Es ist der erste schöne Sonntag im März. Der See in der Nähe des historischen Schlosses in Hundelshausen, das einst Adelssitz und Jagdschloss war und in der Zeit zwischen 1885 und 1979 dann als staatliches Forstamt diente, glitzert in der Sonne. Ein Paar aus der Nähe von Kitzingen schlendert am Seeufer entlang. Was zieht sie hierher, will ich wissen: „Die schöne Natur und die friedliche Stimmung. Aber auch die Heckenwirtschaft und der weitläufige Spielplatz vorne bei den Pappeln, wo unsere Enkel gerade herumtoben. Wir kommen immer wieder hierher, denn bei uns gibt es so etwas nicht mehr.“
Dass die Gemeinde Michelau diesen geschichtsträchtigen Flecken Erde am Hundelshäuser See in eine Wohn- und Gewerbefläche verwandeln wollte, ahnen die beiden Besucher nicht. Auch der Hundelshäuser Manuel Keil ist ahnungslos, als er etwa ein Jahr zuvor im Gemeindeblatt liest, dass die Gemeinde gerade dabei ist, den Flächennutzungsplan zu ändern. Er packt sich den Vater und fährt in die Verwaltungsgemeinschaft Gerolzhofen, um sich die Pläne genauer anzuschauen.
Der Dorfsee, die Uferpromenade und das denkmalgeschützte ehemalige Schloss und Forstamt prägen das Ortsbild von Hundelshausen mit, sie machen den Ort besonders. Die hier zu sehende Grünfläche vor dem Schloss und weitere landwirtschaftliche Flächen rechts davon – insgesamt 14.400 Quadratmeter – wollte die Gemeinde Michelau für neue Siedlungs- und Gewerbeflächen opfern.
Bedrängte Landwirte
Manuel Keil erinnert sich: „Eine Neubausiedlung direkt neben unserem Hof. Da sind doch Konflikte vorprogrammiert. Auf dem Plan haben wir dann gesehen, dass auch unsere Lagerhalle auf der Wiese hinter dem Hof überplant wurde.“ Keil ist Nebenerwerbslandwirt und hat den Hof vom Vater übernommen. Der Hof unweit des Schlosses war eines der ersten Anwesen am Ort. Die Bauern siedelten dort, wo sie ihr Land bestellten. So entstanden die Dörfer.
Jung und Alt wohnen gemeinsam auf dem Hof. Ein Mehrgenerationenhaus, von denen es auch in den Dörfern nicht mehr all zu viele gibt. Nicht wegen des Geldes habe er den Betrieb des Vaters übernommen, sondern aus Leidenschaft, sagt der 30-Jährige. „Gerade weil ich den Hof im Nebenerwerb bewirtschafte, kann ich mich nicht nach Nachbarn richten. Ich muss mich nach meinen Arbeitszeiten und nach dem da oben richten“, sagt Keil und zeigt gen Himmel. „Oft müssen wir auch am Wochenende und nachts raus, und Maschinen machen nun mal Lärm.“
Unterschriftenaktion
Nach dem Besuch in der Verwaltungsgemeinschaft tut sich Manuel Keil mit der Besitzerin des denkmalgeschützten ehemaligen Schlosses zusammen. Sie organisieren eine Unterschriftenaktion: „Nein zum Baugebiet am See. Unsere einzige Erholungsfläche im Ort, die grüne Oase am See, darf nicht bebaut werden.“ In einer Hauruckaktion klappern sie an einem kalten Aprilwochenende 2022 die Häuser in der Gemeinde ab. Keil im Ortsteil Hundelshausen. Er erinnert sich: „Überrascht war ich, dass mein Nachbar sofort anbot mitzukommen, als er von den Bauplänen erfuhr, dass fast niemand von den Leuten, die wir im Dorf ansprachen, von den Plänen der Gemeinde wusste – und, dass fast alle, die wir antrafen, unterschrieben.“ Am Ende hat Keil 95 Unterschriften.
Urbanisierung des Landlebens
Keils Nachbar heißt Frank Huttner. Der 22-Jährige sagt: „Unten am Schloss hängen ganz viele meiner Kindheitserinnerungen. Als es im Winter noch kälter war als jetzt, fuhren wir Schlittschuhe auf dem See. Und im Sommer beobachteten wir Hasen und Eichhörnchen – oder Enten, die über die Wiese vorm Schloss watschelten. Das machen sie auch heute noch. Wie kann man das kaputt machen und warum redet keiner über solche Pläne mit uns Einwohnern?“
Das fragt sich auch Kevin Bäuerlein. Das Wohnhaus des 27-Jährigen grenzt an die Hauptstraße und an den Seeweg. Er sagt: „Wir leben hier in einem Dorf. Unten am See kann ich meinen Sohn noch frei laufen lassen, hier an der Straße nicht. Ich finde es nicht gut, wenn das Leben auf dem Dorf immer mehr wie das in der Stadt wird. Auf dem Dorf gibt es außerdem nicht so viele Großverdiener. Ich arbeite Schichten. Noch mehr Verkehrs- und Baulärm, das wäre für mich und auch für meine Familie belastend.“
Angst vor zunehmendem Verkehr
Eine der Älteren, die sich an der Unterschriftenaktion beteiligt, ist Ilse Rathmann. Ihr Mann hat vor 20 Jahren die alte Schule an der Hauptstraße von Hundelshausen gekauft bzw. er hat sich ihrer angenommen – wie er sagt. Die 73-Jährige erklärt: „Eine Neubausiedlung würde nicht nur die Idylle und Ruhe am See zerstören, sie würde auch das Verkehrsaufkommen im Ort weiter erhöhen.“ Und sie schiebt hinterher: „Ich würde mir wünschen, dass wir uns hier was abschauen von den Bürgermeistern im Hofheimer Land in den Haßbergen. Statt immer noch mehr Siedlungen und Straßen zu bauen, haben die es geschafft, junge Menschen und damit wieder Leben in die verfallenden Ortskerne zu holen.“
Unverständnis auch von Seiten der Behörden
Auch einige Behörden, die sogenannten Träger öffentlicher Belange, die an solchen Bauplanungsprozessen beteiligt sind, beanstanden die Ausweisung von Bauland am einstigen Hundelshäuser Schloss. So schreibt etwa das Bayerische Amt für Denkmalpflege: „Die Ausweisung des Baugebiets 'Am Schloßfeld' westlich und südlich der Vogtei (also des Schlosses, Anmerkung der Redaktion) würde deren Wirkung als herrschaftlicher Verwaltungs- und Wirtschaftsbau des 17. Jahrhunderts dauerhaft zerstören und eine historische bauliche Fehlentwicklung besiegeln, die mit der Bebauung der östlichen Bereiche bereits begonnen wurde. (...) Die Vogtei würde – bildlich gesprochen – in dem Neubaugebiet verschwinden und ihren historischen Orts- und Landschaftsbezug verlieren. Daher ist aus Bau- und Kunstdenkmalpflege das Baugebiet 'Am Schloßfeld' NICHT auszuweisen.“
Weitere Folgen von Flächenversiegelung
Zurück zum Hof der Familie Keil. Dem jungen Landwirt bereitet noch eine andere Sache große Sorge: Wasser. „Die Versiegelung unserer Böden verschärft unsere Hochwasserproblematik und verhindert die Grundwasserneubildung. Die Starkregenereignisse nehmen zu, die Grundwasserstände aber nehmen klimabedingt immer weiter ab.“ Um 20-25 Prozent ist der Grundwasserspiegel in Bayern seit 2003 bereits gesunken. Der Gemeinde und dem beauftragten Planungsbüro dürfte bekannt sein, dass Flächenversiegelung die Hochwasserproblematik vieler Orte im Einzugsgebiet der Volkach weiter verschärft. Bei der Planung aber wurde dieser Aspekt, wie der des Denkmalschutzes und einige andere, außer Acht gelassen.
Wo sollen künftig unsere Lebensmittel herkommen?
Manuel Keil ist generell gegen die großflächige Versiegelung intakter Böden. "Als Landwirt frage ich mich, wo künftig unsere Lebensmittel herkommen sollen, wenn wir immer mehr Flächen zubetonieren.“ Bis 2030 sollen in Bayern 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ökologisch bewirtschaftet werden – also so wie Keil das seit fünf Jahren macht. Die Regierung nennt diese Strategie „BioRegio 2030“. Um mit ökologischer Landwirtschaft die gleiche Menge herzustellen wie mit konventionellen Anbaumethoden, bedarf es aber etwa doppelt so vieler Flächen.
Knapp ein Jahr nach der Unterschriftenaktion fischt Manuel Keil einen Brief aus dem Briefkasten. Darin steht ein einziger Satz: „Der Änderungsbereich am Schlossfeld wird aus der Flächennutzungsplanänderung zurückgenommen.“ Michael Wolf, der Bürgermeister der Gemeinde Michelau, sagt auf Nachfrage, dass nicht die Einwände der Träger öffentlicher Belange, also der Behörden, sondern der Bürgerwille den Gemeinderat veranlasst habe, auf die Baufläche zu verzichten.
Die lieben Gemeinderäte und auch Bürgermeister müssen manchmal daran erinnert werden, dass Sie gewählt sind, um die Interessen der Bürger zu vertreten und zum Wohlergehen aller zu handeln.