
Auf dem Bord über dem Bett von Wolodya im zentralen Krankenhaus von Würzburgs ukrainischer Partnerstadt Lwiw stehen kleine Spielfiguren. Wolodya hat ein jungenhaftes Gesicht, ist aber doch schon 30, eigentlich kein Alter mehr für Spielzeug. Gehören die bunten Plastikfiguren vielleicht seinen Kindern? "Nein", sagt er und lacht, "das sind meine. Ich habe noch keine Kinder".

Wolodya sitzt halb aufgerichtet auf seinem Bett. Wo normalerweise die Beine sind, ist die Bettdecke weitgehend flach, Wolodyas Beine mussten nach einer Verwundung im Krieg großenteils amputiert werden. Im "Unbroken"-Rehabilitationszentrum in Lwiw soll er jetzt wieder ins Leben finden, soll mit Prothesen laufen lernen, sich möglichst wieder ohne fremde Hilfe bewegen können. Er stammt aus Lwiw, seine Frau kann ihn deshalb oft besuchen. Langsam geht es voran: Vor ein paar Tagen konnte er sogar an der Auftaktveranstaltung zur "Europäischen Jugendhauptstadt" teilnehmen, den Titel trägt Lwiw in diesem Jahr. Für Wolodya war das ein kurzer Ausflug in ein normales Leben, an das ihn vielleicht auch die bunten Figuren über seinem Bett erinnern.
Ein Zimmer nebenan sitzt Ivan auf seinem Bett. Der 41-Jährige, der aus einer Kleinstadt 90 Kilometer von Lwiw entfernt stammt, hat im Kampf beide Beine nahezu komplett verloren. Einmal in der Woche bekommt er Besuch von seiner Frau und den Kindern, die Tochter ist 18, der Sohn elf. "Vor dem Krieg war ich Bauarbeiter", berichtet er. Er hat in Polen gearbeitet, und als der Krieg begann, ist er in die Ukraine zurückgekehrt, um sein Land zu verteidigen. Nach der medizinischen Behandlung im Krankenhaus nebenan ist Ivan jetzt in die Reha-Station verlegt worden, heute ist sein erster Tag hier.

Stationäre Kapazität ist um ein Drittel gestiegen
Trotz ihrer schlimmen Verletzungen haben Wolodya und Ivan Glück, denn sie haben einen Platz im Rehabilitationszentrum der "Unbroken"-Stiftung bekommen, und das auf einer nagelneuen Station. Die Warteliste ist nämlich lang: Auf ein Bett kommen derzeit 18 Anwärter. Dass sich die stationäre Kapazität des Reha-Zentrums jetzt mit 74 neuen Betten immerhin um ein Drittel vergrößert hat, ist der Unterstützung aus der Partnerstadt Würzburg zu verdanken. Gut vier Millionen Euro wurden investiert, um einen noch aus Sowjetzeiten stammenden Trakt des Krankenhauses zu modernisieren und um zwei Stockwerke zu erweitern. In den Kosten ist auch die neue medizinische Ausstattung enthalten.

Finanzierung und Umsetzung des Projekts liefen über die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) mit Sitz in Würzburg. Die DAHW ist Mitglied im bundesweiten "Bündnis Entwicklung hilft", einem Zusammenschluss von Hilfsorganisationen. Aus dem Bündnis stehen der DAHW Spendengelder zur Verfügung, aus diesem Topf konnten die Arbeiten in Lwiw komplett finanziert werden. Koordiniert wird die Unterstützung zu viert: DAHW, Unbroken-Stiftung und die Städte Würzburg und Lwiw arbeiten zusammen.
Würzburgs OB: Ein Meilenstein für die Städtepartnerschaft
Gearbeitet wurde in Rekordtempo: Renovierung und Erweiterung haben laut DAHW-Projektleiter Henning Bungards nur neun Monate gedauert. Am Dienstag haben Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt und sein Amtskollege Andrij Sadovyj den Trakt nun eröffnet, den kirchlichen Segen spendete der Weihbischof von Lwiw, Wolodymyr Hruza. "Die vielen Verletzten, die man hier behandelt, werden euch eure Hilfe danken", sagt Bürgermeister Sadovyj nach der kirchlichen Zeremonie zu OB Schuchardt. Für ihn sei die Fertigstellung des Gebäudes ein Wunder: "Ich verneige mich vor euch."

Die deutliche Erweiterung der Krankenhaus-Kapazität sei in der Tat "ein kleines Wunder", meint auch OB Schuchardt, der mit einer kleinen Delegation nach Lwiw gekommen ist. Aber im Mittelpunkt stünden die Menschen, die im Krieg Verletzungen erfahren haben, sei es durch den Verlust von Gliedmaßen oder durch traumatische Erfahrungen. "Es geht darum, für Ihre Soldatinnen und Soldaten, die für ihr Heimatland aber auch für unsere Freiheit gekämpft haben, bestmögliche Bedingungen der Behandlung zu schaffen", sagt Schuchardt zu den ukrainischen Partnern.
Die Erweiterung sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich sei ein großer Erfolg – auch für die noch jungen Beziehungen zwischen beiden Städten: "Das ist ein Meilenstein in der Städtepartnerschaft zwischen Lwiw und Würzburg, die wir im Krieg begonnen, aber für den Frieden geschlossen haben."

Schuchardts Amtskollege Andrij Sadovyj ist als Bürgermeister von Lwiw Oberhaupt einer Stadt mit 730.000 regulären Einwohnern, dazu kommen derzeit 150.000 Binnenflüchtlinge aus den Kriegsgebieten. Eigentlich ist der 56-Jährige der unkonventionelle Macher-Typ, doch auch für einen wie ihn ist die Eröffnung des Krankenhaus-Trakts ein emotionaler Moment. In einem der Patientenzimmer hält er kurz inne, bevor er den Raum verlässt – und drückt in einem stillen Moment einen Kuss auf die hölzerne Wandverkleidung.
