnen haben hier inzwischen Arbeit gefunden und fühlen sich als Lwiwer. Wir denken, dass die meisten von ihnen Lwiw nicht mehr verlassen werden. Die Menschen aus Charkiw werden wohl zurückkehren, aber die Leute aus Melitopol oder Mariupol, also aus den zerstörten Gebieten, wahrscheinlich nie wieder.
Sadovyj: Das ist eine ganz außergewöhnliche Partnerschaft. Wir haben diese Zusammenarbeit ohne große Reden angefangen. Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt hat ein wahnsinnig großes Herz. Er macht hundertmal mehr als er sagt. Und er ist ein Realist, er versteht ganz genau, in welchem Zustand sich die Welt gerade befindet. Einerseits finde ich es sehr traurig, dass er seinen Posten verlässt, andererseits hoffe ich sehr, dass seine Energie Impulse gibt auch für Partnerschaften mit anderen deutschen Städten.

Sadovyj: Für uns in Lwiw ist die Versorgung verletzter Menschen von großer Bedeutung. Konkret geht es um Innovationen und um den Ausbau unserer medizinischen Universität auf der Basis des Rehabilitationszentrums "Unbroken". Hier wollen wir unsere Anstrengungen mit Würzburg abstimmen und synchronisieren. Außerdem ist uns die Behandlung von Kriegstraumata ein großes Anliegen.
Sadovyj: Allein schon die Entscheidung der Europäischen Union, uns diesen Titel zu verleihen, ist ganz außerordentlich. Es ist eine schöne Bestätigung für unsere Energie und unsere Kraft, uns weiterzuentwickeln. Ich denke, unsere Aufgabe als Stadt Lwiw ist es, die europäische Jugend zu wecken. Mit jedem Besuch bei uns werden die jungen Menschen wachgerüttelt. Es gibt sehr viel Propaganda in der Welt, aber hier sehen sie die Realität, unser Leben, wie es wirklich ist: Wir leben, wir lieben unser Leben, und wir teilen unsere Lebensfreude gern mit der ganzen Welt.