"Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Einiges war schlimm, aber vieles auch wunderbar," sagt Hertha Gerlinger. Am 4. Januar feiert die Würzburgerin ihren 100. Geburtstag. 1920 wurde sie in Breslau geboren. Der erste Weltkrieg war seit einem guten Jahr zu Ende.
Zu den schlimmen Erlebnissen im Leben der Hundertjährigen zählen der Verlust ihres ersten Ehemannes und ihres Bruders im Zweiten Weltkrieg und der Verlust der Heimat. Nach einer dramatischen Flucht aus Schlesien schuftete sie in Bayern auf dem Feld. "Zum Glück habe ich immer gerne gearbeitet", sagt sie mit einem Lächeln. Später war sie in einem Krankenhaus und danach als Übersetzerin bei einer Behörde tätig.
Viel Anerkennung erfahren
Wunderbar war für Hertha Gerlinger beispielsweise ihre Kindheit mit den vier Geschwistern in einer Beamtenfamilie und später das Leben in Würzburg an der Seite ihres Mannes Hermann Gerlinger, den sie 1959 heiratete und mit dem sie die Sammlung von Malern der expressionistischen "Brücke" auf- und ausbaute.
Sie freut sich über die Anerkennung, die das Paar dafür bekam: Etwa die Ehrenbürgerschaft der Stadt Halle, den Verdienstorden von Sachsen-Anhalt oder den Bayerischen Verdienstorden, mit dem das Ehepaar Gerlinger im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde. "Als mir der Bayerische Justizminister den Orden an die Brust heftete, war das ein besonderer Moment. Ich dachte daran, wie ich als heimatloser Flüchtling vor 77 Jahren bayerischen Boden betreten hatte. Es war ein langer Weg."
Für andere wunderbare Momente in ihrem Leben hat sie selbst gesorgt. Zum Beispiel liebt sie die Natur und das Wandern, und hat noch mit 92 Jahren mit ihrer Frauenwandergruppe Unterfranken erkundet. Heute kommt sie nicht mehr so weit. "An schlechten Tagen gehe ich 800, an guten 2000 Schritte im Garten." Für den Garten vor ihrem Haus ist sie dankbar – er ist ihr Fenster zur Natur geworden.
Was nicht mehr geht, los lassen; was noch geht, weiter machen, auch wenn es anstrengend ist – nach diesem Motto hält die Hundertjährige ihr Leben lebenswert. Die Einstellung verdankt sie ihrer Erziehung, die ihr Werte wie Disziplin, Rücksichtnahme und Nächstenliebe vermittelt hat. "Aber ich hatte im Leben auch viel Glück", sagt sie. Dazu zählt sie ihre gute Gesundheit, ihre Familie und den Mann an ihrer Seite.
Zu ihren Leidenschaften gehört ihr Interesse an Sprachen. "Ich erfreue mich beim Lesen an exakter und ärgere mich über schludrige Sprache". Bis vor drei Jahren hat sie französisch und italienisch, davor russisch und polnisch gelernt. Geschrieben hat sie auch. Unter anderem drei Gedichtbände, den letzten vor drei Jahren. Ideen hat sie immer noch, nur das Aufschreiben fällt ihr schwer. Und beim Laufen fehlt ihr manchmal der Halt. Doch in ihren Augen leuchten Neugierde, Lust aufs Leben und gelassene Heiterkeit.
Seit 25 Jahren spricht sie als Expertin übers Älterwerden
Gleichzeitig ist Hertha Gerlinger unglaublich konsequent. Ihr Tagesablauf: Um 7.50 Uhr aufstehen, frühstücken, eine halbe Stunde Gymnastik machen, Mittagessen zubereiten... "Geregelt und gesund leben und in Bewegung bleiben", nennt sie die Säulen ihres Wohlbefindens im hohen Alter.
Hertha Gerlinger kann als Expertin zum Thema Altern gelten. Denn sie meistert ihr eigenes nicht nur gut, sie hat auch schon vor 25 Jahren ein Buch darüber geschrieben: "In meinem Alter – Gedanken und Anregungen zum Älterwerden" heißt es und erklärt, dass man Älterwerden bewusst und sinnvoll gestalten kann.
"Mit sich, der Umwelt und dem Himmel in Einklang leben, das wird man ein glückliches Leben nennen können, und ein glückliches Leben schließt ein gutes Alter mit ein", gab sie darin als 75-Jährige einen Ratschlag, um 100 Jahre zu werden. Der Tipp hat funktioniert. Für sie selbst ist der 100. Geburtstag nicht so ein riesiges Ereignis. "Man lebt halt so vor sich hin und dann wirst du eines Tages 100", sagt sie.