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Schweinfurt
Schweinfurter Theaterproduktion geht auf Tournee: mit verstecktem Juwel und kreativer Inszenierung durch Deutschland
Großer Schlussapplaus für die erste Koproduktion des Theaters der Stadt Schweinfurt mit der 'Compagnia Nuova' seit mehr als 50 Jahren. Von links: Jungsung Jean, Timon Führ, Byoungnam Stefano Hwang, Britta Glaser, Francesco Tuppo.
Foto: Compagnia Nuova | Großer Schlussapplaus für die erste Koproduktion des Theaters der Stadt Schweinfurt mit der "Compagnia Nuova" seit mehr als 50 Jahren.
Thomas Starost
Thomas Starost
 |  aktualisiert: 08.11.2024 02:33 Uhr

Mehr als 50 Jahre sind eine lange Zeit. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis das Theater der Stadt Schweinfurt es wagte, wieder einmal eine eigene Theaterproduktion auf die Bühne zu stellen, die jetzt – in Co-Operation mit dem Berliner Ensemble "Compagnia Nuova"- durch ganz Deutschland tourt, den Namen der Kugellagerstadt im Gepäck und auf dem Programmheft.

53 Jahre zuvor hatte 1971 der erste Schweinfurter Theaterintendant Günter Fuhrmann mit seinem Beleuchtungsmeister Heinz Kraile eine solche Produktion gewagt und mit dem Ensemble "Szene 71" Schillers "Kabale und Liebe" auf Tournee geschickt. Der kreativen Idee aus längst verblichenen Zeiten hat nun der "neue" Intendant der Ersatzspielstätte Theater Gemeindehaus, Christof Wahlefeld, wiederbelebt und während der letzten Wochen mit einer einfallsreichen Opernproduktion von Leoncavallos veristischem Opernschlager "Pagliacci" ("Bajazzo") und Mascagnis verschollener Oper "Le maschere" ("Die Masken") umgesetzt.

Eine Idee mit einigem Wagnis, da eine Kombination dieser Werke vollkommen unbekannt ist ("Der Bajazzo" wird sonst immer in der populären Kombination mit Mascagnis "Cavalleria Rusticana" gespielt) und immensen Probenaufwand für Ensemble und Schweinfurter Bühnenarbeiter bedeutet. Kostüme wurden hier zu Ende geschneidert, das Bühnenbild gebaut, eingeleuchtet und mit Regie-Leben, Gesang und Musik erfüllt. Bis zur begeistert aufgenommenen Premiere jetzt, die in einer fortschrittlichen, kreativen Inszenierung erst einmal Maßstäbe gesetzt haben dürfte.

Tournee ist auch Werbung für die Stadt Schweinfurt

Der rührige Schweinfurter Theaterintendant Wahlefeld hat mittlerweile einige neuartige, Maßstab setzende Pflöcke in das Schweinfurter Kulturleben gerammt, die den Namen der Stadt bundesweit nach draußen tragen - wie der "Erste Schweinfurter Theaterball", der es im letzten Jahr in das Weihnachtsprogramm der ARD zur besten Sendezeit schaffte.

Das wird nun mit der Co-Produktion zwischen dem blutjungen Ensemble der "Compagnia Nuova" und dem Schweinfurter Theater ähnlich laufen, zwar nicht ins öffentliche Fernsehen, aber auf den Programmheften der Tournee prangt der Schweinfurter Name als Co-Produktion und trägt ihn durch Deutschland.

Was mit der, nicht gerade riesigen Bühne, der Ersatzspielstätte alles möglich ist demonstriert das Ensemble um seine künstlerische Leiterin Britta Glaser und Regisseurin Silvia Aurea De Stefano ziemlich eindrucksvoll. Den Hintergrund des Bühnenbildes (Mien Bogaert) bilden Schattenbilder von Pinien, Bäumen und fernen Häusern einer stilisierten kalabrischen Landschaft in der orangefarbigen Dämmerung eines italienischen Sonnenunterganges.

Annäherungsversuche mit Masken der 'Comedia dell'arte'.
Foto: Compagnia Nuova | Annäherungsversuche mit Masken der "Comedia dell'arte".

Sanfter Kunstnebel wabert über die Bühne, während die Sänger in grauen Arbeitsoveralls ihre Rollen interpretieren und vorbereiten. Dabei ist der Regisseurin ein ungemein geschickter Schachzug gelungen, um beide Opern miteinander zu verknüpfen: Sie orientiert sich im ersten Teil an Mascagnis "Le Maschere" und bindet die Handlung der verschollenen, und beim Publikum durchgefallenen Oper als "Comedia dell ’arte" mit Masken in die Struktur des weltberühmten "Bajazzo" ein.

Begonnen wird zwar mit dem berühmten Prolog "Si può" des Tonio aus dem "Bajazzo", einem Paradestück aller italienischen Baritone, danach gleitet die Handlung aber nahtlos in "Le maschere" über, quasi als eine vorabendliche Werbung für das nächtliche "Comedia dell‘ arte" – Spektakel einer reisenden Schmierentruppe. Am Ende triumphieren Wut, Eifersucht, Mord und Totschlag.

Bariton Timon Führ bleibt bei seiner gesanglichen Interpretation des intriganten Tölpel Tonio beim Einstieg durchwegs in seiner Komfortzone und meidet konsequent alle hohen Töne, wie auch das effektvolle hohe Bariton "As" am Ende auf "Andiam. Incominciate!" ("Gehen wir. Lasst uns beginnen"). Das steht allerdings auch nicht in der Partitur, gehört mittlerweile aber zur Gesangs-Tradition.

Endproben mit Masken der 'Comedia dell'arte' für die Opernproduktion 'Pagliacci' und 'Le Maschere' im Schweinfurter Theater Gemeindehaus.
Foto: Compagnia Nuova | Endproben mit Masken der "Comedia dell'arte" für die Opernproduktion "Pagliacci" und "Le Maschere" im Schweinfurter Theater Gemeindehaus.

Zum Ende des ersten Teils interpretiert Britta Glaser als Nedda die Vogelarie "Stridono lassù" ("Wie die Vögel") mit stimmlich schönem Legato, samtiger Mittelage und sicheren, strahlenden Spitzentönen, ohne jegliche Schärfe, während langsam im Hintergrund orange-strahlende Scheinwerfer versinken.

Reine Emotionalität, Liebe, Hass, Eifersucht und Mord

Die gesamte Vorstellung nach der Pause gehört dann dem auf reiner Emotionalität, Liebe, Hass, Eifersucht und Mord gebauten "Bajazzo". Der südkoreanische Tenor Byoungnam Stefano Hwang als Canio meisterte bravourös seine beiden großen Tenorarien mit Brillanz, Elastizität und Tragfähigkeit in der Höhe, das tränenreiche Geheul schon mitten in "Vesti la giuba" ("Zieh' das Kostüm an") könnte er sich aber auch zugunsten des gesanglichen Spannungsbogens sparen, das wäre sicherlich effektvoller. Ganz stark auch Junsung Jean als Liebhaber Silvio mit baritonaler, mächtiger Durchschlagskraft und der lyrische Tenor von Francesco Tuppo, der das exzellente, junge Ensemble abrundete. Die Mordszene am Ende erstrahlt im blutroten Scheinwerferlicht – "La comedia e finita!"

Am Flügel begleitete einfühlsam und stilsicher Andrés Juncos das Ensemble durch den Abend. Riesen Jubel am Ende und stehende Ovationen für eine musikalische Rarität, der noch mehr Zuschauer zu wünschen gewesen wären. Man mag dieser Inszenierung eine Wiederholung in der nächsten Saison im Theater der Stadt wünschen, da sich bis dahin nicht nur beim Standard-Publikum, sondern auch in Schulen (hier fanden Workshops statt) und bei Senioren herumgesprochen haben sollte, welch verstecktes Juwel sich hier verbirgt.

Karten für die letzte Vorstellung am Dienstag, 5. November, 19.30 Uhr, unter Tel. (09721) 514955 oder an der Abendkasse.

 
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