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Würzburg
Abschied vom Polizeipräsidenten: Was Gerhard Kallert künftig macht
Nach 45 Jahren als Polizist zieht Gerhard Kallert eine Bilanz seines Berufslebens. Er ist noch immer begeistert von diesem Job, aber nun schaut er erstmal, "wo der Wurm drin war".
Dieses Bild ist nun Geschichte: Gerhard Kallert auf dem Weg durch 'sein' Polizeipräsidium in Würzburg. Der Chef der unterfränkischen Polizei geht in Ruhestand.
Foto: Daniel Peter | Dieses Bild ist nun Geschichte: Gerhard Kallert auf dem Weg durch "sein" Polizeipräsidium in Würzburg. Der Chef der unterfränkischen Polizei geht in Ruhestand.
Benjamin Stahl
 und  Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:20 Uhr

Gerhard Kallert ist seit 45 Jahren Polizist – ein Überzeugungstäter, der sich mit dem Begriff "Ordnungshüter" identifiziert. Vom Streifenbeamten stieg der gebürtige Fürther bis zum Polizeipräsidenten in Unterfranken auf. Hier war er sechs Jahre lang verantwortlich für die Sicherheit von 1,3 Millionen Menschen.

Noch immer wirbt er begeistert für die vielen Möglichkeiten, die der Polizeiberuf bietet. In einem letzten Interview vor seiner Pensionierung Ende Juli wirkt der sonst so streng sachlich erscheinende Kallert gelöst und voller Vorfreude auf den neuen Lebensabschnitt. Frühere Gespräche waren geprägt vom Blick auf ernste Themen: die Sicherheitslage in der Region, Kriminalitäts-Bekämpfung und Prävention – oder zuletzt die Ermittlungen gegen den Würzburger Messerstecher. Wenige Tage vor dem Ende seiner Dienstzeit ließ der scheidende Polizeipräsident im Gespräch mit dieser Redaktion auch einmal einen Blick hinter die Fassade zu. Im Interview zieht Gerhard Kallert die spannende Bilanz eines langen Berufslebens.  

Frage: Noch sind Sie Chef der unterfränkischen Polizei, verantwortlich für über 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 29 Dienststellen. Ab August sind Sie Pensionär. Haben Sie Angst davor, dann zuhause in Mittelfranken in ein schwarzes Loch zu fallen?

Gerhard Kallert: Um Gottes willen, nein. Dafür habe ich zu viele Hobbys und Interessen, denen ich nachgehe und die ich jetzt mehr pflegen kann.

Zum Beispiel?

Kallert: Ich bin Holzwurm und liebe Holzarbeiten. Ich drechsele, mache Intarsien. Die Holzvorräte sind enorm, da muss ich jetzt erstmal schauen, wo überall der Wurm drin war. Zum anderen haben wir uns vor fünf Wochen ein Wohnmobil zugelegt. Wir fahren auch Fahrrad und haben in Unterfranken viele Freunde gewonnen. Das lässt sich schön miteinander verknüpfen, mit dem Wohnmobil nach Unterfranken und Radtouren zu machen. Den Maintal-Radweg haben wir schon ganz durch, Saale- und Sinn-Radweg haben wir auch gemacht Das eine oder andere kann man nochmal machen, da gibt es wunderschöne Touren.

Chefwechsel im Polizeipräsidium Unterfranken: An diesem Donnerstag wurde Polizeipräsident Gerhard Kallert (links) offiziell von Innenminister Joachim Herrmann in den Ruhestand verabschiedet.  Neuer Polizeipräsident ist ab 1. August Detlev Tolle (rechts).
Foto: Ulises Ruiz | Chefwechsel im Polizeipräsidium Unterfranken: An diesem Donnerstag wurde Polizeipräsident Gerhard Kallert (links) offiziell von Innenminister Joachim Herrmann in den Ruhestand verabschiedet.  Neuer ...
Der Mittelfranke Kallert fremdelt also nicht mehr so mit den Unterfranken?

Kallert: Überhaupt nicht. In Franken tut man sich da sowieso nicht schwer. Ich durfte ja, bevor ich hierher kam, auch fünf Jahre lang in Oberfranken Dienst tun. Da habe ich kein Problem.

Wann hat zuletzt jemand "Bulle" zu ihnen gesagt?

Kallert: Irgendwann, als ich noch im Streifendienst war.

Das ist schon länger her, oder?

Kallert: Ja, die letzte Streife bin ich 1990 gefahren.

Den Begriff Ordnungshüter nimmt Gerhard Kallert auch nach 45 Jahren bei der Polizei für seine Kolleginnen und Kollegen und sich in Anspruch.
Foto: Daniel Peter | Den Begriff Ordnungshüter nimmt Gerhard Kallert auch nach 45 Jahren bei der Polizei für seine Kolleginnen und Kollegen und sich in Anspruch.
Mögen Sie den Begriff Odnungshüter?

Kallert: Ja, der Begriff ist zwar etwas antiquiert, aber er sagt vieles aus.

Wie fühlt man sich in Corona-Zeiten als Polizist, wenn man lauter Vermummten gegenüber steht – und man auch noch darauf achten soll, dass alle auch maskiert bleiben?

Kallert (lacht): Eigenartig. Die Corona-Zeit war schon gewöhnungsbedürftig. Wir hätten uns im Vorfeld nie vorstellen können, dass es so abläuft und wir so lange die Einschränkungen durchhalten müssen. Wir haben uns am Anfang mit manchen Dingen noch viel leichter getan. Dann kam in der Gesellschaft auch die Phase, in der die eine oder andere Regel nicht mehr so befolgt worden ist, wo wir uns in manchen Bereichen auch wesentlich schwerer getan haben. Das hat ganz enorm erfordert, die Lage ständig neu zu bewerten, um zu sehen: Wie gehen wir jetzt vor, um damit zurecht zu kommen?

Wie sehr hat es genervt, dass ständig neue Anweisungen aus München kamen, die dann erstmal die Polizei verstehen musste, um das dann der Bevölkerung zu vermitteln?

Kallert: Das war schon nicht einfach, die Regeln zunächst in die Köpfe der Kolleginnen und Kollegen zu bekommen. Geschafft haben wir es mit einem Info-Ticker, der kurz und prägnant die Informationen darüber wiedergab, was sich geändert hat. Wir haben ja nicht nur Tagesdienst, der früh kommt und abends geht, sondern vor allem den Schichtdienst. Die überschneidenden Informationsänderungen ließen sich damit gut vermitteln, damit die Kollegen wussten: Was ist denn jetzt überhaupt Sache?

Welches Ereignis ist Ihnen in den fünf Jahren hier am positivsten in Erinnerung?

Kallert: Sehr viele Vorträge und Begegnungen mit den Bürgern, bei denen wir miteinander über das Thema Sicherheit gesprochen haben – nicht nur die objektive. Ich war schon immer der Auffassung: Uns nutzen objektive Werte wie das Sinken der Straftaten oder eine tolle Aufklärungsrate nichts, wenn das subjektive Sicherheitsgefühl schlecht ist. Denn daran richtet sich das Verhalten aus. In Veranstaltungen der Polizei ein Gesicht zu geben, um mitzubekommen: Was beschäftigt momentan die Leute? Das war mir wichtig und wird mir in Erinnerung bleiben. Ich kann nicht am Schreibtisch darauf warten, was ich vorgelegt bekomme, sondern muss selbst reinhören. Das hat mich an Unterfranken stark gebunden, und deshalb werde ich auch nach der Pensionierung die Kontakte hierher weiter pflegen.

Haben Sie deshalb die Prävention stark in den Vordergrund der Arbeit Ihrer Beamtinnen und Beamten gerückt, angefangen bei der Aufklärung über den Enkeltrick in Seniorenheimen bis zuletzt mit der Aktion für mehr Sicherheit beim Radfahren mit Helm?

Kallert: Ja, und dazu gehörte auch das Thema Betäubungsmittel, bei dem wir acht Jahre hintereinander steigende Zahlen hatten, während wir Diebstahl und Wohnungseinbruch ganz gut in den Begriff bekommen haben, selbst Körperverletzung und andere Gewaltdelikte. Rauschgiftdelikte dagegen sind gestiegen. Deshalb haben wir das Präventionsprogramm "Flashback" entwickelt.

Wir hatten in der Pandemie den Eindruck: Die Zahl der Einbrüche geht zurück, weil die Leute ja daheim sind. Aber Drogenkuriere haben die Beamten mit großen Mengen bald jede Woche von der Autobahn gepflückt...

Kallert: Aber wir haben jetzt in Corona-Zeiten keine Steigerungen mehr gehabt. Ich hatte persönlich damit gerechnet, dass es stärker zurückgeht. Auch bei häuslicher Gewalt war die Prognose, dass sie zunehmen würde – hat sie aber nicht.

Würden Sie Ihrem Sohn heute guten Gewissens raten, er könne zur Polizei gehen?

Kallert: Jederzeit – wenn er Interesse daran hat. Hat er aber nicht gemacht, ich habe ihn aber auch nicht infiltriert. Ich bin nach wie vor von der Arbeit der Polizei überzeugt – auch deshalb, weil man hier vom Streifenbeamten bis zum Polizeipräsidenten viele Möglichkeit hat. Was mich auch nach 45 Jahren fasziniert, ist die Bandbreite: Sie können innerhalb des Aufgabenfeldes Polizei Lehrer werden, operativ tätig werden, in der Prävention, in der EDV. Ich könnte eine halbe Stunde erzählen, welche Berufsfelder es hier gibt – alles in der gleichen Firma. Das ist es, was mich fasziniert. Ich möchte keine einzige Station missen, bei der ich war.

Als Polizeipräsident haben Sie ja Dienstwagen und Fahrer, als Pensionär fahren Sie wieder selbst – und bekanntlich hat es kaum jemand eiliger als Rentner. Ist da der Pensionär Gerhard Kallert auch mal in der Gefahr, schneller zu fahren, als die Polizei erlaubt?

Kallert: Ich hoffe nicht. Ich fahre ja auch jetzt zum und vom Dienst selbst, das halten wir sauber auseinander und ich kann auch Auto fahren.

Und da sind Sie noch nie angehalten worden?

Kallert: Da kann meine Frau schöne Geschichten erzählen, als ich nebendran saß. Wir kamen von einem Ball, meine Frau fuhr und wurde kurz vor der Autobahn angehalten. Meine Frau ging mit dem kontrollierenden Beamten zum Kofferraum, in dem sie ihre Papiere hatte. In dem Moment kam die zweite Beamtin und flüsterte ihrem Kollegen zu: "Dem Chef sein Auto." Er machte weiter mit der Kontrolle. Sie fragte erneut: "Das ist doch dem Chef sein Auto, wo ist er?" Da sagte meine Frau: "Kannst rauskommen, die haben dich erkannt."

Es zeugt von einer guten Unternehmenskultur, wenn selbst der Polizeipräsident kontrolliert wird – oder namhafte Politiker sich irren, wenn sie glauben, sie müssen bei der Kontrolle keinen Alkoholtest machen, weil sie angeblich Immunität genießen.

Kallert: (nickt, schweigt)

Welches Ereignis ist Ihnen in ihrer Dienstzeit hier am negativsten in Erinnerung?

Kallert: Die schlimmen Ereignisse, nach denen man sich fragt: Warum musste das sein? Wenn ich beispielsweise an die sechs toten Jugendlichen in Arnstein denke, die durch Kohlenmonoxid ums Leben gekommen sind. Und natürlich geht einem das aktuelle Ereignis mit dem Messerangriff in Würzburg unter die Haut.

Traurige Pflicht: Die Teilnahme am Gedenkgottesdienst im Dom in Würzburg zu Ehren der Opfer der Messerattacke am Barbarossaplatz. 
Foto: Silvia Gralla | Traurige Pflicht: Die Teilnahme am Gedenkgottesdienst im Dom in Würzburg zu Ehren der Opfer der Messerattacke am Barbarossaplatz. 
Was haben Ihre Kolleginnen und Kollegen da anwenden können, was sie aus dem Einsatz vor fünf Jahren bei dem Axt-Attentat in Heidingsfeld gelernt hatten?

Kallert: Die Schutzausrüstung ist wesentlich verbessert worden. Auch das polizeiliche Einsatztraining ist weiterentwickelt worden, wie immer, wenn wir die Lage nach einem Einsatz auswerten. Und wir haben beispielsweise für eine schnelle Information der Bürger und für die Suche nach Augenzeugen und Bildern unsere Social-Media-Kanäle eingesetzt.

Was ist das Wichtigste bei einem so hektischen Einsatz für einen Polizeipräsidenten? 

Kallert: Die wichtigste Herausforderung an so einem Abend ist es, selbst die Ruhe zu bewahren und ansprechbar zu sein für die, die eine Ansprache brauchen. In wenigen Punkten ist es dann auch wichtig, korrigierend einzugreifen. Das ist hier gut gelaufen mit der Festnahme des Täters. Aber damit ist der Einsatz ja nicht vorbei. Dann beginnt eine diffizile Tatort-Arbeit, und es kommen viele, die berechtigte Ansprüche haben und Ansprechpartner brauchen.

 
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