Für viele Kinder und Jugendliche mit Behinderung, chronischer Erkrankung oder aus sozialen Brennpunkten und ihre Familien ergeben sich durch die Corona-Pandemie besondere Herausforderungen. "Sie sind ein Stück weit vergessen worden", brachte es Wolfgang Trosbach bei einer Veranstaltung des Fördervereins Sozialpädiatrie Würzburg im Burkardushaus auf den Punkt.
Vielen Menschen sei nicht bewusst, dass Erwachsene mit Trisomie 21 ein vielfach erhöhtes Risiko haben, schwer oder gar tödlich an Covid-19 zu erkranken. "Das Risiko eines schweren Verlaufs liegt hier genauso hoch wie bei einer 80-jährigen Person", erläuterte Trosbach, der als zweiter Vorsitzender des Fördervereins und Angehörigenvertreter mit auf dem Podium zum Thema: "Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen in der Corona-Pandemie" saß. Diese sehr hohe Sterblichkeit bei Erwachsenen mit Trisomie 21 führte zu großen Sorgen bei Familien von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom, wie sich in dieser Altersgruppe eine Corona-Infektion auswirkt.
Mit dabei waren Experten aus den Bereichen Medizin, Schule und Förderstellen, die Empfehlungen zu Impfung und Testung gaben, psychosoziale Auswirkungen beleuchteten und Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige vorstellten. Etwa 50 interessierte Teilnehmer, meist aus dem sozialen und schulischen Bereich sowie aus betroffenen Familien, nahmen vor Ort oder digital an der Veranstaltung teil und hatten die Möglichkeit Fragen zu stellen. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Christof Grütz.
Ängste vor einer Ansteckung waren groß
Die Ängste vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus hätten betroffene Familien in den vergangenen Monaten oft in die Einsamkeit und Isolation getrieben, erklärte Trosbach. Zudem seien Betreuungsmöglichkeiten oft weggefallen und eine Teilhabe an Bildung und Kontakten über digitale Medien sei für behinderte Menschen und auch Familien mit Migrationshintergrund durch sprachliche Barrieren nicht so einfach möglich gewesen. Vermehrte Ticks, Aufbegehren und Rückzug der Kinder sind die Folgen.
Dies bestätigte Dr. Thomas Jans, leitender Psychologe der Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie, und wies auf das "deutlich veränderte Leben in Coronazeiten" hin. Es müsse je nach Auswirkung individuelle Hilfemaßnahmen für die Familien geben. Die Direktorin des "Förderzentrums für körperliche und motorische Entwicklung" am Heuchelhof, Karin Baumgärtner, berichtete, dass viele Eltern Interesse an einer Impfung ihrer Kinder zeigten. Vor allem bei den über 16-Jährigen.
"Bei den unter 16-Jährigen ist das noch etwas verhaltener, aber wir sind im stetem Austausch mit den Familien." Sie selbst empfindet die Impfung als einen "Akt der Solidarität". Je mehr Menschen, auch Jugendliche geimpft seien, umso größer sei auch die Chance, dass Schulen nicht mehr schließen müssten.
Perspektivwechsel ist gefragt
Auch Verena Delle Donne, Diplom-Psychologin und Leiterin des Psychotherapeutischen Beratungsdienstes im Sozialdienst kath. Frauen (SkF), erzählte von vielen Anfragen der Eltern. Sie wünsche sich, dass in der Gesellschaft immer mal wieder versucht wird, die Perspektive zu wechseln, dann könne man Spaltungen verhindern. "Wir müssen genau hinhören, was unsere besonderen Kinder brauchen, damit es ihnen gut geht."
Dass die Einkaufszentren öffneten, bevor die Kinder wieder in die Schule oder die Kita gehen durften, stößt bei ihr auf Unverständnis. Aufklärung und vielfältige Beratungsangebote seien wichtig, beispielsweise sollen mit Broschüren in allen Sprachen auch diejenigen erreicht werden, "die wir sonst aufgrund sprachlicher Barrieren abhängen würden".
Kinderärztin Christa Kitz aus Veitshöchheim sprach ein Lob an alle Kinder aus, die mehrheitlich mit der Pandemie wirklich toll umgingen, Verständnis aufbauten und sich an Regeln hielten. In Richtung der belasteten Familien sprach sie: "Nutzen Sie das Angebot unserer Krankenkassen eine Mutter-Kind-Kur oder Vater-Kind-Kur zu beantragen. Sie haben alle lange durchgehalten." Vorsicht solle man walten lassen in Richtung des Leistungsdrucks, der durch Präsenzunterricht und weitere Aktivitäten bei niedriger Inzidenz sofort aufgebaut werde.
Kitz impft in ihrer Praxis gegen Covid-19 und berät Eltern und Jugendliche. Dabei orientiert sie sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko). Anders als bei Erwachsenen empfiehlt diese nicht allen Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren die Impfung. Man müsse abwägen, denn die Datenlage, was die Nachbeobachtungszeit von geimpften Kindern angeht, sei noch nicht allzu hoch, so Kitz.
Welche Kinder sollten geimpft werden?
Professor Dr. Johannes Liese, Oberarzt an der der Kinderklinik der Universität Würzburg und Spezialist für pädiatrische Infektionen und Immunologie, erklärte den Zuhörern, die drei verschiedene Bereiche, für die eine Impfempfehlung ausgesprochen wird. Zum einen für Jugendliche, die selbst vorerkrankt sind und ein erhöhtes Risiko haben schwer an Corona zu erkranken, beispielsweise durch eine Lungen- oder Herzerkrankung, aber eben auch bei beeinträchtigten Kindern. Zum anderen für Jugendliche, die zuhause mit Menschen zusammenleben, die ein erhöhtes Risiko haben, zum Beispiel durch ihr höheres Alter oder eine Vorerkrankung.
Weiter wird die Impfung auch empfohlen, "wenn Jugendliche in Bereichen arbeiten, in denen sie der Gefahr durch das Virus in besonderer Weise ausgesetzt sind, wie etwa Praxishelfer oder in der Pflege", so Liese. Es gebe auch die Möglichkeit für individuelle Entscheidungen. Beispielsweise, wenn ein Kind sich eine Impfung wünscht, weil es sich danach sicherer fühlt, seine sozialen Kontakte wieder aufzunehmen.
Keine großen Sorgen sollten sich Eltern wegen der Impfreaktionen machen: Diese seien bei den Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen, im Einzelfall vielleicht etwas stärker, könnten kurzzeitig mit Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost oder dem Schmerz an der Einstichstelle einhergehen. Nach der zweiten Impfdosis, so der Mediziner, sei der Impfschutz bei Kindern sogar höher als bei den Erwachsenen und liege bei fast 100 Prozent. Natürlich sei es wichtig, die Impf-Studien im Blick zu haben, auch Abwägen hält der Oberarzt für absolut wichtig. Zu den Impfempfehlungen der Stiko sagte er: "Darauf kann man sich verlassen."
Kinder sind keine Treiber der Pandemie
Als erfreulich hebt Liese, der auch an der groß angelegten Corona-Studie in Würzburger Kinderbetreuungseinrichtungen "Wü-KiTa-CoV" federführend beteiligt war, hervor, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind. "Unsere Studien zeigen, dass sich Kinder seltener anstecken und wenn sie erkrankt sind, seltener übertragen." Nach einem Jahr der Pandemie gebe es in Deutschland 400 000 registrierte Infektionen bei Kindern, die mehrheitlich mit einer leichten Erkrankung einhergingen.
Regelmäßige Tests an Schulen und in Kitas sowie das Einhalten der Aha-Regeln hält Liese neben der Impfung weiterhin für wichtige Instrumente, damit die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen geöffnet bleiben. "Leider ist Corona nicht vorbei. Wir haben keine Herdenimmunität erreicht." Seiner Meinung nach werde in Zukunft mehr und mehr miteinbezogen, wie schwer die Menschen erkrankten, und ob eine Hospitalisierung erfolgt. Allein der Inzidenzwert könne nicht auf Dauer ausschlaggebend sein.
Spuck-Pool -Tests an Grund- und Förderschulen
Christoph Schwind, Schulleiter des Förderzentrums Christophorus-Schule, wies hoffnungsvoll auf einen Vorstoß des bayerischen Kultusministeriums hin, wonach Grund- und Förderschulen ab Herbst beispielsweise mit so genannten Spuck-Pool-Tests arbeiten sollen. Im Zuge von Pool-Tests werden ganze Klassen gemeinsam getestet. Die Proben werden anschließend ins Labor für eine PCR-Untersuchung gegeben. "Das ist eine sicherere Variante als die Antigen-Schnelltests", so Schwind.
Karin Baumgärtner fügte hinzu, dass Kinder, die sich nicht testen lassen wollten oder dürften, hinnehmen müssten, "dass sie dann zuhause bleiben". Nur gemeinsam könne man die Infektionsausbreitung verhindern und den Präsenzunterricht der Einrichtungen sichern.
Jedem Heilerziehungspfleger war die Gefahr für Menschen mit Behinderung, speziell bei Trisomie 21 sofort bewusst.
Dennoch gab es offenbar massive Probleme, die Priorisierung hiernach auszurichten. Stattdessen mussten Petitionen gestartet werden.
Woran liegt das?