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Würzburg
100 Jahre: Hertha Gerlinger erzählt, wie sich das anfühlt
Hertha Gerlinger ist jetzt eine von 34 Würzburgern, die 100 Jahre oder älter sind. Zu ihrem Geburtstag spricht sie darüber, wie man das Alter lebenswert meistern kann.
Hertha Gerlinger feiert am 4. Januar ihren 100. Geburtstag. 
Foto: Thomas Obermeier | Hertha Gerlinger feiert am 4. Januar ihren 100. Geburtstag. 
Manuela Göbel
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:08 Uhr

"Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Einiges war schlimm, aber vieles auch wunderbar," sagt Hertha Gerlinger. Am 4. Januar feiert die Würzburgerin ihren 100. Geburtstag. 1920 wurde sie in Breslau geboren. Der erste Weltkrieg war seit einem guten Jahr zu Ende. 

Zu den schlimmen Erlebnissen im Leben der Hundertjährigen zählen der Verlust ihres ersten Ehemannes und ihres Bruders im Zweiten Weltkrieg und der Verlust der Heimat. Nach einer dramatischen Flucht aus Schlesien schuftete sie in Bayern auf dem Feld. "Zum Glück habe ich immer gerne gearbeitet", sagt sie mit einem Lächeln. Später war sie in einem Krankenhaus und danach als Übersetzerin bei einer Behörde tätig. 

Viel Anerkennung erfahren

Wunderbar war für Hertha Gerlinger beispielsweise ihre Kindheit mit den vier Geschwistern in einer Beamtenfamilie und später das Leben in Würzburg an der Seite ihres Mannes Hermann Gerlinger, den sie 1959 heiratete und mit dem sie die Sammlung von Malern der expressionistischen "Brücke" auf- und ausbaute. 

Sie freut sich über die Anerkennung, die das Paar dafür bekam: Etwa die Ehrenbürgerschaft der Stadt Halle, den Verdienstorden von Sachsen-Anhalt oder den Bayerischen Verdienstorden, mit dem das Ehepaar Gerlinger im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde. "Als mir der Bayerische Justizminister den Orden an die Brust heftete, war das ein besonderer Moment. Ich dachte daran, wie ich als heimatloser Flüchtling vor 77 Jahren bayerischen Boden betreten hatte. Es war ein langer Weg." 

Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger in ihrem Haus in Würzburg. Im Hintergrund ein Portrait, das der Würzburger Curd Lessing von ihr gemalt hat. 
Foto: Thomas Obermeier | Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger in ihrem Haus in Würzburg. Im Hintergrund ein Portrait, das der Würzburger Curd Lessing von ihr gemalt hat. 

Für andere wunderbare Momente in ihrem Leben hat sie selbst gesorgt. Zum Beispiel liebt sie die Natur und das Wandern, und hat noch mit 92 Jahren mit ihrer Frauenwandergruppe Unterfranken erkundet. Heute kommt sie nicht mehr so weit. "An schlechten Tagen gehe ich 800, an guten 2000 Schritte im Garten." Für den Garten vor ihrem Haus ist sie dankbar – er ist ihr Fenster zur Natur geworden.

Was nicht mehr geht, los lassen; was noch geht, weiter machen, auch wenn es anstrengend ist – nach diesem Motto hält die Hundertjährige ihr Leben lebenswert. Die Einstellung verdankt sie ihrer Erziehung, die ihr Werte wie Disziplin, Rücksichtnahme und Nächstenliebe vermittelt hat. "Aber ich hatte im Leben auch viel Glück", sagt sie. Dazu zählt sie ihre gute Gesundheit, ihre Familie und den Mann an ihrer Seite. 

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Zu ihren Leidenschaften gehört ihr Interesse an Sprachen. "Ich erfreue mich beim Lesen an exakter und ärgere mich über schludrige Sprache". Bis vor drei Jahren hat sie französisch und italienisch, davor russisch und polnisch gelernt. Geschrieben hat sie auch. Unter anderem drei Gedichtbände, den letzten vor drei Jahren. Ideen hat sie immer noch, nur das Aufschreiben fällt ihr schwer. Und beim Laufen fehlt ihr manchmal der Halt. Doch in ihren Augen leuchten Neugierde, Lust aufs Leben und gelassene Heiterkeit.

Seit 25 Jahren spricht sie als Expertin übers Älterwerden

Gleichzeitig ist Hertha Gerlinger unglaublich konsequent. Ihr Tagesablauf: Um 7.50 Uhr aufstehen, frühstücken, eine halbe Stunde Gymnastik machen, Mittagessen zubereiten... "Geregelt und gesund leben und in Bewegung bleiben", nennt sie die Säulen ihres Wohlbefindens im hohen Alter. 

Hertha Gerlinger im Gespräch.
Foto: Theresa Müller | Hertha Gerlinger im Gespräch.

Hertha Gerlinger kann als Expertin zum Thema Altern gelten. Denn sie meistert ihr eigenes nicht nur gut, sie hat auch schon vor 25 Jahren ein Buch darüber geschrieben: "In meinem Alter – Gedanken und Anregungen zum Älterwerden" heißt es und erklärt, dass man Älterwerden bewusst und sinnvoll gestalten kann.

"Mit sich, der Umwelt und dem Himmel in Einklang leben, das wird man ein glückliches Leben nennen können, und ein glückliches Leben schließt ein gutes Alter mit ein", gab sie darin als 75-Jährige einen Ratschlag, um 100 Jahre zu werden. Der Tipp hat funktioniert. Für sie selbst ist der 100. Geburtstag nicht so ein riesiges Ereignis. "Man lebt halt so vor sich hin und dann wirst du eines Tages 100", sagt sie. 

Hundertjährige
Weltweit steigt die Zahl von Menschen, die hundert Jahre oder älter sind. In Deutschland leben zurzeit rund 17 000, 80 Prozent von ihnen sind Frauen. In der Stadt Würzburg sind aktuell 34 Menschen gemeldet, die über hundert Jahre alt sind. Das sind mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren. 
Elf Über-Hundertjährige wurden 2013 im Rahmen einer Studie zu ihrem Wohlbefinden befragt. Die Sozialpädagogin Anna Zeun, die damals Gespräche mit den Hochbetagten führte, stieß dabei nicht auf ein "Geheimrezept für ein langes Leben." Im Gegenteil, ihre elf Interviewpartner hätten alle sehr unterschiedliche Lebensstile gepflegt. Eine Gemeinsamkeit ist der Beraterin des Vereins HALMA (Hilfen für alte Menschen im Alltag) aber doch aufgefallen: "Es waren alles Menschen, die sich selbst nicht so wichtig und manche Dinge in ihrem Leben einfach hingenommen haben."
 
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