
Bis Beginn der 1930er Jahre waren die Schusters - wie 30 weitere jüdische Familien - Teil des öffentlichen Lebens in Bad Brückenau: Julius Schuster (1876-1960) führte mit seiner Familie in der Kleinstadt, die heute zum Landkreis Bad Kissingen gehört, ein Textil- und Schuhgeschäft sowie das koschere "Central-Hotel". Als Stadtrat gestaltete er auch die Kommunalpolitik aktiv mit. "Das Miteinander hatte etwas Selbstverständliches", sagt sein Enkel, Josef Schuster, der heutige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Wie der gegenseitige Respekt in Hass und Verfolgung umschlug, zeigt die Dokumentation "Der Fall Schuster. Eine Familie im Fadenkreuz der Gestapo", die das Bayerische Fernsehen an diesem Mittwoch, 21. Juni, sendet. Nach über einem Jahr sogenannter "Schutzhaft" in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, mussten die Schusters 1938 ihren Besitz abtreten und Deutschland "für immer" verlassen.
Gestapo Akten liegen im Staatsarchiv in der Residenz
Mit der TV-Doku werden erstmals die beiden Akten öffentlich, die die "Geheime Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten über Julius Schuster und seinen Sohn David angelegt hatte. Und erstmals sah sich auch Josef Schuster mit dem umfangreichen Material konfrontiert, das im Staatsarchiv in der Würzburger Residenz lagert. Vielerorts waren die Gestapo-Akten mit dem Ende von Nazi-Deutschland vernichtet worden, in Würzburg sind sie - laut BR "wie durch ein Wunder" - erhalten geblieben.

Für ihn, so sagt Josef Schuster, hätten sich durch das Lesen von jeweils über hundert Seiten antisemitischer Anschuldigungen, amtlicher Dokumente und Berichten keine grundlegend neuen Erkenntnisse über die Geschichte seiner Familie ergeben. Die Geschichte ihrer Entrechtung, der Verhaftung, Verfolgung und Vertreibung hätten sein Großvater und sein Vater mitnichten verschwiegen: "Für mich war sie von klein auf präsent", sagt der Zentralratspräsident, der 1954 im israelischen Haifa geboren wurde und als Zweijähriger mit der Familie nach Würzburg kam.
Auch die Öffentlichkeit war über die Familiengeschichte im Bilde. Dies belegt ein ausführliches TV-Interview mit David Schuster (1910-1999), dem langjährigen Leiter der jüdischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken, aus dem die Doku zitiert.
Was neu für ihn gewesen sei, so Schuster: zu sehen, "wie umfangreich, detailgenau und mit welcher Mühe" die Gestapo die Verfolgung dokumentierte, um so eine "Pseudolegalität" für ihr Handeln zu konstruieren. Der Umgang der Nazis mit der Bad Brückenauer Familie Schuster stehe beispielhaft für die Bemühungen, Unterfranken "judenrein" zu machen, erläutert Alexander Wolz, Leiter des Würzburger Staatsarchivs, in der Dokumentation im Gespräch mit BR-Journalist Andreas Bönte.
Am Anfang steht eine Denunziation, eine fingierte Anschuldigung und gezielte Verleumdung durch Hermann Heinritz, den Kreisleiter der NSDAP in Brückenau/Hammelburg: Julius und David Schuster hätten sich an den Bauern der Region bereichert, sie seien als "Blutsauger" und "brutale, rücksichtslose Ausbeuter" bekannt. Wegen ihrer "Schandtaten" seien sie in Schutzhaft zu nehmen, schreibt Heinritz der Gestapo in Würzburg.
Josef Schuster würdigt die Widerständigkeit seines Großvaters
Und so rückt die Polizei im September 1937 an, um den 62-jährigen Vater und seinen 27-jährigen Sohn ins Konzentrationslager Dachau zu verschleppen, wo sie unter üblen Bedingungen Schwerstarbeit verrichten müssen - und zahlreichen Schikanen ausgesetzt sind. Trotzdem: Als Julius Schuster in Aussicht gestellt wird, er könne freikommen, wenn er seinen Besitz den Nazis verkauft, weigert er sich. "Das zeigt seinen Charakter, seinen Mut und vor allem seinen Gerechtigkeitssinn", würdigt Josef Schuster die Widerständigkeit seines Großvaters. Er habe sich sein Lebenswerk nicht einfach wegnehmen lassen wollen.

Die Nazis indes geben nicht auf, sie wollen sich den Besitz der jüdischen Familie mit allen Mitteln einverleiben, das Central-Hotel soll die Brückenauer Parteizentrale werden. Nach einem Jahr in Dachau werden Vater und Sohn im September 1938 ins KZ Buchenwald verlegt. Spätestens jetzt geht es ums blanke Überleben. Mit der Zusicherung, dass die Familie Deutschland verlassen kann, stimmen Auguste und Julius Schuster schließlich dem "Verkauf" ihres Besitzes zu.
Am 16. Dezember 1938 werden Julius und David Schuster aus dem KZ entlassen, am 20. Dezember meldet ein Grenzbeamter aus Klagenfurt der Gestapo in Würzburg, die Familie habe das Reichsgebiet verlassen. Es wird 18 Jahre dauern, bis die Schusters nach Unterfranken zurückkehren.
Die Doku "Der Fall Schuster. Eine Familie im Fadenkreuz der Gestapo" läuft an diesem Mittwoch, 21. Juni, um 22 Uhr im Bayerischen Fernsehen. Der Film ist auch über die ARD-Mediathek abrufbar.
Auch Josef Schuster handelt im Sinne seines Vaters.
Wir dürfen niemals vergessen, was damals war. Demokratie, Freiheit und Respekt untereinander wird uns nicht geschenkt.
Deshalb keinen Millimeter denen, die Rassismus predigen, keinen Respekt vor bestimmten Menschen zeigen! Ob Juden, Afrikaner, Asiaten, Deutsche etc.: alle Menschen haben Respekt verdient!
Das, was damals der Familie Schuster passiert ist, darf NIEMALS mehr passieren!
Es ist leider keine abgeschlossene Vergangenheit, die uns im Schicksal der Schusters und Millionen jüdischer Mitbürger begegnet, sondern auch ein Beispiel von Mut, tiefen religiösen Glaubens und Zuversicht, das uns hier begegnet und in die Zukunft weist. Eine formelle Entschuldigung reicht dazu nicht aus. Vielmehr sind wir alle verpflichtet, wachsam zu bleiben in der aufrechten Verteidigung unserer mühsam erreichten freiheitlichen Demokatie. Sind doch deren Verächter politisch längst wieder aktiv bis hinein in unsere Parlamente. Drei Generationen Schusters sind beispielgebende Leuchttürme unserer Zivilgesellschaft.