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Würzburg
"Das, was nach dem Alltag kommt": 9 Menschen aus Unterfranken erzählen über ihre Liebe zur Phantastik
Künstler, Träumer, Freaks, Koryphäen: In Hermkes Romanboutique in Würzburg treffen sich Leute, die es phantastisch mögen. Und von der Welt des Übernatürlichen erzählen.
Sie lieben das Phantastische: (oben v. li.) Raol Imling, Klaus Bollhöfener, Angelina Gabriel, Christian Endres, (unten) Horst Illmer, Volkan Baga, Christian Krank, Bernhard Sterner und Gerd Eibach.
Foto: Thomas Obermeier, Patty Varasano, Anand Anders, Christian Endres | Sie lieben das Phantastische: (oben v. li.) Raol Imling, Klaus Bollhöfener, Angelina Gabriel, Christian Endres, (unten) Horst Illmer, Volkan Baga, Christian Krank, Bernhard Sterner und Gerd Eibach.
Simon Hörnig
 |  aktualisiert: 13.06.2024 02:43 Uhr

"Gott, ist es hier kuschelig", freut sich die Kundin und versucht, sich durch die verwinkelten Räumlichkeiten von Hermkes Romanboutique ihren Weg zu den Schmökern zu bahnen. Kein leichtes Unterfangen, samstagvormittags herrscht Hochbetrieb dort, wo sich die unterfränkische Phantastik-Szene zwischen Comics und Büchern seit Jahrzehnten ihr Stelldichein gibt.

Inhaber Gerd Eibach kennt die Kundinnen und vor allem Kunden, die in den deckenhohen Regalen stöbern und sich in jedem freien Winkel des Ladens in Grüppchen über ihr Hobby austauschen, größtenteils auch persönlich. "So groß ist die Szene ja nicht", sagt er lächelnd. Als Sohn des Gründers der Romanboutique, Hermke Eibach, hat der 58-Jährige von Anfang an miterlebt, wie das kleine Ladenlokal in der Würzburger Valentin-Becker-Straße zu dem wurde, was es heute ist: Anlaufstelle und Zufluchtsort für Comic-, Phantastik- und Rollenspielfans weit über Unterfranken hinaus.

Gerd Eibach und Bernhard Sterner sind mit ihrer Romanboutique Mittelpunkt der Szene

Bernhard Sterner (links) und Gerd Eibach betreiben seit 1996 Hermkes Romanboutique in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Bernhard Sterner (links) und Gerd Eibach betreiben seit 1996 Hermkes Romanboutique in Würzburg.

Der gelernte Buchhändler Gerd Eibach übernahm 1996 mit seinem Freund Bernhard Sterner das Geschäft. Als der Laden 1981 eröffnete, fachte das seine große Liebe weiter an, erzählt Sterner: "Wir leben, seit der Hermkes aufgemacht hat, sehr, sehr eng mit der Phantastik", erzählt der 57-jährige studierte BWLer. "Wir sind dabei immer Fanboy geblieben", sagt Eibach, "weil du sowas nicht authentisch darstellen kannst, wenn dich das nicht interessieren würde."

Eibachs Augen leuchten, wenn er von den Kindern erzählt, die bei ihm ihre ersten Mangas kaufen. In seiner Kindheit und Jugend seien Comics und alles, was damit zusammenhing, noch verschrien gewesen. Er selbst will der Jugend heute ein positives Verhältnis zum Genre vermitteln.

Genauso geht es Bernhard Sterner. Am Vortag erst, erzählt er, habe ein Zwölfjähriger beim Verlassen der Romanboutique zu seinem Kumpel gesagt: "Danke, dass du mir diesen geilen Laden gezeigt hast, ich habe nicht gewusst, dass es das alles gibt." Fast gerührt fügt der Laden-Chef an: "Total schön, dafür mache ich das."

Horst Illmer liest 300 Bücher im Jahr und lebt für Science-Fiction-Literatur

Horst Illmer liest und sammelt nicht nur Bücher. Er steht seinen Freunden aus der Phantastik-Szene auch gerne als wandelndes Lexikon zur Seite.
Foto: Thomas Obermeier | Horst Illmer liest und sammelt nicht nur Bücher. Er steht seinen Freunden aus der Phantastik-Szene auch gerne als wandelndes Lexikon zur Seite.

Vor allem aber ist die Romanboutique Anlaufstelle für alte Hasen und treues Stammpublikum. Wie den Reichenberger Horst Illmer: "Ich lese, schreibe und sammle Science-Fiction. Ich könnte auch statt lese lebe sagen", sagt der 65-Jährige zu seiner Passion. "Für mich ist das einfach der Hauptbezugspunkt meines Lebens, seit ich 15, 16 bin. Und da hat sich seither nichts groß geändert."

"Für mich ist das einfach der Hauptbezugspunkt meines Lebens."
Science-Fiction-Enthusiast Horst Illmer

Eine Hingabe, die selbst für erklärte Lesefans schwer vorstellbar ist. 300 Bücher pro Jahr schaffe er, also etwa eines am Tag, sagt der Rentner. Aufbewahrt hat Illmer sie alle fein säuberlich sortiert in Regalen, die nahezu alle Wände seines Doppelhauses füllen. Als sei es eine Filiale der Romanboutique.  Etwa 20.000 Bände umfasst seine Sammlung mittlerweile.

Eine Menge, die auch dem sechsfachen Familienvater, der bis 2020 als Fernmeldehandwerker gearbeitet hat, nicht immer ganz geheuer ist: "Manchmal überlege ich mir auch, ob's nicht sinnvoller wäre, einfach die 100 wichtigsten Bücher in ein Regal zu packen und alles andere wegzugeben, aber es hängt mein Herz an jedem einzelnen dieser Bücher."

Klaus Bollhöfener stellt in der Zeitschrift "phantastisch!" die Menschen hinter den Geschichten vor

Der 'phantastisch!'-Chef Klaus Bollenhöfer in Hermkes Romanboutique, seinem 'zweiten Wohnzimmer', wo er sich regelmäßig mit Menschen aus der Phantastik-Szene trifft.
Foto: Thomas Obermeier | Der "phantastisch!"-Chef Klaus Bollenhöfer in Hermkes Romanboutique, seinem "zweiten Wohnzimmer", wo er sich regelmäßig mit Menschen aus der Phantastik-Szene trifft.

Vor der Tür von Hermkes leistet Klaus Bollhöfener an diesem Vormittag rauchend der überlebensgroßen Spiderman-Figur Gesellschaft. Auch für ihn ist der Laden "ein zweites Wohnzimmer". Inhaber Eibach formuliert es mit einem Augenzwinkern: "Der wohnt praktisch hier."

Für ihn sei der Austausch in der Romanboutique, auf Messen und Conventions das Lebenselixier, sagt Bollhöfener, der bis 2021 das Marketing zu Romanreihe Perry Rhodan mitbetreut hat. "Wir kennen uns alle, das geht über Würzburg weit hinaus", sagt der 66-jährige Kitzinger. "Einfach schön, weil da über viele Jahrzehnte Freundschaften gewachsen sind."

Sein Faible fürs Netzwerken und für phantastischen Literatur hat der gelernte Schriftsetzer vor gut 20 Jahren mit der Gründung einer eigenen Zeitschrift verbunden. In der "phantastisch!" gehe es nicht nur um Literatur, sondern auch um Menschliches und Soziales, sagt Bollhöfener. "Weil mich schon immer interessiert hat: Wie ticken die Menschen hinter der Kunst?"

Autor Christian Endres kam von Disneys Gummibärenbande zum eigenen Fantasyroman

Christian Endres mit dem ersten Band seiner 'Prinzessinnen'-Serie. Im vergangenen Herbst ist der Nachfolger 'Helden und andere Dämonen' erschienen.
Foto: Christian Endres | Christian Endres mit dem ersten Band seiner "Prinzessinnen"-Serie. Im vergangenen Herbst ist der Nachfolger "Helden und andere Dämonen" erschienen.

Menschen, wie der Würzburger Autor Christian Endres. Der lernte Zeitschriften-Macher Bollhöfener 2008 in der Romanboutique kennen und zählt mittlerweile zum festen Autorenstamm der "phantastisch!". Auch sonst ist der 37-Jährige als Panini-Comic-Editor, Journalist und vor allem als freier Autor von Kurzgeschichten und Romanen in Sachen Phantastik äußerst umtriebig.

"Die Phantastik hat ohne viel eigenes Zutun zu mir gefunden", beschreibt es Endres. "Wenn du als Kind die ersten Märchen hörst und die ersten Zeichentrickserien siehst, dann hast du noch gar nicht auf dem Schirm, was das ist." Ihm selbst sei das klar geworden, als er mit neun oder zehn Jahren Tolkien las: "Irgendwo in einem Vorwort stand: Das ist Fantasy. Plötzlich konnte ich zuordnen: Masters of the Universe, Disneys Gummibärenbande, die Schlümpfe, die Magic-Sammelkarten – das war ja alles schon Fantasy!"

In der Romanabteilung von Hermkes finden sich nun prominent und signiert seine eigenen Bücher, aktuell "Die Prinzessinnen: Fünf gegen die Finsternis" samt Fortsetzung. Dazu kommt ein gratis ausliegendes Sonderheft: eine liebevolle Hommage an die Romanboutique, in der Endres' Romanheldinnen den "Wörzburger" Laden "Hermkes besondere Bücher, Zauberfibeln und Bestiarien" besuchen.

Raol Imling erlebt beim Live Action Roleplay phantastische Welten am eigenen Leib

Volle Konzentration bei der Verwandlung in seinen Charakter Sheik Walid ibn Mustafa at-Dimali al Rashid: der Kitzinger Raol Imling. 
Foto: Patty Varasano | Volle Konzentration bei der Verwandlung in seinen Charakter Sheik Walid ibn Mustafa at-Dimali al Rashid: der Kitzinger Raol Imling. 

Raol Imlings Interessensgebiet findet sich in der Romanboutique in der Ecke gegenüber. Hier, am Ende des langen Hauptganges, kurz vor dem kleinen Büro, steht das Rollenspielregal: "Hier bin ich eigentlich immer anzutreffen, wenn ich den Laden besuche", erklärt der Kitzinger und lacht. "Während meines Studiums konnte ich mir das Zeug nicht so leisten, aber seit ich berufstätig bin, gönne ich mir ab und an ein schönes Werk."

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Die Regel- und Storybücher liefern dem 38-jährigen Softwareentwickler neben Filmen, Romanen und Videospielen Inspiration für sein Hobby: Live Action Roleplay, kurz LARP. Eine besondere Form des Rollenspiels, bei der die Teilnehmenden fiktive und oft aufwändig kostümierte Charaktere in einer Art Improvisationstheater selbst darstellen.

Dass sich die Handlung dabei meist in einem übernatürlichen Rahmen bewegt, erklärt sich für Imling, der seit seiner Schulzeit in Bad Kissingen leidenschaftlich gerne Theater spielt und selbst schon Stücke inszeniert hat, von selbst: "Niemand will den Finanzamt-Simulator spielen. Die Leute wollen abschalten. Genau deswegen einigt man sich auf eine phantastische Welt, die weit weg ist von dem Alltag aller Anwesenden."

Illustrator Volkan Baga will mit seiner Kunst Menschen zum Fantasieren anregen

Volkan Baga lebt und malt in Würzburg – umgeben von vielen seiner Werke.
Foto: Thomas Obermeier | Volkan Baga lebt und malt in Würzburg – umgeben von vielen seiner Werke.

Eine Welt, wie sie auch Volkan Baga schafft – aus Öl und Grafit. Der Würzburger hat sich schon während seines Studiums an der Fachhochschule auf phantastische Illustrationen spezialisiert und ist mit seinen Gemälden mittlerweile eine feste Größe im Kosmos des weltweit erfolgreichen Fantasy-Kartenspiels "Magic: The Gathering".

"Die Phantastik ist für mich eine Welt ohne Grenzen – das, was nach dem Alltag kommt", sagt der 46-jährige Illustrator. Und die lernte auch er als Teenager durch stundenlange Besuche in der Romanboutique kennen. Heute bedeutet Phantastik für ihn: absolute Ausdrucksfreiheit.

Seine Kunst versteht Volkan Baga als ein Werkzeug, um die Menschen wieder mehr zum Fantasieren zu animieren. Eine Fähigkeit, so hat er den Eindruck, die mit zunehmendem Alter mehr und mehr verloren gehe. Kinder, das weiß der Vater eines Dreijährigen aus eigener Anschauung: "Die machen das intuitiv, die spielen, die haben imaginäre Freunde, die haben Welten, die sie sich einfach so erschaffen. Dieses freie Denken, dieses freie Fantasieren von Kindern, das wünsche ich mir für die Erwachsenen genauso."

Comic-Künstler Christian Krank schafft phantastische Alptraumwelten

Comickünstler Christian Krank an seinem Arbeitsplatz in Höchberg (Lkr. Würzburg). Sein jüngstes Projekt: das Artwork für das neue Album seiner Doom-Metal-Band 'Phantom Winter'.
Foto: Thomas Obermeier | Comickünstler Christian Krank an seinem Arbeitsplatz in Höchberg (Lkr. Würzburg). Sein jüngstes Projekt: das Artwork für das neue Album seiner Doom-Metal-Band "Phantom Winter".

Den Höchberger Comic-Künstler und Musiker Christian Krank treibt die düstere Seite der Phantastik um. Mit scharfen Linien und starken Kontrasten inszeniert der 48-Jährige am Computer Horrorwelten voller Teufel, Dämonen, Brutalität und Tod. Auch die taffe Galionsfigur der Romanboutique hat er geschaffen: Die kleine Kriegerin aus Kranks postapokalyptischer Comic-Serie "Tales of Dead Earth" ziert Visitenkarten, Pullover, die Homepage und den Aufsteller vor der Ladentüre.

Seine extremen Darstellungsformen beschreibt Krank als mentalen Ausgleich: "Für schöne Landschaftsbilder hätte ich gar keine Motivation. Warum soll ich das machen? Das ist da draußen." Er sieht sich als positiven Menschen, der sich selbst schmunzelnd analysiert: "Beim Illustrieren kann ich meine dunkle Seite ausleben. Dadurch bin ich im normalen Leben vielleicht normal."

"Ich mag dieses Normale einfach nicht."
Christian Krank, Comic-Künstler aus Höchberg

Phantastik als Ventil und gleichzeitig Lebensart – für den Familienvater, der als Heilerziehungspfleger am Blindeninstitut eine Wohngruppe von mehrfach behinderten Menschen betreut, gehen das Nerdige und Absonderliche gut zusammen: "Die Szene, das sind schon auch viele skurrile Menschen. Ich bin selber ein Freak auf den ersten Blick", meint der Höchberger mit Blick auf seine auffälligen Tattoos und die stets schwarze Kleidung.

Im Comicladen könne man das auch sehen: "Was da für Leute sind, die sind wirklich sehr speziell. Aber das liebe ich, ich mag dieses Normale einfach nicht."

Nachwuchsautorin Angelina Gabriel sucht Zuflucht in ihren phantastischen Geschichten

Angelina Gabriel aus Bad Neustadt hat mit 'Dairi. Das Erwachen' im vergangenen Jahr ihren ersten Roman veröffentlicht. Band zwei soll in diesem Februar erscheinen.
Foto: Anand Anders | Angelina Gabriel aus Bad Neustadt hat mit "Dairi. Das Erwachen" im vergangenen Jahr ihren ersten Roman veröffentlicht. Band zwei soll in diesem Februar erscheinen.

Auch Angelina Gabriel sucht und findet Ausgleich im Phantastischen – bevorzugt jedoch Welten voller Magie und Schönheit. Die 17-jährige Abiturientin aus Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) hat im vergangenen Jahr ihren ersten, 532 Seiten dicken Roman "Dairi" via Books on Demand veröffentlicht. Ein Herzensprojekt, sagt sie.

Dass die Geschichte über drei Jugendliche, die gegen eine 1000 Jahre alten Prophezeiung ankämpfen, in einem japanisch-mythologischem Fantasy-Setting handelt, wundert Besucher ihres Dachzimmers nicht: Die Wände um ihren Schreibtisch herum sind über und über mit Postern und Ausschnitten ihrer liebsten Manga-Charaktere beklebt. Angelina Gabriels größter Wunsch nach dem Abitur: ein halbes Jahr nach Japan.

"Für mich ist die Phantastik ein Fluchtweg, der harten Realität manchmal zu entkommen."
Angelina Gabriel, Jungautorin aus Bad Neustadt

Bis dahin bereist die 17-Jährige die Welt der Phantastik. "Für mich ist sie ein Fluchtweg, der harten Realität wie dem Abiturstress manchmal zu entkommen." In diesem Februar erscheint die Fortsetzung von "Dairi". Und, sagt die Schülerin: "Auch Band drei ist jetzt abgeschlossen und die Arbeit am voraussichtlichen Finale der Reihe gestartet." 

Könnte sein, dass Bücher von Angelina Gabriel irgendwann auch in der Würzburger Romanboutique im Regal stehen.

 
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