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Würzburg
Queerer DJ floh aus seiner Heimat: "Ich bin der größte Fan von Russland, aber hasse die Regierung"
Sergei alias DJ Raum Tester legt bei der CSD-Eröffnungsveranstaltung "PRISM" in Würzburg auf. Im Interview spricht er über sein schweres Leben als Schwuler in Russland.
Sergei Eliseev alias 'DJ Raumtester' hat bis 2022 in Russland gewohnt und dort die queere Techno-Szene mitbegründet. Heute lebt er in Berlin und kommt am 23. Juni zum CSD ins Dornheim in Würzburg.
Foto: Slava Bolshakov | Sergei Eliseev alias "DJ Raumtester" hat bis 2022 in Russland gewohnt und dort die queere Techno-Szene mitbegründet. Heute lebt er in Berlin und kommt am 23. Juni zum CSD ins Dornheim in Würzburg.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 23.11.2024 02:30 Uhr

In seiner Heimat droht Sergei Eliseev das Gefängnis und eine harte Strafe für die Art, wie er lebt, wen er liebt und wie er sich kleidet. Aktuell wohnt er deshalb in Berlin, Russland hat er Anfang 2022 verlassen. In Deutschland unterstützt er nun die queere Community, die aktuell zum Pride Month (deutsch: Stolzer Monat) zusammenkommt, ihre Freiheit feiert, aber auch für die Sichtbarkeit und Stärkung von LGBTQIA+ Rechten (LGBTQIA+ ist die Bezeichnung für lesbische, schwule, bi, trans*, queere, intergeschlechtliche und asexuelle Menschen) auf der ganzen Welt kämpft.

Höhepunkt in jedem Jahr ist der Christopher Street Day (CSD), der in Würzburg am 23. Juni mit der Eröffnungsveranstaltung "PRISM" beginnt. Denny Garcia, im Dornheim zuständig für die Kuration, und das Team dahinter veranstalten das Event in dem Club und vernetzen mit der Partyreihe die internationale LGBTQIA+ Szene. Denn für den CSD-Auftakt hat Garcia den DJ mit dem Künstlernamen "Raum Tester" nach Würzburg geholt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen als Mitbegründer der queeren Techno-Szene in Russland:

Die russische Regierung vertritt eine Politik, die sich klar gegen queere Menschen richtet. Wie war es für dich, als Teil der LGBTQIA+ Gemeinde in Russland zu leben?

Sergei Eliseev: Als erstes möchte ich ganz deutlich sagen: Für mich sind die russische Kultur und die Regierung zwei verschiedene Dinge. Ich bin der größte Fan von Russland, aber ich hasse die russische Regierung. Was nur wenige wissen: Russland hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar die nachsichtigsten Gesetze bezüglich LGBTQIA+ Personen in ganz Europa. Homophobie ist also kein typisch russisches Ding, sondern der Bevölkerung von der Regierung anerzogen worden. Und wie stehe ich dazu? Ich bin traurig, dass mein Heimatland unter diesen feigen Politikern leidet. Für mich fühlt es sich auch immer noch sehr unangenehm an, dass ich meine eigene Identität so lang versteckt habe – wie ein ganz schlimmer Kater nach dem Feiern.

Hast du damals in Russland auch Hass und Anfeindungen aufgrund deiner Homosexualität erlebt?

Sergei Eliseev: Als Jugendlicher habe ich oft Anfeindungen erlebt. In dem Moment als mir bewusst wurde, dass ich schwul bin, war mir klar, dass ich nach meiner Schulzeit nach Moskau ziehen werde. Ich habe nie in diese Kleinstadt reingepasst, in der ich aufgewachsen bin. Ich wurde dort so oft missverstanden –und nicht nur das. Ich musste mir echt viel Mist anhören, weil ich mich "unangemessen" verhalten und gekleidet habe. Glücklicherweise bin ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung nie in eine lebensbedrohliche Situation gekommen. Als ich dann nach Moskau gezogen bin und angefangen habe, an der technischen Universität zu studieren, war ich endlich von intelligenten und fortschrittlichen Menschen umgeben, die sich nicht mehr für meine sexuelle Orientierung interessiert haben.

Heute lebt Sergei Eliseev offen homosexuell in seiner neuen Heimatstadt Berlin und tourt als DJ durch verschiedene deutsche Städte.
Foto: Sergei Eliseev | Heute lebt Sergei Eliseev offen homosexuell in seiner neuen Heimatstadt Berlin und tourt als DJ durch verschiedene deutsche Städte.
In Moskau hast du dann im Untergrund queere Techno-Partys veranstaltet – immer versteckt vor der Regierung. Warum war es dir so wichtig, sichere Räume für queere Menschen zu schaffen, in denen diese sie selbst sein können?

Sergei Eliseev: Weil ich denke, dass es unwahrscheinlich wichtig ist, die Menschen in Russland daran zu erinnern, dass sie das Recht haben zu sein, wer oder was sie möchten. Ich glaube, dass diese queeren Safe-Spaces (deutsch: Schutzräume) sie auch Schritt für Schritt dazu ermutigen, sich selbst genauso zu zeigen, wie sie sind und sicher sein können, dass sie genauso perfekt sind.

Ist das nicht auch sehr gefährlich, queere Partys in einem Land zu veranstalten, dessen Gesetze sich klar gegen LGBTQIA+ Personen richten?

Sergei Eliseev: Ja, ich habe anfangs nur in Moskau aufgelegt. Großstädte sind immer ein bisschen offener als der Rest vom Land. Aber als mein Bekanntheitsgrad wuchs, bin ich auch in andere Städte gereist und habe dort Partys veranstaltet. Einmal habe ich in Rostow am Don aufgelegt und ich weiß noch, wie glücklich ich darüber war, dass so viele queere Menschen gekommen sind. Aber kurz vor meinem Auftritt stürmte die Polizei plötzlich die Veranstaltung. Sie sind unvorstellbar brutal gewesen, haben die Gäste auf den Boden gedrückt und durchsucht. Besonders brutal sind sie mit den Männern in femininer Kleidung und den hübsch gemachten Personen umgegangen. Die wurden geschlagen und als Schwuchteln beschimpft. Ich konnte nur dastehen und zusehen. Ich habe die Angst in ihren Augen gesehen und wie sie geweint haben. Die, die zehn Minuten vorher noch so glücklich auf der Tanzfläche standen und gestrahlt haben. Das tat mir unglaublich weh und mir wurde in dem Moment klar, dass dies das echte Russland ist. Ein Land, was in Bezug auf Bürgerrechte und Freiheit noch viel Arbeit vor sich hat.

Würdest du sagen, dass es allein die Regierung ist, die queerfeindlich eingestellt ist, oder auch die Bevölkerung selbst?

Sergei Eliseev: Ich glaube, dass der russische Staat die Bevölkerung indoktriniert. Sie können sich dem manchmal nicht widersetzen und übernehmen die absurden Ideen und Gesetze. Aber das Level an Absurdität dieser Vorschriften nimmt jedes Jahr zu und genau deshalb wird leider auch das Denken der meisten Russinnen und Russen immer absurder.

Es gibt zum Beispiel das Gesetz, welches es verbietet sich öffentlich positiv über LGBTQIA+ Personen zu äußern. Ist das auch ein Grund, warum du aus Russland geflohen bist?

Sergei Eliseev: Als das Gesetz Anfang 2023 in Kraft getreten ist, war ich schon nicht mehr in Russland. Ich habe die Geduld mit dem russischen Staat verloren, als dieser am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist. Ich bin absolut gegen diesen Krieg.

Jetzt lebst du in Deutschland und kannst offen mit deiner Sexualität umgehen. Was bedeutet es für dich frei in Berlin leben und Musik machen zu können?

Sergei Eliseev: Das bedeutet mir einfach alles. Wenn ich es beschreiben müsste, würde ich sagen, dass ich mein Leben in einen Film verwandelt habe, zu dem ich das Drehbuch schreibe. Als hätte ich alles, was ich in der Theorie schon wusste, endlich in die Tat umgesetzt. Ich weiß endlich, was es bedeutet, in einem Safe-Space zu leben. Ich kann mich kleiden und leben, wie ich es möchte und sicher sein, dass ich nicht ausgelacht, beschimpft oder dafür kritisiert werde.

Du legst am 23. Juni bei der PRISM-Party in Würzburg auf, dem Eröffnungsevent des diesjährigen CSD. Was bedeutet das für dich, bei diesem Event als DJ gebucht zu sein?

Sergei Eliseev: Ich fühle mich sehr geehrt, bei diesem Event dabei zu sein. Es zeigt mir, dass ich alles richtig mache und es gibt mir das schöne Gefühl, Teil einer globalen, sich unterstützenden Gemeinschaft zu sein. Deshalb möchte ich mich auch bei Denny Garcia bedanken für diese wunderbare Möglichkeit. Ich würde das so gern meinem Ich erzählen – dem damals 15-Jährigen Teenager, dem immer gesagt wurde, dass er sich viel zu schwul anzieht und Junkie-Musik hört. Ich würde ihm gern sagen: Hey, in ein paar Jahren wirst du dich selbst feiern, gemeinsam mit tausenden Menschen, die ganz ähnlich ticken wie du. Du wirst DJ auf dem wichtigsten LGBTQIA+ Event sein und dazu noch in Deutschland spielen. Für mich ist das einfach immer noch unvorstellbar.

Wo wir gerade von Träumen sprechen, die wahr werden. Angenommen in Russland würde sich alles ändern und die Rechte von queeren Menschen gestärkt werden. Würdest du dann in deine Heimat zurückkehren?

Sergei Eliseev: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Ich bin gerade sehr glücklich in Deutschland zu leben. Ich habe hier in Berlin meinen Partner und er ist meine Familie. Ich bin der Auffassung, dass mein Zuhause dort ist, wo ich bin. Hier in Deutschland bin ich glücklich und dankbar für die Freiheit, aber auch darüber, dass ich jeden Tag neue Dinge über mich selbst lernen kann. Ich vermisse meinen Vater, meine Schwestern und meine Freunde in Russland sehr und ich würde sie am liebsten ganz fest umarmen. Aber im Moment, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich wieder in Russland lebe. Trotzdem wünsche ich meinem Land das Beste für die Zukunft.

 
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  • Mementomori
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  • teddy1965
    Ich finde es gut und wichtig einen Unterschied zwischen der Regierung und dem Land bzw. der Menschen zu machen. Viele Menschen verstecken und verstellen sich aus Angst vor den Konsequenzen wenn sie frei ihre Meinung sagen und wie man immer wieder ließt zu recht. Es ist schön das es ihm hier gefällt und er keine Angst mehr haben muß wenn er sagt das er schwul ist oder wie er sich kleidet. Ich wünsche ihm weiterhin alles gute für die Zukunft und das aus vielen Träumen Wirklichkeit wird.
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  • k.a.braun@web.de
    Ich wünsche diesem mutigen jungen Mann alles Gute! Was er über die zunehmende Indoktrination der russischen Bevölkerung sagte, ist wichtig zu wissen. In Deutschland war es ja zur hiesigen dunklen Epoche im vorigen Jahrhundert nicht anders. Freiheit muss immer wieder neu errungen und gepflegt werden.
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  • martin-dobat@t-online.de
    Lieber Sergei, Hass zerstört immer auch das eigene Leben und die Bibel sagt: Hochmut/Stolz kommt vor dem Fall. Bitte sind Sie vorsichtig!
    Lieber Gruß Martin Dobat
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  • post@schreibdasauf.info
    Eine Vermutung ist eine Vermutung ist eine Vermutung und keine Tatsache.

    Wenn der Mann die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen will, muss er Voraussetzungen erfüllen, unter anderem

    ein 8 Jahre Jahre währender dauerhafter und rechtmäßiger in Deutschland,

    ein unbefristetes oder auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht zum Zeitpunkt der Einbürgerung,

    die geklärte Identität und Staatsangehörigkeit,

    grundsätzlich die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit,

    mündliche und schriftliche deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B 1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen,

    der Nachweis über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (Einbürgerungstest)

    die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts für sich und die unterhaltsberechtigten Angehörigen
    Gewährleistung der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse,

    etc.
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  • Mainheini
    Es gibt halt doch einen Unterschied zwischen der Freiheit in einer Demokratie und einer Diktatur. Unverständlich ist aber, dass Menschen, die hier die Vorzüge dieser Freiheit genießen, sich dann doch für die Diktatur entscheiden und entsprechend wählen (siehe Wahl in der Türkei). Letztendlich ist Blut doch dicker als Wasser. Auch Eliseev ist laut Pass vermutlich noch Russe und hat keine westliche Staasbürgerschaft angenommen? Wann tut er dies?
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Sie vergleichen doch Äpfel mit Birnen! Die Türken die hier in Deutschland einen Herrn Erdogann gewählt haben sich doch nicht aus der Türkei geflüchtet! Es lässt sich eben in Deutschland schlicht mehr Geld verdienen. Einem Deutschen der in der Schweiz arbeitet kann man ja auch nicht vorwerfen, dass er mit Deutschland gebrochen hat.

    Herr Eliseev ist wg. seiner Lebensart geflüchtet und ich glaube kaum, dass er die Partei "Einiges Russland" wählen würde.

    Warum außerdem sollte man seine Staatsbürgerschaft ändern wollen nur weil man mit der momentanen Regierung gebrochen hat weil sie viele diktatorischen und totalitären Züge in sich trägt?
    Wenn man ihm das zum Vorwurf macht dann kann man sich auch fragen warum es überhaupt noch Menschen mit deutschem Pass gibt oder ob die Vorfahren etwa lupenreine Nazibefürworter gewesen sind!
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  • sebastian.weikert
    Absolut richtig, und davon abgesehen kann man erst nach 8 Jahren dauerhaftem Wohnsitz in DE und unter weiteren Voraussetzungen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Selbst wenn er also heute wollte könnte er es noch lange nicht, da er erst seit Anfang 2022 in DE lebt. Also totaler Nonsens diese Aussage.
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