Am 16. März 1945 starben bei der Bombardierung Würzburgs etwa 3600 Menschen. Eine von ihnen war Georgette Barbey. Ihr Name ist einer von 1800 Namen auf der Liste der Kriegsgräberstätte am Würzburger Hauptfriedhof. Die Biografien hinter den Namen zu erforschen, hat sich eine Projektgruppe des Friedrich-Koenig-Gymnasiums in der Zellerau zur Aufgabe gesetzt.
Geschichtslehrerin Doris Winter ist mit ihren Schülerinnen und Schülern zu Beginn die lange Liste durchgegangen. Dabei ist ihr der französische Name von Georgette Barbey aufgefallen. "Wir gingen davon aus, dass sie eine Zwangsarbeiterin war", sagt Winter rückblickend.
Wer war Georgette Barbey?
Weil Winter außerdem aufgefallen ist, dass es den angegebenen Geburtsort von Barbey, Boulogne-sur-Seine, nicht gibt, hat ihre Schülerin Vlera Hoxha weitere Nachforschungen zur Person angestellt. "Ich habe zuerst bei den Arolsen Archives nachgefragt", sagt die 18-Jährige. Die Organisation im nordhessischen Bad Arolsen habe eine große Datenbank, vor allem für ausländische Opfer des Nationalsozialismus.
Von dort habe sie die Informationen bekommen, dass Georgette am 31. Januar 1883 mit dem Nachnamen Divary geboren wurde. Sie starb am 16. März 1945. Gemeldet war sie in der Domer Schulstraße bei einem Ingenieur namens Hans Kleinschrod. "Wir hatten viele Infos, die aber neue Fragen aufgeworfen haben", sagt Hoxha über ihre zu diesem Zeitpunkt stockenden Nachforschungen.
Von Frankreich nach Würzburg
Unter dem Namen Divary hätte sie dann aber französische Dokumente ausfindig machen können. Demnach sei eine Georgette Divary mit August Barbey verheiratet gewesen. Gemeinsam hätten sie zwei Kinder, Germaine und Raymond, gehabt. Aber die Frage war jetzt: Ist das auch die Georgette Barbey aus Würzburg und wie ist sie hier hergekommen?
"Ich habe dann auf der Würzburger Gräberliste den Namen Germaine Kleinschrod-Barbey mit demselben Geburstdatum gefunden", sagt Hoxha. Für sie war das rückblickend der spannendste Moment ihrer Recherche, weil sie über Ländergrenzen hinweg die Geschichte der Familie zusammenbringen konnte.
Akten der Gestapo und Entnazifizierung
Mit dieser Gewissheit konnten die beiden dann weitere Nachforschungen anstellen. Und tatsächlich stellte das Staatsarchiv Würzburg zwei Akten bereit: die der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis von Tochter Germaine und die Entnazifizierungsakte von deren Mann Hans Kleinschrod.
Aus beiden konnte Vlera Hoxha ihre Geschichte wie folgt rekonstruieren. Hans Kleinschrod war nach dem Ersten Weltkrieg geschäftlich in Frankreich. Dort habe er wohl Germaine Barbey kennengelernt. Die beiden haben geheiratet, sind in den 1920er Jahren nach Würzburg gezogen.
Würzburgerin wurde zweimal denunziert
1935 sprach Germaine davon, dass sich ihre Eltern in Frankreich Sorgen um einen drohenden Krieg machen würden. Daraufhin meldete sie jemand bei der Gestapo, sie würde "Kriegsgerüchte aus Frankreich" streuen.
Während des Zweiten Weltkriegs, ihr Mann war als Soldat eingezogen, wurde sie von Nachbarn denunziert. Die Gestapo warf ihr vor, sie habe "Umgang mit einem französischen Kriegsgefangenen". Germaine Kleinschrod-Barbey sagte beim anschließenden Verhör aus, sie habe kleinere Erledigungen für den Mann getätigt und sich einfach gefreut, wieder mit jemandem Französisch sprechen zu können. Hoxha fand durch die Akten heraus, dass die Gestapo den Briefverkehr der Familie zeitweise überwachte.
Unter Beobachtung der Gestapo
Bei seiner Entnazifizierung nach dem Krieg, so fasst es die Schülerin zusammen, sei Hans Kleinschrod verbittert gewesen. Er gab an, wegen der drohenden Überwachung nur noch auf Französisch mit seiner Frau gesprochen und geschrieben zu haben.
Sie hätten außerdem immer unter Beobachtung gestanden, weil er seine Kinder nicht in die üblichen Jugendorganisationen der Nazis geschickt habe. Er selbst sei von seinem Bruder unfreiwillig in der NSDAP angemeldet worden. Nur aus Angst vor weiteren Repressionen sei er nicht ausgetreten.
Recherchen, die den Blick auf Würzburg verändern
Zwar würden die Aussagen grundsätzlich ins Bild passen, sagt Doris Winter. Sie gibt aber auch zu bedenken, dass man kritisch den Entnazifizierungsakten gegenüber bleiben müsse. Nach dem Krieg habe jeder versucht, sich als unschuldig darzustellen.
Für Vlera Hoxha waren die über ein Jahr dauernden Archivarbeiten eine spannende Erfahrung. "Besonders beeindruckend war es zu sehen, wie die verschiedenen Dokumente die damalige Zeit darstellen." Auch ihr Blick auf Würzburg habe sich dadurch geändert. "Ich bin öfter in der Domerschulstraße und nehme die jetzt anders wahr, weil ich weiß, wer hier mal gelebt hat."
Der Wunsch eines angemessenen Erinnerns
Weil Hans Kleinschrod am 16. März 1945 als Soldat eingezogen war, überlebte er als einziger der Familie Kleinschrod-Barbey diesen Tag. Er starb 1953 in Würzburg. Georgette Barbey (damals 62 Jahre alt), Tochter Germaine (39) sowie die Enkel Denyse (14) und Gilbert (11) starben bei dem Bombenangriff.
Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen taucht der Name von Georgette Barbey heute weder auf der Erinnerungstafel am Massengrab noch auf einem Grabstein der Kriegsgräberstätte auf. "Es ist uns ein Rätsel, warum Georgette nicht bei den anderen dabei steht", sagt Winter. Gemeinsam mit Vlera Hoxha hofft sie, dass ihre Recherchen einen Anstoß geben, den Namen wieder aufzunehmen.