
Den Hals wie eine Schildkröte nach vorne gereckt, den Unterkiefer vorgeschoben, die Arme hinter dem gebeugten Rücken verschränkt – es ist ein eher skurriles Bild, das die Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse des Olympia-Morata-Gymnasiums Schweinfurt an diesem Morgen abgeben. Mal bewegen sie sich hüpfend, mal mit einem eigentümlich kickenden Gang über das Parkett im Evangelischen Gemeindehaus, der Ersatzspielstätte des Theaters der Stadt Schweinfurt.
"Und jetzt die Arme nach hinten ausstrecken und schneller gehen. Ihr habt nämlich ein hübsches junges Mädchen gesehen", ruft Regisseurin Silvia Aurea De Stefano und zeigt, wie die Figur des grimmigen und zugleich lüsternen alten "Pantalone" besagtem Mädchen nachsteigen würde. Unter den Schülerinnen und Schülern bricht Gelächter aus.
Die Figuren, mit denen sie es an diesem Vormittag zu tun bekommen, dürften sich für die meisten von ihnen fremd anfühlen. Immerhin hatte bisher noch kaum jemand unter ihnen Berührungspunkte mit der Gattung "commedia dell'arte", einer aus Italien stammenden Form traditionellen Theaters, oder ihren klassischen Figuren, wie eben jenem greisen Pantalone. Und genau das sei das Problem, meint Britta Glaser.
Verstaubten Ruf der Oper aufpolieren
"Gesellschaftlich wird davon ausgegangen, dass Oper etwas für ältere Leute ist. Etwas Verstaubtes, Gestelztes, nicht Relevantes. Deswegen haben junge Menschen oft überhaupt keine Berührungspunkte damit", sagt sie. Glaser ist künstlerische Leiterin und Sopranistin des Berliner Ensembles "Compagnia Nuova", das jüngst mit seiner, in Koproduktion mit dem Theater der Stadt Schweinfurt entstandenen, Opern-Inszenierung "Pagliacci / Le Maschere" in Schweinfurt Premiere feierte.
"Dabei hat Oper an sich, wenn man es richtig rüberbringt, eine unheimliche Relevanz", sagt Glaser. Schauspiel, Poesie, Bühnenbild, Musik, Sprache – in kaum einer anderen Kunstform würden diese Elemente so intensiv miteinander verwoben. "Ich bin der festen Überzeugung, dass Oper als Genre für Kinder und Jugendliche genauso spannend sein kann wie für Erwachsene und ältere Leute. Aber es müssen Barrieren abgebaut werden", sagt Glaser.

Genau das möchte sie an diesem Tag auch gemeinsam mit und ihrer Kollegin Silvia Aurea De Stefano bei den Schülerinnen und Schülern des Olympia-Morata-Gymnasiums erreichen. Seit drei Jahren besuchen sie regelmäßig Schulen und versuchen mit praktischen und kurzweiligen Workshops Berührungsängste mit der Welt des Theaters und der Oper abzubauen und Kontakt zu lokalen Theatern herzustellen. Und das sei dringend notwendig, sagt auch Christof Wahlefeld, der Intendant des Schweinfurter Theaters.
"Viele Menschen haben gar nicht mehr auf dem Schirm, dass Theater ein Teil der Freizeitgestaltung sein kann", sagt er. Gerade unter jungen Leuten seien Theater- oder gar Opernbesuche einfach nicht mehr angesagt. Daran hätte auch eine Aktion des Theaters in diesem Sommer, bei der jede Eins im Zeugnis mit einer Freikarte belohnt wurde, kaum etwas geändert. Über 300 Karten seien dabei verteilt worden. Die Fragebögen, die die Schülerinnen und Schüler danach ausfüllen durften, hätten jedoch ein ernüchterndes Bild gezeigt, sagt Wahlefeld.

Auf die Frage, ob sie ihren Freundinnen und Freunden von ihrem Theaterbesuch erzählen würden, antworteten ausnahmslos alle Teilnehmenden mit "Nein". Für Wahlefeld ein eindeutiges Zeichen: "Verdammt, wir haben ein Image-Problem bei der Jugend. Und das ist bitter", sagt er.
Mühsame und langwierige Grundsatzarbeit soll sich auszahlen
Aufgeben wolle er die Jugend aber noch lange nicht. Angebote wie der Workshop des Berliner Ensembles, die Einser-Aktion und ab dem kommenden Jahr ein offener "Spieleclub" für Theaterinteressierte aller Altersklassen sollen die Zuschauerränge des Schweinfurter Theaters auf lange Sicht neu beleben. "Das ist mühsam ansetzende Grundsatzarbeit, die einen langen Atem braucht. Aber sie ist wichtig, sonst komme ich irgendwann an den Punkt, an dem mir das Publikum nach und nach wegstirbt", sagt Wahlefeld. Dabei scheint er sich in einem sicher: "Eine Oper kann Menschen mit ihrer Musik genauso berühren wie es ein Titel von Taylor Swift kann."

Bei den Schülerinnen und Schülern scheint das Konzept an diesem Tag jedenfalls Anklang zu finden. Unter vollem Körpereinsatz schlüpfen sie in traditionelle Rollen der commedia dell'arte, studieren kurze Zirkus-Kunststücke ein und verschwinden hinter venezianischen Masken. "Es war cool, die Masken zu tragen und zu sehen, wie sich die Charaktere bewegen", sagt Neuntklässlerin Lea Hillenbrand am Ende des Workshops. "In die verschiedenen Rollen zu schlüpfen hat wirklich Spaß gemacht", findet auch Leona Mehmeti. "Aber auf Dauer wird das echt anstrengend. Das geht ganz schön auf die Ausdauer", sagt Vincent Hub.
Ob sie künftig nun einmal in die Oper gehen werden, wollen sie allerdings nicht versprechen. Klassenlehrerin Maria Seiwert ist dennoch guter Hoffnung: "Ich denke, dass sie heute einen tollen Einblick bekommen haben, wie es ist, auf einer Bühne zu stehen, wie viel Disziplin das erfordert und was sich mit Körpersprache alles ausdrücken lässt."