
100 Jahre. Was hat sich nicht alles zwischen 1920 und 2020 verändert und wie viel muss man in einer solch langen Zeitspanne erlebt haben? Hundertjährigen Menschen begegnet man mit Ehrfurcht. Man möchte etwas von ihnen erfahren, etwas lernen, was nicht in den Geschichtsbüchern steht. Vier Menschen aus vier Generationen – 10, 30, 50 und 90 Jahre alt – haben sich eine Frage überlegt, die sie Hertha Gerlinger stellen möchten. Die Redaktion hat ihre Antworten aufgeschrieben.
Anna-Lena fragt nach Freude

Hertha Gerlinger: Oh ja. Ich habe als Kind immer Bücher bekommen, weil ich wahnsinnig gerne gelesen habe. Und dann erinnere ich mich gut an meine Puppenküche. Die war wunderschön, mit kleinen Porzellanbehältern, gefüllt mit Süßigkeiten. Ich bekam sie Weihnachten zum Spielen und ein paar Wochen später verschwand sie dann wieder.
Lukas Spachmann fragt nach Zielen

Hertha Gerlinger: Ziele oder Pläne hatte ich eigentlich gar nicht. Die Ereignisse sind immer auf mich zu gekommen. Eines der einprägsamsten war dabei meine Flucht aus Schlesien. Mit meiner Mutter und meiner eineinhalbjährigen Tochter auf dem Arm schaffte ich es im Februar 1945 in einem der letzten Züge aus Dresden heraus. Ein paar Stunden später wurde die Stadt komplett zerstört. Ich hatte oft Glück im Leben.
Andreas Eggert fragt nach Lebensmut

Hertha Gerlinger: Einmal habe ich ihn fast verloren. Das war am Kriegsende in Niederbayern, als mich einmarschierende US-Soldaten früh um halb sechs aus unserem Zimmer warfen, mit nichts als zwei Mullwindeln für das Kleinkind. Ich war verzweifelt. Aber mein Motto war schon damals: Man muss es nur versuchen, dann weiß man, dass es geht. Damit bin ganz gut durch mein Leben gekommen.
Gerda Welsch fragt nach Verlusten

Hertha Gerlinger: Ja, die Weggenossen gehen dahin. Das ist mir bei einigen auch sehr nahe gegangen. Aber ich habe das Glück, dass ich noch einen wunderbaren Ehemann an meiner Seite habe. Das ist bei einer Hunderjährigen natürlich extrem selten. Und ich habe meine liebe Tochter, viele Nichten und Neffen und auch noch einige Freunde, die mich alle immer wieder besuchen kommen.