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Würzburg
In der Würzburger Alten Augenklinik beim Bombenangriff des 16. März 1945: "Mutter sagte: Uns passiert nichts"
Dramatische Stunden: Wie Otto Seidel und seine Familie im Haus am Röntgenring in Würzburg die Katastrophe des 16. März 1945 überlebten.
Die Universitätsaugenklinik von der Luitpoldbrücke (heute Friedensbrücke) aus gesehen. Der Röntgenring ist auf diesem historischen Bild noch nicht verbreitert und auch in Richtung Bahnhof von einer Baumallee begrenzt. Rechts steht der Schlachthof (heute Congress Centrum).
Foto: Stadtarchiv Würzburg | Die Universitätsaugenklinik von der Luitpoldbrücke (heute Friedensbrücke) aus gesehen. Der Röntgenring ist auf diesem historischen Bild noch nicht verbreitert und auch in Richtung Bahnhof von einer Baumallee begrenzt.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:01 Uhr

Als am Abend des 16. März 1945 britische Flugzeuge Hunderte Tonnen Spreng- und Brandbomben über Würzburg abwarfen, befand sich der 54-jährige Otto Seidel mit seiner Familie im Luftschutzkeller der Universitätsaugenklinik am Röntgenring. Seine 41-jährige Frau Anna kniete vor einer Bank, unter der die Kinder Maria (10) und Walter (5) Schutz gesucht hatten. "Unsere Mutter sagte immer wieder mit fester Stimme: ,Ihr braucht keine Angst zu haben, uns passiert nichts.'" So erinnerte sich ihre Tochter Maria Tamm später an die schreckensvollen Minuten.

Es passierte tatsächlich nichts – zumindest in der Augenklinik. Wie durch ein Wunder blieb das Gebäude weitgehend unzerstört, während Würzburg in Trümmer sank und rund 3600 Menschen starben. Mit dem Haus überlebten Patienten, Mediziner, Krankenschwestern – und die Familie Seidel: außer den Eltern sowie Maria und Walter (genannt Walterle) auch die 15-jährige Tochter Elsa. Der 1929 geborene älteste Sohn Hermann befand sich seit wenigen Tagen in Wittenberge bei Berlin in einem Wehrmachtslager.

Otto Seidel arbeitete als Angestellter in der Klinik, in die in diesem Mai nach mehrjähriger Sanierung die Fraunhofer-Gesellschaft einzieht. Seit 1929 bewohnte er die Hausmeisterwohnung im Souterrain, in der seine Kinder aufwuchsen. Fast täglich führte er Tagebuch.

Schon 1939 fand eine Luftschutz-Übung in der Augenklinik statt

Die Nationalsozialisten rechneten schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Fall des von ihnen angestrebten Krieges mit schweren Angriffen auf Würzburg. Eine Luftschutz- und Feuerlöschübung fand bereits am 9. Februar 1939 in der Klinik statt, notierte Seidel. Im Juni 1939 musste er einen Kurs in der "Luftschutzschule" am Schottenanger besuchen. Nachdem Deutschland den Krieg vom Zaun gebrochen hatte, entstand sofort ein Lazarett in der Augenklinik. Immer häufiger flogen ab 1942 feindliche Flugzeuge über Würzburg. "Dauernd wurde auf das Ertönen der Warn-Sirenen geachtet, die oft mitten in der Nacht zu hören waren", schrieb Seidel.

Im Keller, der als Luftschutzraum eingerichtete war, saßen die Menschen dann viele Stunden eng zusammengedrängt. Seidel: "Es war ein tieftrauriger Anblick, wenn Patienten mit ihren Verbänden die Betten verlassen mussten und hinunter geführt wurden, wo sie die Entwarnungs-Sirene abwarteten." Bei Alarmen während des Tages diente der Keller als Schreibstube.

Otto Seidel hat in seinem Tagebuch und in einem 1967 angefertigten Manuskript die Ereignisse des Großangriffs auf Würzburg geschildert. Er und seine Frau Anna saßen an jenem Abend des 16. März 1945, der ein warmer und sonniger Frühlingstag gewesen war, im Keller der Klinik, ebenso die Kinder Elsa, Maria und der fünfjährige Walter. Plötzlich erleuchteten Zielmarkierungen ("Christbäume") die Stadt gespenstisch.

Anna und Otto Seidel erlebten mit drei ihrer vier Kinder den Angriff des 16. März 1945 im Keller der Augenklinik am Röntgenring.
Foto: Sammlung Hermann Seidel | Anna und Otto Seidel erlebten mit drei ihrer vier Kinder den Angriff des 16. März 1945 im Keller der Augenklinik am Röntgenring.

"Man sah zuerst im Süden starken Feuerschein", notierte Seidel über die folgenden Minuten: "Alles wartete gespannt, weil Heidingsfeld schon brannte. Kurz darauf erdröhnten die ersten Bombeneinschläge auch in der Nähe der Klinik." Die Wände des Kellers wankten, doch stürzte das 1901 errichtete Haus nicht ein. Alle im Keller, darunter Erlöserschwestern, die in der Klinik Dienst taten, knieten betend am Boden. Von draußen hörte man das Prasseln der abgeworfenen Brandbomben. Plötzlich wurden die Kamintüren vom Luftdruck aufgestoßen, ein Fauchen war zu hören und Ruß wurde in den Raum geschleudert.

Die ehemalige Augenklinik am Röntgenring in Würzburg zu Beginn dieses Jahres: Die Sanierung des Gebäudes mit der prachtvollen Fassade ist nahezu fertiggestellt. 
Foto: Johannes Kiefer | Die ehemalige Augenklinik am Röntgenring in Würzburg zu Beginn dieses Jahres: Die Sanierung des Gebäudes mit der prachtvollen Fassade ist nahezu fertiggestellt. 

Während die Augenklinik dem Angriff standhielt und keiner im Keller zu Schaden kam, begann draußen ein Feuersturm zu toben. Häuser stürzten ein, Menschen erstickten in Kellern oder wurden von zusammenbrechenden Ruinen bei der Flucht erschlagen. Dies alles wussten die verschreckten Männer, Frauen und Kinder im Keller am Röntgenring 12 nicht.

"Riesige beleuchtete Rauchwolken wälzten sich empor, ein Funkenregen sprühte auf."
Otto Seidel, Bewohner der Alten Augenklinik

Als es stiller wurde, gingen einige hinauf: "Da sahen wir den Himmel über der Stadt rotviolett, fast taghell erleuchtet", schrieb Otto Seidel. "Riesige beleuchtete Rauchwolken wälzten sich empor, ein Funkenregen sprühte auf und in allen Häusern um uns herum waren mächtige Brände ausgebrochen. Die Flammen schlugen schon aus den unteren Stockwerken heraus, manche Häuser waren schon ausgebrannt trotz der kurzen Zeit. Die ganze Stadt, die Festung, Schiffe auf dem Main, alles brannte." Auf dem Röntgenring wanderten ununterbrochen Flüchtlinge mit ihrem geretteten Hab und Gut vor der Klinik vorbei.

Der Künstler Fried Heuler erlebte den Angriff am Abend des 16. März 1945 auf dem Weg von Würzburg zu seiner Veitshöchheimer Wohnung. Er malte das Aquarell, die einzige authentische künstlerische Darstellung der brennenden Stadt, noch in derselben Nacht. Das Bild befindet sich im Besitz des Museums für Franken.
Foto: Thomas Obermeier | Der Künstler Fried Heuler erlebte den Angriff am Abend des 16. März 1945 auf dem Weg von Würzburg zu seiner Veitshöchheimer Wohnung.

Über das Haus brauste ein gewaltiger Funken- und Feuersturm hinweg. Die Klinik stand noch, aber in vier Zimmern brachen – wahrscheinlich durch Funkenflug – kleinere Feuer aus. Verwundete Soldaten machten sich, unterstützt von Schwestern und Personal, sofort ans Löschen, ebenso am nächsten Tag, als unter dem Dach des Hörsaals ein brennender Balken entdeckt wurde. Da das städtische Wasserwerk zerstört war, konnte sie nur das in Wannen und Eimern gespeichert Vorratswasser verwenden.

"Ein unheimliches Krachen und Knistern war zu hören. Alle menschliche Hilfe war vergebens."
Otto Seidel, Augenzeuge des Bombenangriffs auf Würzburg 1945

Auch das Juliusspital war schwer beschädigt. Viele Patienten kamen von dort in die Augenklinik und wurden hier so gut es in dem Chaos ging behandelt, ebenso wie Menschen, die während des Angriffs und danach verletzt worden waren. In der Klinik herrschte laut Seidel ein Riesenbetrieb: "Sterbende wurden hereingebracht, manche verschieden auch und lagen im Küchengang auf Tragbahren." Plötzlich erlosch das elektrische Licht, da das Elektrizitätswerk ebenfalls ein Opfer der Bomben geworden war; Kerzen und Petroleumlampen mussten genügen.

Hermann Seidel im Jahr 1997 mit den Tagebüchern seines Vaters.
Foto: Roland Flade | Hermann Seidel im Jahr 1997 mit den Tagebüchern seines Vaters.

In Otto Seidels Aufzeichnungen ist dann eine denkwürdige Szene beschrieben, die sich auf der Luitpoldbrücke, der heutigen Friedensbrücke, abspielte: "Gegen 4 Uhr morgens wurde Walterle wach, er hatte im Keller fest geschlafen. Ich ging mit ihm zur Luitpoldbrücke. Wir betrachteten das brennende Würzburg, das brennende Mainviertel, aus dem die Hilfeschreie verbrennender Menschen bis zu uns drangen, die brennende Festung, die brennenden Kirchen mit Türmen. Ein unheimliches Krachen und Knistern war zu hören. Alle menschliche Hilfe war vergebens, obwohl von allen Städten die Feuerwehrautos hier ankamen, um zu helfen, und von weither die Soldaten zum Retten von Möbeln eintrafen; aus dem Main wurde Wasser gepumpt."

Seidel brachte den fünfjährigen Sohn zurück in die Klinik und ging allein durch die Pleich, an der Kirche St. Gertraud vorbei, deren Orgelbalken gerade einstürzten. Das war gefährlich und nur in der Mitte der Straßen möglich, da zu beiden Seiten brennende Balken herunterkamen. Manche Stellen mussten im Laufschritt genommen werden, damit die Kleider nicht Feuer fingen. Doch Otto Seidel wollte alles sehen.

Im Jahr 1998 besuchten die Kinder von Otto und Anna Seidel die frühere Universitätsaugenklinik, in der sie ihre Jugend verbracht hatten. Das Bild zeigt (von links) Walter Seidel sowie die bereits verstorbenen  Maria Tamm, Hermann Seidel und Elsa Fersch.
Foto: Roland Flade | Im Jahr 1998 besuchten die Kinder von Otto und Anna Seidel die frühere Universitätsaugenklinik, in der sie ihre Jugend verbracht hatten.

Und er wollte helfen. Noch in der Nacht rettete er mit Familienmitgliedern das Hab und Gut von Nachbarn. Freilich war die Hilfe begrenzt. Seidel: "Viele konnten gerade retten, was sie tragen konnten. Alles andere, Wohnungen, Kellereinrichtungen, Kleider, Möbel wurde vernichtet."

Am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, drang sie nicht durch, beobachtete Otto Seidel, denn "über der Stadt, aus der aus unzähligen Stellen Flammen schlugen, lag eine dichte Brandwolke".

In der nächsten und letzten Folge unserer kleinen Serie über die Alte Augenklinik geht es darum, wie die Klinik nach 1945 genutzt wurde und warum sie später verfiel.

Trotz sorgfältiger Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber der Fotos ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

 
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  • B. T.
    Alles lange her? Kommt nie wieder? Nein! Das passiert, wenn ein Aggressor nicht gleich zu Beginn seines Angriffskriegs mit aller Konsequenz bekämpft wird! Dann werden plötzlich auch deutsche Städte zu Ruinen. Damals Täter!!! Bald Opfer?
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    Das kann aber auch passieren, wenn man sich in fremde Kriege einmischt.
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  • B. T.
    Theoretisch kann uns natürlich auch der Himmel auf den Kopf fallen. Ich bin nur sehr dafür, dass der Mensch fähig sein sollte, aus Geschichte zu lernen, gerade von uns Deutschen erwarte ich dies. Und die Geschichte beweist, dass man einen Kriegstreiber so schnell wie möglich ausbremsen muss, sonst macht er weiter. Das belegen auch Aussagen von Putin persönlich. Hitler war das Sudetenland auch nicht genug, er wollte mehr. Und Aussagen von Putin selbst belegen, dass er da kein Stück besser ist als Hitler. Man darf daraus lernen!
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    Soll man sich in jeden regionalen Konflikt auf der Welt einmischen?

    Die Ukraine ist das zweitgrößte Land Europas. Bachmut ist laut google maps 2.070.02 Kilometer entfernt. Es gibt derzeit auf der Welt noch viele andere Kriege und Unruheherde.

    Wenn wir da überall mitmischen wollen übersteigt das bei weitem unsere Kräfte. Schon bei der gescheiterten Afghanistan-Mission sind wir böse auf die Nase gefallen und bald werden wir wohl auch aus Mali hinauskomplimentiert.

    Dadurch, dass wir Unmengen an Geld, das jetzt dringend fehlt und viel Blut geopfert haben, haben wir nichts besser gemacht. Vieles sogar schlechter.

    Die deutsche Großmannssucht und der Wille alle nach unserem Bilde zu erziehen und umzuformen sind falsch und überholt.
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  • B. T.
    Großmannssucht? Was für ein Unsinn! Einfach mal einen plakativen Begriff in die Welt setzen und behaupten, der passt. Putin hat sich die Krim genommen, wie damals Hitler das Sudetenland, und jetzt will er die ganze Ukraine. Wenn man Diktatoren wie ihn gewähren lässt, dann erst droht ein Weltkrieg. Wie gesagt, man darf gerne aus Geschichte lernen. Aber das fällt den Russen ja ebenfalls schwer, sonst wären sie gar nicht erst in die Ukraine eingefallen.
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    Die Probleme zwischen Russland und der Ukraine gehen mich nichts an. Ich will nicht Zukunft und Leben meiner Familie aufs Spiel setzen nur weil ich mich ohne Not in Kriege in rund zweieinhalb Tausend Kilometer Entfernung einmische. (Strecke Würzburg-Bachmut rund 2.500 km, laut google maps)

    Zu gewinnen gibt es da für uns gar nichts, aber sehr viel zu verlieren. Wer unbedingt tätig werden will kann entweder Geld spenden oder sich freiwillig melden.

    Ich werde beides nicht tun.
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  • J. N.
    Danke für diese Berichte.
    Jedes Jahr am 16. März höre ich auf dem Balkon den Glocken zu und versuche mir vorzustellen, wie das war. Und ich hoffe so sehr: Nie wieder!
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