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WÜRZBURG
Das Sammlerehepaar Gerlinger erzählt
Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger in seinem Würzburger Haus. Im Hintergrund ein Porträt von Hertha Gerlinger, gemalt von Curt Lessig in den 70er Jahren.
Foto: Thomas Obermeier | Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger in seinem Würzburger Haus. Im Hintergrund ein Porträt von Hertha Gerlinger, gemalt von Curt Lessig in den 70er Jahren.
Manuela Göbel
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:27 Uhr

Hertha und Hermann Gerlinger bauten in rund 60 Jahren die renommierte Kunstsammlung „Die Maler der Brücke“ auf. Nachdem die Suche nach einem Museum in Würzburg nach verschiedenen Anläufen in den vergangenen Jahren jetzt endgültig gescheitert ist, verleihen der 86-jährige Hermann Gerlinger und seine 97 Jahre alte Frau ihre Kunstschätze dauerhaft an das Buchheim Museum am Starnberger See. Regelmäßige „Brücke“-Ausstellungen soll es aber auch im Museum für Franken auf der Festung in Würzburg geben. Weil es Gerlinger am Herzen liegt, dass „Brücke“-Kunst auch in seiner Heimatstadt zu sehen ist, hat er sich erfolgreich für diese Lösung eingesetzt.

Ihre Sammlung umfasst momentan 1030 Werke. Gemälde, Aquarelle, Radierungen, Skulpturen, Kunsthandwerk . . .Wie wird man Sammler?

Hermann Gerlinger: Schon als Schüler habe ich Abbildungen von Holzschnitten Albrecht Dürers in eine Album geklebt und bewundert. Später habe ich intensiv die junge Kunstszene in Unterfranken beobachtet. Lothar Forster, Wolfgang Lenz, Curd Lessig, Gunter Ullrich arbeiteten ja sehr unterschiedlich und gingen auch getrennte Wege. Aber jeder erreichte neue progressive Ergebnisse.

Wie kamen Sie zur „Brücke“-Gruppe?

Hermann Gerlinger: Werke der „Brücke“ konnte man Anfangs der 50er Jahre in Würzburg nicht sehen, es gab auch kaum Literatur. Dem Expressionismus haftete ja noch immer der Ruch der sogenannten Entarteten Kunst an und galt in gewisser Weise als verfemt. Erst als ich zum Studium nach München ging, sah ich im Haus der Kunst und Galerien Arbeiten er 'Brücke'. Diese Eindrücke haben in mir eine Initialzündung ausgelöst.

Aber irgendwann kauften Sie auch das erste Bild. Erinnern Sie sich daran?

Hermann Gerlinger: In der Galerie Günther Franke in München habe ich eine Ausstellung von Karl Schmidt-Rottluff mit druckgrafischen Werken besucht. Der Holzschnitt 'Melancholie' hat mich nachhaltig beeindruckt. Mehrmals habe ich bei Franke das Blatt bewundert. Der Galerist spürte wohl meine Begeisterung und hat mir das Blatt mit einer bescheidenen Anzahlung und Restzahlung in kleinen Raten verkauft. Es waren Beträge, die ich mir als Student leisten konnte.

„Zwei Mädchen am Wasser“ von Erich Heckel (1910) aus der Sammlung Hermann Gerlinger
Foto: Thomas Obermeier | „Zwei Mädchen am Wasser“ von Erich Heckel (1910) aus der Sammlung Hermann Gerlinger
War das der erste Schritt zur geplanten Sammlung?

Hermann Gerlinger: Es war mir ein Bedürfnis dieses Kunstwerk um mich zu haben, weil ich mit ihm leben wollte. An eine Sammlung habe ich damals auch nicht im Entferntesten gedacht. Ich habe Ausstellungen in Museen und Galerien besucht, wo auch immer solche für mich erreichbar waren. Den Künstlern der 'Brücke' und ihrem Schaffen habe mich nicht durch Ankauf ihrer Werke, die ich ja zunächst gar nicht richtig kannte, genähert, sondern durch die Beschäftigung mit ihrem Leben, ihrem Wirken, ihrem Kunstwollen, ihren Erfolgen und auch ihren Problemen.

Mitte der 50-er Jahre die Installationsfirma Ihres Vaters übernommen. Wie viel Zeit blieb da für die Beschäftigung mit Kunst?

Hermann Gerlinger: Es war tatsächlich schwer, neben der Arbeitsbelastung durch die Firma noch Zeit für die Kunst zu finden. Meine Frau hat mir sehr geholfen. Wenn ich nicht konnte, ist sie zu Galerien, zu Ausstellungen, auch zu Auktionen gefahren.

Waren Sie sich immer einig, ob Sie ein Bild kaufen wollen?

Hertha Gerlinger: Ich habe mir angewöhnt mit den Augen meines Mannes zu sehen. Und ich habe ihn auch ermutigt, bedeutende Werke zu kaufen. Wenn man keine unbeschränkten Mittel zur Verfügung hat, konzentriert man sich besser auf besonders wichtige Werke.

Hermann Gerlinger: Wir kamen immer zu einer gemeinsamen Entscheidung. Bei unseren Gesprächen hat mich oft erstaunt, aber auch gefreut, welche Sensibilität und Sicherheit meine Frau in Fragen der Kunstbetrachtung entwickelt hat.

Erinnern Sie sich auch noch an die Anfänge Frau Gerlinger?

Hertha Gerlinger: Als wir 1959 geheiratet haben, besaß mein Mann bereits einen kleinen Bestand an Papierarbeiten. Aber an einen Paukenschlag, ein paar Jahre später, erinnere ich mich noch gut. Wir waren nach München gefahren, um ein Bild anzuschauen. Das Bild war gewaltig, aber als ich den Preis erfuhr, war ich schlicht sprachlos. Ich war ja in einem Beamtenhaushalt aufgewachsen und zur Sparsamkeit erzogen. Doch als wir dann mit dem Bild im Kofferraum nach Hause fuhren, fand ich den Gedanken, dieses wunderbare Bild dabei zu haben, doch sehr faszinierend. Im Rückblick kann ich sagen: Zum Sammler ist man geboren, Sammlerfrau muss man werden.

War es schwer eine zu werden?

Hertha Gerlinger: Ach, wenn man nicht bereit ist, auf Interessen und erst recht Leidenschaften eines Partners einzugehen, sollte man gar nicht heiraten. An den Expressionismus musste ich mich anfangs aber erst gewöhnen. Ich bin ja mit Kunst aufgewachsen. Den Geruch von frischen Ölfarben im Atelier meiner Tante habe ich geliebt. Aber gemalt hat sie spätromantische Landschaftsbilder. Der freie Umgang der 'Brücke'-Maler mit Form und Farbe hat sich mir erst nach und nach erschlossen.

„Das blaue Mädchen in der Sonne“ von Ernst Ludwig Kirchner (1910) aus der Sammlung Gerlinger
Foto: Thomas Obermeier | „Das blaue Mädchen in der Sonne“ von Ernst Ludwig Kirchner (1910) aus der Sammlung Gerlinger

Hermann Gerlinger: Nicht nur der 'Umgang' mit der Kunst der 'Brücke' hat sich meiner Frau erschlossen. Sie wurde mir eine wichtige Beraterin und hat von ihrem eigenen Geld Ankäufe getätigt, wenn etwas Wichtiges angeboten wurde und ich dafür Mittel Geld hatte.

Welches ist Ihr Lieblingsbild?

Hermann Gerlinger: Habe ich nicht. Eine kleine Handteller große Skizze ist mir genauso wichtig, wie ein großformatiges Ölbild. Aber ich will die Frage von der anderen Seite her beleuchten: Es gibt vielleicht einige wenige Werke, die ich heute nicht mehr kaufen würde, aber als junger Sammler erworben habe. Aber diese Werke, wie alle anderen auch, unter großen Geburtswehen erstanden, sind mir heute wichtig, weil sie meine Wege als Sammler und mit der Zeit auch als Kenner belegen.

Aber sie haben einen Lieblingskünstler?
Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger.
Foto: Thomas Obermeier | Das Ehepaar Hertha und Hermann Gerlinger.

Hermann Gerlinger: Ich schätze alle 'Brücke'-Künstler im gleichen Maße. Allerdings entstand durch den persönlichen Kontakt zu Schmidt-Rottluff auch eine besondere Beziehung zu ihm.

Hat Sie das Werk oder die Person des 1976 verstorbenen Malers beeindruckt?

Hermann Gerlinger: Nach meinem Empfinden kann das Werk nicht von der Persönlichkeit des Künstlers getrennt betrachtet werden. Bei aller Zurückhaltung die ihm eigen war, muss ich von einer monumentalen Persönlichkeit reden. Seine Präsenz erfüllte den ganzen Raum und entsprach nach meinem Empfinden der Monumentalität seiner Bilder. Er brachte meiner Sammlung Wohlwollen entgegen und ich durfte bei ihm Bilder erwerben, die er jahrzehntelang für sich und seiner Frau aufgehoben hatte. Ich fühle eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Schmidt-Rottluff und seiner Frau Emy. Erich Heckel habe ich nicht persönlich kennengelernt, wohl aber seine Frau Siddi Heckel. Den Kontakt stellte Professor Leopold Reidemeister, der Gründungsdirektor des 'Brücke'-Museums, her. Frau Heckel war eine sehr liebenswürdige, hellwache und vielseitig interessierte Gesprächspartnerin, mit großem Verständnis für meine sammlerischen Anliegen.

Vor allem aber war sie eine ausgezeichnete Sachwalterin der Kunst von Erich Heckel.

Wie stark beschäftigt Sie Kunst heute noch?

Hermann Gerlinger: Es vergeht kaum ein Tag an dem ich mich nicht intensiv mit Fragen der 'Brücke', oder zur Kunst im Allgemeinen beschäftige. Ich schreibe Beiträge für Kataloge, verfasse Kommentare für einzelne Werke, bereite Vorträge in Ausstellungen oder Einführungen für Ausstellungen vor. Stelle Forschungen zu anstehenden Problemen an. Noch bis vergangenes Jahr habe ich Expertisen zu Werken von Schmidt-Rottluff erstellt für deutsche, aber auch für die großen internationalen Auktionshäuser wie Sotheby?s oder Christies in London und New York: dabei geht es unter anderem um die Frage: ist ein Werk echt oder falsch!

Sie haben Kunst nie als Wertanlage gesehen, trotzdem eine Menge Geld in sie investiert und man merkt Ihnen an, dass Sie zu vielen Werken eine emotionale Beziehung haben. Seit 1995 sind Ihre Bilder in Museen zu sehen, aber Sie haben diese nicht mehr um sich. Bedauern Sie das nicht?

Hermann Gerlinger: Das war eine Entscheidung, die über lange Zeit, über viel Jahre, heranreifte. Die Sammlung war im Laufe der Jahre zu einer so bedeutenden Dokumentation für die Künstlergruppe 'Brücke' geworden, dass der Gedanke sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen nahe lag.

Da wir beide nicht zu öffentlichkeitswirksamen Auftreten neigen und es keine Vergleichsmöglichkeiten gab, wussten wir tatsächlich nicht, ob ähnliche Sammlungen existieren. Heute wissen wir, dass es richtig war, die Sammlung der Öffentlichkeit zu übergeben, damit sich möglichst viele Menschen daran erfreuen können.

Hertha Gerlinger: Natürlich geht es nicht ohne Emotionen, denn ich muss doch sagen, dass die Beziehung zu den Bildern, die jahrelang an unseren Wänden hingen, schon eine besondere ist.

Hermann Gerlinger: Umso mehr freuen wir uns, wenn wir sie in einer Ausstellung wieder einmal sehen. Außerdem habe ich ein gutes visuelles Gedächtnis, auch wenn ich sie nicht sehe, habe ich sie vor Augen.

Ist die Bezeichnung Lebenswerk für Ihre Sammlung richtig?

Hermann Gerlinger: Richtig ist, dass die Sammeltätigkeit meinem Leben Inhalt gegeben und mir dabei viel Freude gemacht hat. Das Ergebnis sehe ich als Würdigung des künstlerischen Schaffens, sowohl der 'Brücke' als Ganzes, wie auch des Lebenswerkes der einzelnen Mitglieder dieser Künstlergruppe.

Die Sammlung Gerlinger

Das Ehepaar Gerlinger in seinem Wohnzimmer. Das Gemälde im Hintergrund ist vom Würzburger Maler Curd Lessig: ein Porträt Hertha Gerlingers aus den 1970er Jahren.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Das Ehepaar Gerlinger in seinem Wohnzimmer. Das Gemälde im Hintergrund ist vom Würzburger Maler Curd Lessig: ein Porträt Hertha Gerlingers aus den 1970er Jahren.

Hermann Gerlinger wurde 1931 in Würzburg geboren. Seine Frau Hertha stammt aus Schlesien. Ihre Sammlung „Die Maler der Brücke“ umfasst neben 48 Gemälden, Druckgrafiken, Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen, Skulpturen und Kunsthandwerk – aber auch Dokumente. Der monografische Ansatz der Sammlung geht über die Zeit der „Brücke“ hinaus und dokumentiert die Schaffensphasen der Künstler von ihren individuellen Anfängen über den gemeinsamen Gruppenstil bis zum jeweiligen Spätwerk.

Die Künstlergruppe „Brücke“wurde 1905 von den Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet. Die Wegbereiter des deutschen Expressionismus rückten ihr inneres Erleben und subjektives Empfinden in den Mittelpunkt. Gleichzeitig reduzierten sie die Form und lösten die Farbe von der Natur.

 
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