Mit Bildern ist das so eine Sache. Sie zeigen nicht für jeden Betrachter das gleiche. Alles hängt von Standpunkt und Perspektive ab, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Oft ändern sich gesellschaftliche Vereinbarungen und damit auch Sehgewohnheiten bereits von Generation zu Generation, man denke nur an Werbefotos aus den 1970er Jahren, in denen die Frauen entweder sexy oder häuslich, die Männer immer aber souverän und erfolgreich sind. Niemand käme heute auf die Idee, weiter solche Rollenbilder zu propagieren. Zumindest nicht, will er nicht absichtlich einen Shitstorm provozieren, sondern kommerziell erfolgreich sein.
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Wenn Bilder ein paar Tausend Jahre alt sind und über deren Schöpfer so gut wie nichts bekannt ist, wird es noch schwieriger. Im Logo des Würzburger Africa Festivals sind seit 30 Jahren zwei schemenhafte Figuren abgebildet: ein Mann und eine Frau, sie scheinen von links nach rechts zu rennen, er möglicherweise hinter ihr her. Das Motiv war 1989 bereits auf dem allerersten Plakat des Festivals und ist längst das Signet der Veranstaltung geworden. Die meisten Besucher nehmen es dementsprechend wohl spontan als optisches Leitsignal wahr, werden es aber kaum einer näheren Betrachtung unterziehen.
Hin und wieder aber gibt es Fragen, manchmal auch Kritik. Dass die Figuren nackt seien, wird als abgedroschenes afrikanisches Klischee empfunden und damit als rassistisch, dass der Mann die Frau scheinbar verfolgt, als sexistisch. Addis Mulugeta etwa, geboren 1983 in Äthiopien, Journalist und Friedenspreisträger der Stadt Würzburg 2011, hat einmal gesagt, er halte das Logo für „eine Beleidigung für den gesamten Kontinent“.
Welche Rollenbilder der Schöpfer oder die Schöpferin der Zeichnung hatte, ist heute unmöglich festzustellen. Er oder sie lebte vor Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren. Das Motiv ist Teil eines riesigen Bilderbestands in der namibischen Wüste. Die 2500 Felsgravuren und Malereien von Twyfelfontein sind die größte Sammlung derartiger Abbildungen in Afrika, die ältesten sind möglicherweise bis zu 5000 Jahre alt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt, sind sie heute geschütztes Nationaldenkmal Namibias und stehen seit 2007 auf der Welterbeliste der Unesco.
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Dargestellt sind Giraffen, Antilopen, Zebras, Löwen und sogar eine Robbe
Dass sie überhaupt noch existieren, verdanken sie (und damit ihre Betrachter) einem chemischen Prozess: Durch die Einschnitte in den glatten Sandstein gelangte Eisenoxid an die Oberfläche, das mit Wetterereinflüssen reagierte. So entstand der sogenannte Wüstenlack, der der Kunstwerke konserviert hat.
Dargestellt sind Giraffen, Antilopen, Zebras, Löwen und sogar eine Robbe: Das Meer ist etwa 100 Kilometer von Twyfelfontein entfernt, offenbar sind die Felskünstler also auf ihren Jagdwanderungen ganz schön weit herumgekommen. Es sind auch Menschen abgebildet. So gibt es Szenen, die klatschende Frauen und tanzende Männer darstellen, Hinweis darauf, dass es Vorfahren der bis heute in der Region lebenden Angehörigen des Volkes der San waren, die sie schufen.
Denn die Szenerien könnten Darstellungen einer rituellen Handlung sein, die die San bis heute praktizieren, der Trancetanz: Die Frauen sitzen am Feuer und liefern mit Rhythmus und Gesang die Grundlage für einen Tanz, in dem sich die Männer in Trance versetzen. In diesem Zustand werden die Menschen schmerzunempfindlich. Außerdem können Älteste dann Erkrankte befragen und heilen. Beschrieben und erforscht hat die Kultur der San der österreichische Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt (1918-2018), mit dem sich auch der Psychologe Stefan Oschmann ausgetauscht hat.
Wie aber passt das Festival-Logo in diesen Kontext? "Das Bild zeigt tanzende Figuren", sagt Stefan Oschmann, "es steht für die Lebensfreude Afrikas, genau die wollen wir zeigen, und genau deshalb haben wir es gewählt." Oschmann, Gründer und bis heute Leiter des Festivals, hatte sich schon lange vorher mit Bildern Afrikas beschäftigt und war in einem Buch auf die Darstellung der Felsenmalerei gestoßen.
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Ganz sicher sind die Figuren übrigens nicht nackt, glaubt Oschmann, "die San leben heute im gleichen Stil wie vor Tausenden von Jahren, und sie gehen nie unbekleidet. Sie tragen immer Lendenschurz". Die San sind auch für ihre Perlenkunst bekannt: Trance-Erlebnisse werden zu Bändern aus hunderten kleiner, bunter Perlen verarbeitet und dann an der Kleidung oder als Stirnband getragen.
Fotoausstellung über verschwindende afrikanische Kulturen
Die San, auch Buschleute genannt, werden dieses Jahr nicht nur mit der seit dem ersten Africa Festival verwendeten Zeichnung ihrer Vorfahren präsent sein, sondern auch in der Fotoausstellung "Afrikanische Dämmerung", die noch bis 26. Juli im Foyer der Universität Würzburg am Sanderring zu sehen ist. Untertitel: "Verschwindende Rituale und Zeremonien". Die Fotografinnen Carol Beckwith und Angela Fisher haben Afrika 40 Jahre lang bereist und afrikanisches Leben und afrikanische Kultur dokumentiert und ihre Arbeit in unterschiedlichen Themenkreisen zusammengefasst.
Eines dieser Themen ist das Erlöschen traditioneller Kulturen, und einer der ältesten ist die der San. Die Buschleute sind die Ureinwohner des südlichen Afrikas, eine der ältesten Volksgruppen der Menschheit, Nomaden, Jäger und Sammler, friedfertig und nicht sehr wehrhaft, deshalb leichte Opfer für Unterdrückung und Vertreibung. Neben den Pygmäen sind sie die letzten, die seit Jahrtausenden bis heute nahezu unverändert leben – so sie nicht bereits als Arbeiter auf Farmen angestellt sind.
Immer wieder auch sind sie politisch zwischen die Fronten geraten. Als meisterhafte Spurenleser wurden sie bis zur Unabhängigkeit Namibias 1990 als Fährtensucher gegen die Unabhängigkeitsbewegung Swapo eingesetzt – "missbraucht", wie Stefan Oschmann präzisiert.
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Heute leben nur noch etwa 100 000 Buschleute auf den Staatsgebieten von Namibia, Botswana und Südafrika. In Verbünden von 20 bis 30 Menschen überleben sie in äußerst kargen Landstrichen. Sie jagen, sammeln Beeren, Früchte und Käfer und verstehen sich auf die Kunst, auch in den trockensten Regionen noch Wasser zu finden. Es gibt keine Hierarchien, alle Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen, alle Ressourcen geteilt. Sie haben eine eigene Sprache aus Klicklauten und kennen keine Schrift.
Ähnlich wie den Tuareg fällt es den San schwer, länger an einem Ort zu bleiben
Überlieferung findet deshalb nur mündlich statt – oder bis vor einigen hundert Jahren eben per Felszeichnung. Ähnlich wie den Tuareg fällt es ihnen schwer, länger an einem Ort zu bleiben, was ihre Existenz in einer Zeit, in der Land immer irgendwem gehört oder von irgendwem genutzt wird, nicht gerade erleichtert. Auch, so Stefan Oschmann, gefährden europäische und amerikanische Trophäenjäger die Lebensräume der San.
Die Stiftung Ombili, die ebenfalls auf dem Africa Festival vertreten sein wird, versucht den San möglichst behutsam mit einer Art Mittelweg zu helfen. Indem sie sich einerseits allmählich die Grundlagen eines sesshaften Lebens und quasi moderne Bildung wie Schrift erschließen, sollen sie andererseits die Möglichkeit erhalten, ihre traditionelle Kultur bewahren. Damit es auch weiterhin den Trancetanz gibt, wie er im Logo des Africa Festivals dargestellt ist.
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Was soll daran rassistisch sein?
Das Logo ändern, nur weil irgendwelche Mitmenschen über zuwenig Bildung verfügen, das also nicht wissen, und deswegen gleich Arges wähnen?
Was für ein Blödsinn...