Der Blick über die Stadt ist grandios von der Außengalerie des Krans am früheren Ämterhochhaus in der Augustinerstraße 9. Über die Balthasar-Neumann-Kanzel hinweg schweift er zum Dom mit der Residenz rechts dahinter, in der anderen Richtung reicht er bis zum Käppele und dem Nikolaushof darüber und bis der Festung Marienberg auf der anderen Seite.
Nur der große, grüne Kran überragt einen mit seinem Ausleger noch ein Stück. Er fußt auf einem großen Betonfundament rund 30 Meter weiter unten im Keller des Hauses. Ein Betonklotz von fünf mal fünf Metern im Quadrat und etwa 1,5 Meter hoch ist davon sichtbar, vom sieben mal sieben Meter großen Quader darunter, der das Ganze im Boden verankert, sieht man nur die Oberseite. "Drei Lkw-Ladungen Baustahl wurden darin vergossen, um den Kran zu sichern", sagt Hausmeister Thomas Summa.
Durch alle Decken des Hauses hindurch reicht der Gittermast hinauf bis übers Dach, wo sich der Drehkranz und die Kabine samt Ausleger befinden. Weil sich der Mast durch die Windlast seitlich bewegt, mussten die Durchlässe in den Stockwerksdecken von unten nach oben immer größer geschlagen werden, berichtet Summa. Sobald man das weiß, spürt man den Kran in der Tat plötzlich schwanken und zusammen mit dem Wissen, dass das Haus 2005 wegen akuter Einsturzgefahr von heute auf morgen geräumt worden war, macht sich ein leicht flaues Gefühl im Magen breit.
Ein Stockwerk darunter knistert es, knackt und tröpfelt es von der Decke. In einer Ecke wächst ein Farn. "Das Haus ist doppelt und dreifach gesichert, damit uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt", beruhigt Summa. Rund eine halbe Million Euro hat die ArbaNova Familienstiftung, seit 2016 Eigentümerin des Hauses, in die Absicherung des Gebäudes aus dem Jahr 1930 investiert. Zwischen 300 und 400 sogenannte Spriegel, lange verstellbare Metallstützen, sichern das Haus. Je höher man kommt, desto weniger werden es, weil die Last darüber abnimmt.
Zudem wurde das Haus komplett "ausgeräumt". Selbst von den Fußböden wurde eine drei Zentimeter dicke Schicht entfernt."Das Haus musste asbestsaniert werden", so Summa. Die gusseisernen Heizkörper waren so schwer, dass ein Mann sie alleine nicht mehr aufstellen konnte, wenn sie umgefallen waren, berichtet er. "Einen musste ich mit der Flex in vier Teile schneiden, dann ging es." Taubenkot liegt immer wieder auf dem Boden. Die Holzbretter des Gerüstes rund ums Haus waren alle durchgefault vom Taubenmist, sie wurden komplett durch Aluminiumtrittflächen ersetzt. "Die Viecher waren eine große Plage, jetzt ist es besser geworden", sagt Summa.
Den Feuersturm des 16. März 1945 überstand das Haus unter anderem wegen seiner für die damalige Zeit neuartigen Zwischendecken aus Eisenbeton. Doch auch daran nagte der Zahn der Zeit. In einem der Stockwerke kann man sehen, dass die freigelegte Baustahlarmierung der Deckenträger angefangen hatte zu rosten.
Nachdem mehrere statische Gutachten zu dem Ergebnis gekommen waren, dass das 36 Meter hohe Gebäude vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nicht sanierungsfähig sei, hatte das Landesamt für Denkmalpflege bereits 2013 seine Bedenken gegen den Abbruch zurückgestellt.
Je weiter man hinauf steigt, desto niedriger werden die Decken, wobei das bei einer geschätzten Deckenhöhe im Erdgeschoss von fünf bis sechs Metern natürlich relativ ist. Den Fenstern aus Isolierglas im Treppenhaus wurde teilweise eine Bleiverglasung wie zur Bauzeit des Hauses vorgesetzt. In einem der Räume liegen in Holzkisten die Bohrkerne von der Bodenuntersuchung für die Tragfähigkeit. "Die ersten sechs Meter sind bröselig, dann ist es massiver Muschelkalk", so der Hausmeister.
Den Plänen der Eigentümerin, das Gebäude, wie schon nebenan geschehen, abzureißen und in ähnlicher Höhe wieder neu zu bauen, erteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München im Frühjahr 2023 eine Absage. Er erklärte nämlich - nach Nachbarklagen - den von der Stadt Würzburg für die Nummern 9 und 11 der Augustinerstraße erstellten vorhabenbezogenen Bebauungsplan aus formalen Gründen für unwirksam.
Das bedeutet, dass sich nach einem Abriss nun ein Neubau an Trauf- und Firsthöhen der umgebenden Bebauung orientieren muss. Die Bauherrin hatte auf eine zeitaufwändige Neuaufstellung eines vorhabenbezogenen Plans verzichtet. Das erste Hochhaus in Franken und das zweite in Bayern - nur ein Gebäude in München wurde ein Jahr früher fertiggestellt - wird damit über kurz oder lang aus der Würzburger Dachlandschaft verschwinden.
Die niedrigere Bauweise habe Vor- und Nachteile, hatte Frank Barlian, Geschäftsführer der Bona Wohnbaugesellschaft, einer hundertprozentigen Tochter der ArbaNova, schon im Frühjahr erklärt. Ein Nachteil sei, dass man nicht so hoch hinaus könne und vermarktbare Flächen entfallen würden, ein Vorteil sei, dass man dann nicht so tief in den Untergrund gehen müsse. Barlian hatte im Frühjahr noch gehofft, nach einer Einigung mit den Nachbarn vielleicht schon im Herbst 2023 den Bauantrag stellen zu können. Daraus ist nichts geworden, dennoch ist er zuversichtlich. "Die Nachbarn und wir haben uns angenähert, unsere Anwälte tauschen sich aus", sagt er am Telefon.
Ziel sei eine nachbarschaftliche Vereinbarung, ohne die man nicht in die Bauwerberphase gehen wolle. "Das sieht gerade sehr gut aus, zwar ist noch nichts unterschrieben, aber wir sind auf einem guten Weg", hofft er. "Wir sind näher beieinander als wir es seit Jahren waren."
"Ich hoffe, dass wir das dann im 1. Quartal 2024 abschließen", fährt er fort. Anschließend könne mit der Planung begonnen werden, sodass der Bauantrag Ende desselben Jahres bei der Stadt eingereicht werden könne. "Bisher haben wir ja nur eine Objektstudie gemacht und noch keine Architektur", erläutert er.
Hat der Abriss begonnen, für ihn sind vier Monate eingeplant, wird es rund zwei Jahre dauern, bis der Neubau bezogen werden kann, schätzt Frank Barlian. Geplant sei nach wie vor eine gemischte Nutzung mit Einzelhandel, Praxen, Büros, Wohnen und einer Tiefgarage.
Hinweis: In einer ersten Version den Textes hatte der Autor dem Kran versehentlich die Farbe rot "verpasst". Das ist nicht richtig, wie uns Leser hinwiesen, der Kran ist grün. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Ein herausragendes Denkmal der Deutschen Zaudrigkeit beim Bauen…
Grunsätzlich haben Sie ja Recht. Nur hat sich in den letzten 60-70 Jahren eine rechtliche Situation eingestellt, die ein solches Handel, mit den Nachbarn und Wer da noch alles mitspricht, sehr verkompliziert. Des weiteren ist ja auch seit Jahrzehnten der Würzburger Stadtrat für seinen Diskussionbedarf bekannt, der halt auch mal 20 Jahre respektive auch Open End bedeuten kann.
wenn sich nichts geändert hat und darauf lassen die Fotos schließen ist der Kran immer noch grün und nicht rot, auch wenn er mittlerweile für einige vielleicht zum "roten" Tuch im Stadtbild geworden ist ,-).
Ich kann eine gewisse rot-grün Schwäche nicht verleugnen, da haben sie recht. Oh weh.
Wobei das von innen noch deutlicher sichtbar wird, als wenn man die verwitterte Farbe im Außenbereich betrachtet. Da geht es schon in gräuliche.
Aber rot sieht anders aus. Mea culpa!
Grüße aus der Redaktion.
Ernst Lauterbach