Jürgen Eisentraut ist ein eher ungewöhnlicher Behördenleiter: sehr nahbar, fast schon lässig, mit viel Empathie für die Menschen und mit großer Begeisterung, ja Liebe für fränkische Baukultur und für die typischen fränkischen Kulturlandschaften mit ihren Wiesen, Feldern und Hecken, mit ihren Weinbergshängen und Wäldern. Wie alle Amtsvorsteher hat der gebürtige Schweinfurter, er bezeichnet sich als "Schnüdel", wenig Zeit. Am Ende werden aus einer Stunde trotzdem zwei.
Gemeinsam fahren wir die Ortsteile der Gemeinde Michelau ab, in denen neue Bauflächen entstehen sollen. Ständig bleibt der Blick des 59-Jährigen an einem Detail kleben, etwa an der außergewöhnlichen Kirche in Hundelshausen, einem Inflationsbau aus den 1920er-Jahren, oder an den schönen großen Pappeln am Ortseingang.
Fotografiert werden möchte Eisentraut später aber an der Balthasar-Neumann-Kirche in Michelau – sein Amt hat die Sanierung des Vorplatzes und Treppenaufgangs mitfinanziert. Insgesamt hat sein Amt im Rahmen der Dorferneuerung seit 2010 bereits über eine halbe Million Euro in die Gemeinde gesteckt.
Bezug auf Filmemacher Dieter Wieland: Landschaften als die Basis unserer Kultur
Mehrfach kommt Eisentraut auf dieser Tour auf den Filmemacher Dieter Wieland zu sprechen. Dessen Sendereihe "Topographie" im Bayerischen Rundfunk war in den 1970ern und 80ern das, was man einen Straßenfeger nannte. Bereits damals versuchte Wieland den Menschen nahe zu bringen, dass wir mit unserer Vorstellung von "Fortschritt" und der Art, wie wir mit der Landschaft umgehen, einen hohen Preis bezahlen: den Verlust von "Heimat". Wieland prägte unter anderem den Satz: "Landschaften sind die Basis unserer Kultur."
Heute sind Wielands Filme aktueller denn je und beschäftigen auch Jürgen Eisentraut. Beim Blick auf Altmannsdorf, wo sich große weiße Kisten in das Weinbergs- und Waldpanorama fressen, sagt er: "Diese Häuser wollen so gar nicht in die fränkische Landschaft passen. Austauschbar sind sie und könnten überall in Europa stehen. Das tut mir weh. Landschaft und Baukultur sind ein Stück Identität."
Bei Dieter Wieland klangen solche Feststellungen allerdings weit weniger diplomatisch. In seinem Film "Bauen auf dem Lande" etwa sagt er: "Unser Dorf soll hässlich werden (...). Wir wollen unser Dorf (...) zu einem Parkplatz für Banales machen, das freie Land verstopfen mit trübsinnigen Kisten. Verpackungen im DIN-Format (...) wie Sonderangebote im Supermarkt."
Bewahrung der Kulturlandschaft und Wiederbelebung der Ortskerne
Die Kulturlandschaft bewahren und verwaisende Dorfkerne wiederbeleben, das hat sich das Amt für Ländliche Entwicklung zum Ziel gesetzt. Denn jede Neubausiedlung, die sich weiter in die noch freie Landschaft ausdehnt, schafft neue Probleme – nicht nur für die Natur, die Artenvielfalt, den Klimawandel, auch für den Altort und die Menschen.
"Es bringt nichts, Gemeinden zu konstruieren, die innen tot sind, wo sich niemand mehr über den Weg läuft. Die vielen kleinen Begegnungen im Alltag, die machen das Landleben doch aus. Deshalb fördern wir in Unterfranken auch 30 Dorfläden." In der Ortschaft Michelau ist der Hauptbegegnungsort im Alltag mittlerweile der Friedhof. Und wie im Dorfkern selbst gibt es auch da schon "Leerstand". Und auch einen neuen Friedhof auf der grünen Wiese gibt es bereits. Ausdruck sich wandelnder Zeiten und überdimensionierter Planung, Ironie des Dorfalltags.
Eisentraut räumt ein, dass auch sein Amt in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, etwa bei der Flurneuordnung ab Mitte der 1950er-Jahre. Er sagt: "Das würde man heute so nicht mehr machen. Heute versuchen wir wieder mehr Struktur und Biodiversität in die ausgeräumte Landschaft zu bringen und einen Einklang zu finden zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomie. Es geht um ein gesundes Gleichgewicht."
Dabei hat Eisentraut für den Menschen, der sich in diesem Dreiklang nach einem Eigenheim sehnt, viel Verständnis. Er sagt: "Jede Gemeinde ist dynamisch gewachsen über die Jahrhunderte. Jeder Ort hat sich gewandelt im Erscheinungsbild. Daher sollte jede Gemeinde einige Bauplätzen parat haben. Auch weil nicht jeder ein altes Gebäude kaufen, in niedrigen Decken oder verschachtelt wohnen will. Das Beste aber, was eine Gemeinde in der heutigen Zeit tun kann, ist sich behutsam zu entwickeln. Maßvoll und organisch wachsen, nicht überdimensioniert. Und auch die Landwirte nicht aus dem Blick verlieren, denn sie waren zuerst da."
Kürzung von Fördergeldern ist eine Option für das Amt für ländliche Entwicklung
Behutsam und maßvoll? Bayern gehört zu den flächengefräßigsten Bundesländern. Gerade Bayern, das so stolz ist auf seine idyllischen Landschaften. 2021 waren es über zehn Hektar, die wir Tag für Tag "verbraucht" und größtenteils zubetoniert haben. Dabei wurde bereits vor Jahren das Ziel gesetzt, dass es nur noch fünf Hektar pro Tag sein sollen.
Solange es dafür aber keine verbindlichen politischen Vorgaben gibt, sind auch einem Amtsleiter wie Eisentraut die Hände gebunden: "Das einzige Mittel, das wir haben, ist, bei Gemeinden, die sich zur Innentwicklung bekannt haben, die Fördermittel zu kürzen. Und dieses Mittel wenden wir auch an." Auch in Michelau – wie in der Stellungnahme des Amtes zur Änderung des Flächennutzungsplanes der Gemeinde zu lesen ist. Nicht aber für die Bürger. Denen hat die Gemeinde diese und andere Stellungnahmen vorenthalten.
Was, wenn sich die Menschen bei der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Natur, Mensch und wirtschaftlicher Nutzung einbringen wollen, aber das nicht gewünscht ist – wie in Michelau? Eisentraut berichtet aus seiner Erfahrung: "Die Bevölkerung muss mitgenommen werden, das ist ja ihr Zuhause, ihre Heimat, ihre Zukunft. Sie müssen sich identifizieren können mit den Entwicklungen, die die Gemeinde verändern. Das ist ganz, ganz wichtig."
Und dann ergänzt er noch: "Es gibt tolle Planungsbüros. Die setzen sich mit dem Ort und seinen Besonderheiten auseinander. Wenn das gut gemacht wird – mit den Bürgern –, kommen ganz tolle Konzepte heraus und das stärkt auch den Gemeinschaftssinn."
Dennoch werden wertvolle Ackerflächen in Baugebiete gewandelt.
Aber hacken wir nicht auf Michelau herum. Sowohl die Gebietsreform als auch die Flurbereinigung wurden vielfach ohne die Menschen drumherum durchgezogen.
Jetzt werden wieder Flächen vernichtet - und es bleibt wohl eine Feage der Zeit, wann die ersten Rebstöcke gegen Solarplatten ausgetauscht werden.
Vieles, was mit "S" beginnt, kann man essen. Strom und Steine nicht - wann werden die Amtsträger in Bayern das endlich begreifen?
Versucht man es passiert folgendes:
https://www.mainpost.de/regional/rhoengrabfeld/ein-denkmal-zu-viel-in-rothausen-soll-ein-fachwerkhaus-fuer-ein-kleines-neubaugebiet-weichen-art-11149107
Am wenigsten Ärger und die meisten Freiheiten hat man scheinbar wenn man mit genügend Geld auf der grünen Wiese bauen kann. Ich verstehe jeden Bauherr der sich bei den Unsummen welche ein Haus kostet lieber eine "praktische Schachtel" hinstellt als typisch fränkisch zu bauen.
Zudem möchte ich mal die Reaktion einer Gemeinde sehen wenn jemand auf die Idee kommt und ein Fachwerkhaus traditioneller Bauart in ein Neubaugebiet bauen möchte. Das würde sicher nicht den jeweiligen Bauvorgaben für diese Neubaugebiete entsprechen!