
Mit einem herzlichen Lächeln bittet Volkan Baga herein. Die Dreizimmerwohnung im Mehrfamilienhaus, in der er mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn lebt, sieht aus wie eine Galerie: Hohe Decken, hellgraue Böden – alles lenkt den Blick auf die Ölgemälde an den weißen Wänden. Fast alles sind Bagas eigene Werke: Darstellungen von Menschen in fantastischen oder mythologischen Konstellationen.
In Bagas Arbeitszimmer – dem Durchgangsraum hin zum Wohnzimmer – geht die Galerie weiter. Das neueste Exponat zur Linken des wuchtigen Zeichenpults ist ein Porträt der prächtig gerüsteten Kriegerin Elspeth Tirel. Eine Figur aus dem Universum des mit über 50 Millionen Fans weltweit bedeutendsten Sammelkartenspiels "Magic: The Gathering". Bagas Bild zeigt sie nach ihrer Rückkehr aus der Unterwelt, in die sie ihr Tod in der Hintergrundgeschichte des Spiels einst verschlug.

Die Artist Series: Das Privileg eines eigenen Magic-Sets
"Das hat mir das Herz gebrochen", sagt der 45-jährige Illustrator mit Wehmut in der Stimme. Er war der Schöpfer von Elspeth, er hatte ihr vor 15 Jahren ihre ursprüngliche Gestalt verliehen. Umso mehr freute es den Würzburger, dass er sie in seinem neuen Gemälde wieder zum Leben erwecken durfte.
Das Porträt der Kriegerin nämlich ist das Herzstück von Bagas jüngstem Projekt: Im Auftrag von Magic-Herausgeber "Wizards of the Coast" konnte er sein eigenes kleines Kartenset gestalten. Ein Privileg, das bislang nur zehn der beinahe 500 internationalen Künstlerinnen und Künstlern zuteilwurde, die in der 29-jährigen Geschichte des Spiels die über 20.000 verschiedenen Karten bebilderten. Der Stolz darüber ist dem Würzburger trotz seiner bescheidenen Art anzumerken: "Das ist ein unglaublich gutes Gefühl, ein Wahnsinns-Feedback nach all den Jahren."
Der düstere "Stomgald Crusader" war vor 17 Jahren seine erste Illustration für das Spiel, über 200 weitere bis heute sollten folgen. Dass er mit Elspeth für sein Set nun eine Karte erstmals von Neuem illustrierte, war für ihn alternativlos: "Ich musste sie wählen", sagt er lachend. "Ich musste meine Elspeth wählen, weil ich sie wieder zum Leben erwecken wollte."

Von der Berufung zum Beruf: Der Weg zum Illustrator
Wie es zu seinem Leben als Illustrator kam? Gegen seine Berufswahl, sagt Volkan Baga, habe besonders sein Vater Einwände gehabt: "Junge, mach was Gescheites. Werde lieber Arzt und mache das Künstlerzeug dann als Hobby. Aber scheinbar hat sich meine Mutter durchgesetzt." Die habe die Kinder von klein auf mit Papier, Zeichenmaterial und Farben versorgt. "Ich erinnere mich auch noch an Schablonen mit Ellipsen und Kreisen", sagt der Würzburger. "Dadurch sind meine ersten Fantasy-Sachen entstanden. Ich habe damit immer Roboter gezeichnet."
Der Weg in die Kunst war damit: vorgezeichnet. Auch ihre Vorliebe für "Conan"-Comics habe ihm seine Mutter weitergegeben, sagt der 45-Jährige. Als Teenager habe er stundenlang die fantastischen Bilderwelten in Hermkes Romanboutique studiert. Der Comic- und Spieleladen in der Valentin-Becker-Straße gilt noch heute als erste Anlaufstelle für Liebhaberinnen und Liebhaber des Fantastischen.
Dass fantastische Kunst geringgeschätzt oder als trivial bezeichnet wird - Baga kann das nicht nachvollziehen. "Über irdische Limits hinaus etwas zu kreieren, das ist ja fast schon ein archaischer Instinkt: zu fantasieren, einfach mal auszubrechen." Man unterschätze das. "Die Fähigkeit zu fantasieren, die ja vor allem Kinder haben, empfinde ich als etwas ganz Wertvolles."
Gegen alle Widerstände entschied sich Baga für ein Studium der Illustration. Von der Fachhochschule in Hamburg erhielt er eine Absage. Auch für Plan B, Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration an der Würzburger FH, brauchte es zwei Anläufe. Doch einmal im Studium, festigte sich für Baga schnell das Ziel: eine Karriere als Fantasy-Illustrator.
In Workshops auf Kunst- und Comicmessen hatte Baga das Genre aus unterschiedlichen Perspektiven kennengelernt. Und, sagt er, sein Professor für Illustration habe ihm den nötigen kreativen Freiraum für den Selbstreifeprozess gelassen. Begriffen habe er die Bedeutung erst später: "Damals fand ich das nicht so gut, weil ich das Bedürfnis hatte nach mehr Richtung und mehr Handfestem." Aber dass Nicolai Sarafov alle Freiheiten ließ und selbst mehr Künstler als Designer oder Illustrator sei - "das war glaube ich für mich, für meine Entwicklung genau das Richtige".
Als großer Fan der Arbeiten von Syd Mead zu Filmen wie "Blade Runner" und "Tron" bewarb sich der Würzburger noch im Studium um eine Assistenzstelle bei dem US-Designer. Mead lehnte ab, bot dem Nachwuchskünstler jedoch Hilfe auf digitalem Weg an. Eine fruchtbare Verbindung bis zu Meads Tod 2019, sagt Baga. Noch heute schlage sie sich in seinem Hang zu detaillierten Vorzeichnungen nieder.

Den Wunsch nach einer Atelier-Assistenz erfüllte schließlich ein nicht weniger bekannter amerikanischer Fantasy-Künstler: Donato Giancola. "Bei ihm habe ich brutal viel gelernt. Sowohl malerisch, als auch wie ein professioneller Künstler lebt und arbeitet."
Was als ein unterstützendes "Dem Künstler über die Schulter Schauen" gedacht war, erwies sich für Baga als intensive zweimonatige Fortbildung. Noch heute sprechen beide in tiefer Wertschätzung voneinander. Giancolas Illustration der Magic-Karte "Patron Wizard" diente 2005 als Referenz für eines von Bagas ersten Ölgemälden. Diesen Charakter wählte der Illustrator deshalb auch für seine "Artist Series". Seiner Neuinterpretation verlieh er als Hommage die Züge seines Mentors - und schenkte ihm schließlich das fertige Gemälde.

Eine Geste, für die sich Giancola mit dem wandfüllenden Gemälde "The Nameless Day" revanchierte – der Vorlage zu dem Buchcover des gleichnamigen Romans von Sarah Douglass, das in der Würzburger Wohnung nun zur Rechten von Bagas Zeichenpult hängt. In das Bild hatte er sich bei seinen regelmäßigen Besuchen bei Giancola verliebt, sagt Baga.
Lieber Wohlfühlen in Würzburg statt schnelle Karriere in den USA
Der Möglichkeit, längerfristig in die USA zu gehen und im Epizentrum der internationalen Fantasy-Kunst seine Karriere schneller voranzutreiben, gab Baga seinem persönlichen Wohlempfinden Vorrang. "Die Priorität war einfach: Wo fühle ich mich wohler. Und das ist hier in der Nähe meiner Familie in meiner Heimatstadt Würzburg." Sein erfolgreiches Engagement für Magic sowie die Tätigkeit als Illustrator von Brettspielen wie "Die Siedler von Catan" und Fantasy-Romanen gibt ihm recht. "Ich bereue die Entscheidung gar nicht", sagt Baga.
Erst recht nicht nach der Geburt seines Sohnes. Volkan Baga freut sich sichtlich an der Vorstellung, dass dieser ihm bald auf dem eigens dafür angeschafften Schaukelstuhl bei der Arbeit zusehen wird. "Das ist natürlich ein super Privileg in meinen Beruf, dass ich hier zu Hause arbeiten und den Kleinen so viel miterleben kann. Das sehe ich als großes Glück."