Als am Abend des 16. März 1945 britische Flugzeuge Hunderte Tonnen Spreng- und Brandbomben über Würzburg abwarfen, befand sich der 54-jährige Otto Seidel mit seiner Familie im Luftschutzkeller der Universitätsaugenklinik am Röntgenring. Seine 41-jährige Frau Anna kniete vor einer Bank, unter der die Kinder Maria (10) und Walter (5) Schutz gesucht hatten. "Unsere Mutter sagte immer wieder mit fester Stimme: ,Ihr braucht keine Angst zu haben, uns passiert nichts.'" So erinnerte sich ihre Tochter Maria Tamm später an die schreckensvollen Minuten.
Es passierte tatsächlich nichts – zumindest in der Augenklinik. Wie durch ein Wunder blieb das Gebäude weitgehend unzerstört, während Würzburg in Trümmer sank und rund 3600 Menschen starben. Mit dem Haus überlebten Patienten, Mediziner, Krankenschwestern – und die Familie Seidel: außer den Eltern sowie Maria und Walter (genannt Walterle) auch die 15-jährige Tochter Elsa. Der 1929 geborene älteste Sohn Hermann befand sich seit wenigen Tagen in Wittenberge bei Berlin in einem Wehrmachtslager.
Otto Seidel arbeitete als Angestellter in der Klinik, in die in diesem Mai nach mehrjähriger Sanierung die Fraunhofer-Gesellschaft einzieht. Seit 1929 bewohnte er die Hausmeisterwohnung im Souterrain, in der seine Kinder aufwuchsen. Fast täglich führte er Tagebuch.
Schon 1939 fand eine Luftschutz-Übung in der Augenklinik statt
Die Nationalsozialisten rechneten schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Fall des von ihnen angestrebten Krieges mit schweren Angriffen auf Würzburg. Eine Luftschutz- und Feuerlöschübung fand bereits am 9. Februar 1939 in der Klinik statt, notierte Seidel. Im Juni 1939 musste er einen Kurs in der "Luftschutzschule" am Schottenanger besuchen. Nachdem Deutschland den Krieg vom Zaun gebrochen hatte, entstand sofort ein Lazarett in der Augenklinik. Immer häufiger flogen ab 1942 feindliche Flugzeuge über Würzburg. "Dauernd wurde auf das Ertönen der Warn-Sirenen geachtet, die oft mitten in der Nacht zu hören waren", schrieb Seidel.
Im Keller, der als Luftschutzraum eingerichtete war, saßen die Menschen dann viele Stunden eng zusammengedrängt. Seidel: "Es war ein tieftrauriger Anblick, wenn Patienten mit ihren Verbänden die Betten verlassen mussten und hinunter geführt wurden, wo sie die Entwarnungs-Sirene abwarteten." Bei Alarmen während des Tages diente der Keller als Schreibstube.
Otto Seidel hat in seinem Tagebuch und in einem 1967 angefertigten Manuskript die Ereignisse des Großangriffs auf Würzburg geschildert. Er und seine Frau Anna saßen an jenem Abend des 16. März 1945, der ein warmer und sonniger Frühlingstag gewesen war, im Keller der Klinik, ebenso die Kinder Elsa, Maria und der fünfjährige Walter. Plötzlich erleuchteten Zielmarkierungen ("Christbäume") die Stadt gespenstisch.
"Man sah zuerst im Süden starken Feuerschein", notierte Seidel über die folgenden Minuten: "Alles wartete gespannt, weil Heidingsfeld schon brannte. Kurz darauf erdröhnten die ersten Bombeneinschläge auch in der Nähe der Klinik." Die Wände des Kellers wankten, doch stürzte das 1901 errichtete Haus nicht ein. Alle im Keller, darunter Erlöserschwestern, die in der Klinik Dienst taten, knieten betend am Boden. Von draußen hörte man das Prasseln der abgeworfenen Brandbomben. Plötzlich wurden die Kamintüren vom Luftdruck aufgestoßen, ein Fauchen war zu hören und Ruß wurde in den Raum geschleudert.
Während die Augenklinik dem Angriff standhielt und keiner im Keller zu Schaden kam, begann draußen ein Feuersturm zu toben. Häuser stürzten ein, Menschen erstickten in Kellern oder wurden von zusammenbrechenden Ruinen bei der Flucht erschlagen. Dies alles wussten die verschreckten Männer, Frauen und Kinder im Keller am Röntgenring 12 nicht.
Als es stiller wurde, gingen einige hinauf: "Da sahen wir den Himmel über der Stadt rotviolett, fast taghell erleuchtet", schrieb Otto Seidel. "Riesige beleuchtete Rauchwolken wälzten sich empor, ein Funkenregen sprühte auf und in allen Häusern um uns herum waren mächtige Brände ausgebrochen. Die Flammen schlugen schon aus den unteren Stockwerken heraus, manche Häuser waren schon ausgebrannt trotz der kurzen Zeit. Die ganze Stadt, die Festung, Schiffe auf dem Main, alles brannte." Auf dem Röntgenring wanderten ununterbrochen Flüchtlinge mit ihrem geretteten Hab und Gut vor der Klinik vorbei.
Über das Haus brauste ein gewaltiger Funken- und Feuersturm hinweg. Die Klinik stand noch, aber in vier Zimmern brachen – wahrscheinlich durch Funkenflug – kleinere Feuer aus. Verwundete Soldaten machten sich, unterstützt von Schwestern und Personal, sofort ans Löschen, ebenso am nächsten Tag, als unter dem Dach des Hörsaals ein brennender Balken entdeckt wurde. Da das städtische Wasserwerk zerstört war, konnte sie nur das in Wannen und Eimern gespeichert Vorratswasser verwenden.
Auch das Juliusspital war schwer beschädigt. Viele Patienten kamen von dort in die Augenklinik und wurden hier so gut es in dem Chaos ging behandelt, ebenso wie Menschen, die während des Angriffs und danach verletzt worden waren. In der Klinik herrschte laut Seidel ein Riesenbetrieb: "Sterbende wurden hereingebracht, manche verschieden auch und lagen im Küchengang auf Tragbahren." Plötzlich erlosch das elektrische Licht, da das Elektrizitätswerk ebenfalls ein Opfer der Bomben geworden war; Kerzen und Petroleumlampen mussten genügen.
In Otto Seidels Aufzeichnungen ist dann eine denkwürdige Szene beschrieben, die sich auf der Luitpoldbrücke, der heutigen Friedensbrücke, abspielte: "Gegen 4 Uhr morgens wurde Walterle wach, er hatte im Keller fest geschlafen. Ich ging mit ihm zur Luitpoldbrücke. Wir betrachteten das brennende Würzburg, das brennende Mainviertel, aus dem die Hilfeschreie verbrennender Menschen bis zu uns drangen, die brennende Festung, die brennenden Kirchen mit Türmen. Ein unheimliches Krachen und Knistern war zu hören. Alle menschliche Hilfe war vergebens, obwohl von allen Städten die Feuerwehrautos hier ankamen, um zu helfen, und von weither die Soldaten zum Retten von Möbeln eintrafen; aus dem Main wurde Wasser gepumpt."
Seidel brachte den fünfjährigen Sohn zurück in die Klinik und ging allein durch die Pleich, an der Kirche St. Gertraud vorbei, deren Orgelbalken gerade einstürzten. Das war gefährlich und nur in der Mitte der Straßen möglich, da zu beiden Seiten brennende Balken herunterkamen. Manche Stellen mussten im Laufschritt genommen werden, damit die Kleider nicht Feuer fingen. Doch Otto Seidel wollte alles sehen.
Und er wollte helfen. Noch in der Nacht rettete er mit Familienmitgliedern das Hab und Gut von Nachbarn. Freilich war die Hilfe begrenzt. Seidel: "Viele konnten gerade retten, was sie tragen konnten. Alles andere, Wohnungen, Kellereinrichtungen, Kleider, Möbel wurde vernichtet."
Am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, drang sie nicht durch, beobachtete Otto Seidel, denn "über der Stadt, aus der aus unzähligen Stellen Flammen schlugen, lag eine dichte Brandwolke".
In der nächsten und letzten Folge unserer kleinen Serie über die Alte Augenklinik geht es darum, wie die Klinik nach 1945 genutzt wurde und warum sie später verfiel.
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Die Ukraine ist das zweitgrößte Land Europas. Bachmut ist laut google maps 2.070.02 Kilometer entfernt. Es gibt derzeit auf der Welt noch viele andere Kriege und Unruheherde.
Wenn wir da überall mitmischen wollen übersteigt das bei weitem unsere Kräfte. Schon bei der gescheiterten Afghanistan-Mission sind wir böse auf die Nase gefallen und bald werden wir wohl auch aus Mali hinauskomplimentiert.
Dadurch, dass wir Unmengen an Geld, das jetzt dringend fehlt und viel Blut geopfert haben, haben wir nichts besser gemacht. Vieles sogar schlechter.
Die deutsche Großmannssucht und der Wille alle nach unserem Bilde zu erziehen und umzuformen sind falsch und überholt.
Zu gewinnen gibt es da für uns gar nichts, aber sehr viel zu verlieren. Wer unbedingt tätig werden will kann entweder Geld spenden oder sich freiwillig melden.
Ich werde beides nicht tun.
Jedes Jahr am 16. März höre ich auf dem Balkon den Glocken zu und versuche mir vorzustellen, wie das war. Und ich hoffe so sehr: Nie wieder!