99 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben ein Smartphone, im Schnitt sind sie damit über vier Stunden täglich online. Und am liebsten nutzen sie WhatsApp, Instagram, YouTube, Snapchat oder TikTok. Das sind aktuelle Ergebnisse der JIM-Studie, in der der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest jedes Jahr die Mediennutzung und das Medienverhalten von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren untersucht. Oft beginnt der Umgang mit Medien aber schon im Grundschulalter: Selbst Kinder unter zehn Jahren haben inzwischen häufig bereits ein Smartphone - und können damit zu Opfern von Gewalt und Pornografie im Netz werden.
"Genauso werden Kinder aber auch schon häufig zu Tätern, indem sie leichtfertig pornografische Bilder, gewaltverherrlichende Videos oder volksverhetzende Inhalte weiterleiten", sagt Polizeipräsident Gerhard Kallert vom Polizeipräsidium Unterfranken. Zusammen mit Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) stellte Kallert jetzt die Präventionskampagne "Dein Smartphone - deine Entscheidung" vor. Die Polizei will damit Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrer auf die vielfältigen Gefahren im Netz hinweisen: mit Elternbriefen, mit (auch virtuellen) Elternabenden oder Besuchen im Unterricht.
Die Corona-Pandemie habe die Lage verschärft, sagt Kallert. Die meisten Freizeitbeschäftigungen waren nicht möglich, Schulen über Monate geschlossen - dies ließ auch Änderungen im Medienverhalten erwarten: So ist die Dauer der Internetnutzung laut Jim-Studie bei den Jugendlichen von täglich dreieinhalb Stunden im Jahr 2019 auf über vier Stunden in 2020 deutlich gestiegen. "Viele Kinder und Jugendliche surfen oft gutgläubig im Internet", sagt Kallert. Teilweise würden dabei "unachtsam pornografische Bilder und Gewaltvideos" weitergeleitet. "Vielen ist gar nicht bewusst, dass sie damit eine Straftat begehen."
Die Eltern bekämen davon oft gar nichts mit. Doch woher wissen Erwachsene, wie und wo sich ihre Kinder in Internet bewegen? "Die Kontrolle des Handys ist ein massiver Vertrauensbruch", findet Ministerin Judith Gerlach, selbst Mutter von zwei Kindern. "Auch pauschale Verbote bringen nichts." Die Kinder und Jugendlichen würden heute in einer hoch digitalen Welt aufwachsen. Die Digitalisierung sei ein Segen, berge aber auch Gefahren, so Gerlach: "Wir müssen die Kinder darauf vorbereiten." Neben der Schule spielten vor allem die Eltern dabei eine wichtige Rolle. Gerlachs Rat: "Bleiben Sie mit ihren Kindern im Gespräch." Und: "Eltern müssen einen gesunden Umgang mit dem Handy vorleben."
Wer glaube, seinem Kind "passiert das sowieso nicht", der verschließe die Augen vor der Realität, sagt Kallert. Laut polizeilicher Kriminalstatistik ist im Bereich Kinderpornografie bundesweit die Anzahl der Tatverdächtigen unter 18 Jahren von 1373 im Jahr 2018 auf 4139 im Jahr 2019 und 7643 im Jahr 2020 stark gestiegen. In Unterfranken gab es laut Kallert im Jahr 2018 neun Fälle, in die Jugendliche verwickelt waren. 2020 waren es 22 Fälle.
Auch beim Tatbestand der Verbreitung pornographischer Schriften stieg die Zahl der Fälle durch Jugendliche in der Region deutlich an: von elf im Jahr 2018 auf 43 im vergangenen Jahr. "Das klingt wenig", sagt Kallert. Doch hinter jeder Tat stünden Menschen, die damit massiv verletzt worden seien. "Kinder können so Täter, aber auch Opfer werden."
So sei in Aschaffenburg 2019 eine Siebtklässlerin in WhatsApp-Chats massiv bedroht worden. "Hier fanden vor einer möglichen Eskalation der Situation Gespräche durch die Präventionsbeamten statt", sagt der Polizeipräsident. Noch schwerer sei ein Fall im Landkreis Würzburg gewesen: "Hier hatte ein Lehrer einer Realschule Anzeige erstattet, nachdem ihm in einem Klassenchat mit bearbeiteten Bildern unterstellt wurde, er würde Sex mit Kindern haben", schildert Kallert. Fünf Handys von Schülern seien sichergestellt und ausgewertet worden. Dabei seien weitere mutmaßliche Straftaten ans Licht gekommen, so Kallert. Dies habe zu Folgeanzeigen bei insgesamt 16 Beschuldigten geführt - unter anderem wegen Pornografie, Kinderpornografie, sexuellens Missbrauchs von Kindern und Gewaltdarstellung.
Kallert: Digitale Kompetenz muss man erwerbern
"Früher wurde vom bösen Mann im Auto mit Süßigkeiten erzählt, heute müssen wir vor der digitalen Welt warnen", sagt Digitalministerin Gerlach. Deshalb müsse die Warnung inzwischen heißen: "Pass' auf, mit wem Du chattest." Die digitale Kompetenz müsse wie das Radfahren gelernt werden, sagt der Polizeichef. Genau dabei wolle die Polizei mit der Präventionskampagne helfen und begleiten.
Mit zwei Elternabenden an der Maria-Ward-Schule in Aschaffenburg und am Armin-Knab-Gymnasium in Kitzingen wurde die Kampagne am Montag gestartet. Weitere Aktionen wie Infobriefe und Online-Abende für Eltern sind in der ganzen Region geplant. Ab September folgen die Unterrichtseinheiten für die Schülerinnen und Schüler.