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Würzburg
Sie halten Afrikas Traditionen fest - bevor sie verschwinden
Seit 40 Jahren dokumentieren zwei Fotografinnen Rituale bei den entlegensten Völkern Afrikas. Wie sie Zugang zu den Menschen bekamen, erzählen sie beim Africa Festival.
Im Königreich der Kuba in der Demokratischen Republik Kongo: Prinz Kwete und ein Maskentänzer.
Foto: Carol Beckwith und Angela Fisher | Im Königreich der Kuba in der Demokratischen Republik Kongo: Prinz Kwete und ein Maskentänzer.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:19 Uhr

Sind es die Farben? Ist es die ästhetische Qualität dieser Fotos? Ist es die schiere Nähe? Dieser unglaublich intime, direkte Blick? Ein Turkana-Mädchen aus Kenia, von der Brust zum Kinn mit Perlen und Ketten geschmückt. Eine Nursi-Frau aus dem äthiopischen Omo-Tal mit gelben Wildbeeren im Haar, die Unterlippe aufgeschnitten und gedehnt, um immer größere Tonteller einsetzen zu können.  Zwei Stelzentänzer der Tu-gangonga aus dem Kongo auf dem Weg zur Königszeremonie. Mannshoch stehen und hängen die Porträts dem Betrachter gegenüber - und erzählen von Kulturen, Traditionen, von Riten. Und von großer Würde.  

So eindrucksvoll, überwältigend die Fotografien, so bemerkenswert ist die Geschichte, wie sie entstanden sind. Mitte der 1970er Jahren begegnen sich in Kenia, bei den Massai, die amerikanische Kunsthistorikerin und Malerin Carol Beckwith und Angela Fisher, Soziologin und Schmuckdesignerin aus Australien. Beckwith hatte viele Monate in Japan, Südostasien und Neuguinea verbracht und sich dann ein 45-Tage-Hin- und Rückflugticket für Kenia gekauft. Sie blieb acht Monate - beeindruckt von der Begegnung mit den Massai. Mitglieder der Volksgruppe hatten sie, die weiße Frau, zu einer weiblichen Initiationszeremonie eingeladen.  Beckwith wollte mehr über die Rituale wissen, mehr erfahren, dokumentieren - und zeigen. Allein der aufwändige Perlenschmuck, der so viel mehr ist als bloßer Schmuck. Alles was eine Frau, was ein Mann trägt, ist mit einer verschlüsselten Botschaft und Bedeutung versehen  . . . 

Angela Fisher, zu der Zeit für eine Ausstellung mit traditionellem afrikanischen Schmuck in Nairobi, ist genauso fasziniert. Eine Woche lang dokumentieren die Fotografinnen gemeinsam eine Zeremonie der Massai-Krieger - der Beginn einer fast vier Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit. Beckwith und Fisher reisen quer durch den Kontinent zu indigenen Volksgruppen, gehen dorthin, wo noch kein Weißer war. Lernen von Anthropologen, Fragen zu stellen, um das traditionelle afrikanische Leben zu erkunden.  Und erhalten von Stammesältesten, Heilern beispiellosen Zugang. 

Rendille-Krieger mit Perlenschmuck in Kenia. 
Foto: Carol Beckwith und Angela Fisher | Rendille-Krieger mit Perlenschmuck in Kenia. 

Manchmal verbringen die Fotografinnen Wochen, Monate in einer Gemeinschaft. Mit Respekt und einem tiefen Interesse daran, wie die Menschen leben, was sie tun, denken, glauben. Sie würden versuchen, fast unsichtbar zu sein, hat Carol Beckwith einmal erzählt. Und zugleich Teil der Gemeinschaft sein. "Wir schreiben immer wenigstens 50 Wörter in der Sprache des Volks auf unsere Arme und Hände, um grüßen und einfache Fragen stellen zu können." Augenkontakt, wortlose Kommunikation, Vertrauen zählen bei den Begegnungen mehr als ein Übersetzer, der zwischen ihnen und den Menschen stehen würde, die sie porträtieren.  

Tanz eines Kriegers bei einer Hochzeit der Samburu: Mit den hohen Sprüngen wirbt der Krieger um eine zukünftige Braut.
Foto: Carol Beckwith und Angela Fisher | Tanz eines Kriegers bei einer Hochzeit der Samburu: Mit den hohen Sprüngen wirbt der Krieger um eine zukünftige Braut.

Sie waren bei den Himba in Namibia, den Kara in Äthiopien, den Dinka im Südsudan, bei Nomaden in Niger. Die farbenprächtigen Bilder, die sie mitbrachten, erzählen nichts von Strapazen.  Nichts von der Anstrengung, über zigtausende von Meilen in die entlegensten Ecken, unwirtlichsten Gegenden Afrikas zu gelangen, um dort festzuhalten, was an  Tradition nach wie vor lebendig ist. Im Norden Kenias lebten Carol Beckwith und Angela Fisher bei den Samburu. Nomaden, die sich mit immer mehr Menschen und immer mehr Vieh einen immer kleineren Lebensraum teilen müssen und als von Vertreibung bedrohtes Volk gelten. Die Fotografinnen erlebten eine Hochzeit mit. Die Aufnahme, die jetzt zum Africa Festival an der Universität Würzburg zu sehen ist, zeigt einen jungen Krieger hoch im Sprung. Ein traditioneller Tanz, um eine Braut zu gewinnen.

Am unteren Flusstal des Omo in Äthiopien waren Beckwith und Fisher bei den Mursi eingeladen. So abgeschieden ist das Tal, dass es den Nomaden, die noch knapp 10 000 Mitglieder zählen, gelang, ihre traditionelle Lebensweise zu erhalten. So wie den Kara, die ihre Körper mit Kreide bemalen. In der Würzburger Foto-Ausstellung ist ein junger Kara zu sehen, der Rücken gepunktet wie das Gefieder eines Perlhuhns.

Die Wanderausstellung und das zweibändige Buch  "African Twilight" - „Afrikanische Dämmerung“ - sind die jüngsten Arbeiten der heute 71- und 73-jährigen Fotografinnen, die in London leben. Bilanz von 15 Jahren Dokumentation und Studien in 35 Ländern, bei den ältesten Kulturen der Welt. Sie geben Einblicke in traditionelle afrikanische Stammesrituale und geheime Zeremonien, die selten geworden sind - und in ein paar Jahren vielleicht ganz verschwunden. Bis März waren die Bilder in der kenianischen Hauptstadt zu sehen, zum Africa Festival hat Stefan Oschmann eine Auswahl nach Würzburg geholt.

Ein Tänzer mit Kulukulu-Maske bei einem Initiationsritus im Kongo: Das runde rote Geflecht ist umringt von hunderten von Kulukulu-Federn. 
Foto: Carol Beckwith und Angela Fisher | Ein Tänzer mit Kulukulu-Maske bei einem Initiationsritus im Kongo: Das runde rote Geflecht ist umringt von hunderten von Kulukulu-Federn. 

„Afrika verändert sich dramatisch“, sagt der Festival-Macher. Fast die Hälfte von dem, was die Fotografinnen über viele Jahre hinweg festgehalten haben, gebe es schon jetzt nicht mehr. Die kulturelle Vielfalt des Kontinents schwinde, deshalb seien die Aufnahmen "als Beitrag zur Wahrung des kulturellen afrikanischen Erbes wichtiger und aktueller denn je“. Die Tänze mit einzigartigen, riesigen Masken aus Blättern, Vogelfedern, Stachelschweinstachel - sollte es sie nicht mehr geben, die Fotos bleiben.  

Angela Fisher and Carol Beckwith bei der Vorstellung ihres neuen zweibändigen Buches 'African Twilight' in London im November 2018.
Foto: Edwardx | Angela Fisher and Carol Beckwith bei der Vorstellung ihres neuen zweibändigen Buches "African Twilight" in London im November 2018.

Ausstellung und Vortrag: Unter dem Titel "Afrikanische Dämmerung" sind im Foyer der Universität Würzburg am Sanderring bis 26. Juli 26 Farbfotografien von Angela Fisher und Carol Beckwith zu sehen (Mo-Do von 8 bis 22 Uhr, Fr. von 8 bis 20 Uhr). An diesem Samstag, 1. Juni, werden die beiden Fotografinnen aus London beim Africa Festival sein: Um 11.30 Uhr berichten sie im Havana Club über ihre Arbeit, stellen ihr neues Buch vor und signieren.

 
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